Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld und Erstattungsanspruch
Leitsatz (NV)
In einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem über die Abzweigung von Kindergeld nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG zu entscheiden ist, kann der Sozialleistungsträger nicht einwenden, die Familienkasse sei wegen eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X ebenso zahlungsverpflichtet, wie sie es bei einer rechtmäßigen Abzweigung wäre.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 S. 4, Abs. 2; SGB X § 104 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger erhielt von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) Kindergeld für seine beiden Kinder A und B. Diese waren seit März 2003 ganztags in einem Heim untergebracht, die Stadt S, die Beigeladene und Beschwerdeführerin (Beigeladene), trug hierfür die Kosten.
Mit Schreiben vom 9. August 2005 beantragte die Beigeladene bei der Familienkasse die Abzweigung des Kindergeldes. Diese erließ unter dem Datum des 19. Dezember 2005 gemäß § 74 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen entsprechenden Verwaltungsakt, durch den Kindergeld in Höhe von monatlich 308 € ab Oktober 2005 an die Beigeladene abgezweigt wurde. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einspruch, mit dem er geltend machte, er habe Unterhaltsaufwendungen für seine beiden Kinder getragen.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt, nachdem es die Beigeladene gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am Verfahren beteiligt hatte. Es führte in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1178 veröffentlichten Urteil aus, der Anwendungsbereich des § 74 Abs. 1 EStG sei zwar eröffnet, weil der Kläger die ihm durch die Beigeladene gemäß § 94 Abs. 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) auferlegten Kostenbeiträge nicht geleistet habe. Ob und in welcher Höhe Kindergeld gemäß § 74 Abs. 1 EStG abgezweigt werde, liege jedoch in pflichtgemäßem Ermessen der Familienkasse. Deren Entscheidung erweise sich als ermessensfehlerhaft. Denn soweit überhaupt, und zwar in der Einspruchsentscheidung, Ermessenserwägungen angestellt worden seien, sei dies in rechtsfehlerhafter Weise geschehen. Die Familienkasse habe lediglich darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Kindergeldes das Ermessen regelmäßig dahingehend auszuüben sei, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen das Kindergeld abzuzweigen sei. Sie habe damit eine Vorprägung der Ermessensausübung bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG angenommen und das ihr obliegende Ermessen nicht ausgeübt. Unter Berücksichtigung der in § 74 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 EStG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzes sei jedoch eine Abzweigung in der Regel dann unzulässig, wenn der Kindergeldberechtigte Unterhalt zumindest in Höhe des Kindergeldes leiste (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 2004 VIII R 30/04, BFH/NV 2005, 692, und vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BFH/NV 2006, 1575). Die Familienkasse habe dies jedoch nicht berücksichtigt. Bereits aus diesem Grund sei die Ermessensausübung fehlerhaft, so dass der Umstand, dass in dem Abzweigungsbescheid keine Ermessenserwägungen zur Höhe des Abzweigungsbetrages angestellt worden seien, nicht erörtert zu werden brauche.
Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beigeladene mit ihrer Beschwerde, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) geltend macht. Das FG habe § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X nicht beachtet, obwohl die Beigeladene hiernach eine Erstattung geltend machen könnte. Die Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG stehe selbständig neben den Erstattungsvorschriften des § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 102 ff. SGB X. Der Kläger sei durch bestandskräftige Kostenfestsetzungsbescheide zu monatlichen Zahlungen herangezogen worden. Die Verweisung in § 74 Abs. 2 EStG auf § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X greife daher ein. Hiernach sei das Kindergeld vorrangig an die Beigeladene zu zahlen und nicht an den Kläger. Das angefochtene Urteil bewirke eine Ungleichbehandlung sowohl gegenüber Alleinerziehenden als auch gegenüber intakten Familien, da diese Personengruppen, die ihre Kinder ganzjährig betreuten, im Vergleich zum Kläger einen weitaus geringeren finanziellen Ausgleich erhielten. Darin sei ein Verstoß gegen Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes (GG) zu sehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Beigeladene hat keinen der in § 115 Abs. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgründe dargelegt (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Sie trägt vor, das angefochtene Urteil sei deshalb rechtswidrig, weil das FG übersehen habe, dass sie gegen die Familienkasse einen Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X habe. Außerdem verstoße das Urteil gegen Art. 3 und 6 GG. Damit rügt die Beigeladene, die Vorentscheidung sei materiell-rechtlich fehlerhaft. Dies genügt nicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Auch einen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung, der eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO rechtfertigen könnte, hat die Beigeladene nicht aufgezeigt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445). Ein Rechtsfehler der Vorinstanz ist auch nicht ersichtlich. Gegenstand des Klageverfahrens waren der Verwaltungsakt der Familienkasse vom 19. Dezember 2005 über die Abzweigung des Kindergeldes sowie die Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 2006. Über die Frage, ob der Beigeladenen gegen die Familienkasse ein Erstattungsanspruch zusteht, war im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zu befinden. Abzweigungen werden gemäß § 74 Abs. 1 EStG durch Verwaltungsakt geltend gemacht, Erstattungsansprüche entstehen gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 102 ff. SGB X kraft Gesetzes. In einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts nach § 74 Abs. 1 EStG zu entscheiden ist, kann der Sozialleistungsträger nicht einwenden, die Familienkasse sei wegen des Erstattungsanspruchs ebenso zahlungsverpflichtet, wie sie es bei einer rechtmäßigen Abzweigung wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 1812062 |
BFH/NV 2007, 2276 |