Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist bei Rechtsirrtum des Prozessbevollmächtigten über die Anforderungen an die Begründung
Leitsatz (NV)
- Eine Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde kommt bei einem Rechtsirrtum über die Anforderungen an die Begründung insbesondere bei einem Vertreter der rechtsberatenden Berufe nicht in Betracht (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 21. Februar 2001 X R 5/01, BFH/NV 2001, 936).
- Eine gerichtliche Verfügung über die Ausschlussfrist zur Vorlage einer Vollmacht muss nicht an den vollmachtlos Vertretenen zugestellt werden; versäumt der Vertreter die Ausschlussfrist, liegt kein Fall fehlender Vertretung des Klägers i.S. des § 119 Nr. 4 FGO vor (Anschluss an BFH-Beschluss vom 17. Juni 1993 VI S 2/93, BFH/NV 1993, 618).
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 1, § 119 Nr. 4, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen den Einkommensteuerbescheid für 1995, den Gewerbesteuermessbetrag für 1994 und 1995, sowie gegen die Bescheide über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1995 und über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31. Dezember 1994 wie auf den 31. Dezember 1995 wegen Versäumnis der gesetzten Ausschlussfrist zur Vorlage einer Vollmacht seines Prozessvertreters als unzulässig ab, ohne die Revision zuzulassen.
Gegen das am 31. Juli 2001 zugestellte Urteil legte der Kläger am 27. August 2001 Beschwerde ein mit dem Antrag, die Revision "wegen eines Verfahrensmangels i. S. v. § 119 Nr.3, 4 FGO" zuzulassen und mit dem Hinweis, die Begründung werde nachgereicht.
Nach Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 2. Oktober 2001 auf den Ablauf der Frist zur Begründung der Beschwerde hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Er trägt vor:
Es handele sich um die erste Nichtzulassungsbeschwerde seines Bevollmächtigten. Dieser sei davon ausgegangen, dass dem Bundesfinanzhof (BFH) die FG-Akten vorgelegen hätten. Ausweislich dieser Akten sei bereits mit Schriftsatz vom 10. Juli 2001 dem FG gegenüber gerügt worden, dass er nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei. So seien die Verfügung über die Ausschlussfrist zur Vollmachtvorlage sowie der (durch Antrag auf mündliche Verhandlung gegenstandslos gewordene) Gerichtsbescheid vom 4. April 2001 nicht ihm als Beteiligten sondern seinem ―damals― vollmachtlosem Vertreter zugestellt worden. Zu Unrecht sei insoweit Wiedereinsetzung wegen der in einem anderen Verfahren vorgelegten Vollmacht abgelehnt worden. Die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 134 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei ebenfalls zu prüfen. Die Auffassung des FG, der zur Personengruppe des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes gehörende Prozessvertreter habe Zweifel an seiner Bevollmächtigung geweckt und deshalb Anlass zu der Ausschlussfristverfügung gegeben, sei widersprüchlich. Das FG hätte sich zwingend an ihn, den Kläger persönlich, wenden müssen; eine "Heilung" durch die mündliche Verhandlung analog § 90a Abs. 3 FGO sei nicht möglich gewesen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Der Kläger hat die Beschwerde nicht entsprechend § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des angefochtenen Urteils begründet. Ihm ist auch nicht nach § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren, weil er nicht ohne Verschulden gehindert war, die Begründungsfrist zu wahren. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen Verschulden sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO zurechnen lassen muss (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1989 I R 67/85, BFHE 157, 305, BStBl II 1989, 848, 850), hat die Begründungsfrist nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO schuldhaft versäumt.
1. Ein Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 Satz 1 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 1993 VII B 163/93, BFH/NV 1994, 384, 385). Schon bei einfacher Fahrlässigkeit ist danach Verschulden gegeben; hat der Kläger der finanzgerichtlichen Rechtsmittelbelehrung entsprechend ein Rechtsmittel ―wie im Streitfall die Nichtzulassungsbeschwerde― eingelegt, so muss er auch die entsprechenden Formen und Fristen einhalten (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 1999 XI R 96/98, BFH/NV 2000, 740). Denn von Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die als Prozessbevollmächtigte ein Rechtsmittel einlegen, muss erwartet werden, dass sie die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1992 III B 76/92, BFH/NV 1994, 105; vom 7. Januar 1998 VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616; vom 9. August 2001 III R 14/01, BFH/NV 2002, 48). Ein Rechtsirrtum über das einzulegende Rechtsmittel bzw. den einzulegenden Rechtsbehelf bzw. die insoweit zu wahrenden Anforderungen sind danach ―insbesondere bei einem Vertreter der rechtsberatenden Berufe― nicht entschuldbar (Senatsbeschluss vom 21. Februar 2001 X R 5/01, BFH/NV 2001, 936).
2. Nach diesen Maßstäben kann im Streitfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
a) Es ist schon nicht nachvollziehbar, inwieweit der Bevollmächtigte des Klägers sich durch die Erwartung, dass die FG-Akte dem Senat vorliege, berechtigt von der Begründungspflicht nach § 116 FGO hätte entbunden ansehen können, nachdem er seinen Vortrag im FG-Verfahren in der Beschwerdeschrift nicht in Bezug genommen und ausdrücklich eine gesonderte Beschwerdebegründung angekündigt hatte.
b) Abgesehen davon wäre die Revision selbst bei unverschuldeter Versäumnis der Begründungsfrist schon deshalb nicht zuzulassen, weil der Vortrag des Klägers keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO bezeichnet.
Zu Unrecht geht nämlich der Kläger davon aus, dass das FG die Ausschlussfristverfügung zur Vorlage der Vollmacht sowie den Gerichtsbescheid an ihn persönlich hätte bekannt geben müssen. Denn nach ständiger BFH-Rechtsprechung genügt regelmäßig die ausschließliche Übersendung an den vollmachtlosen Vertreter (BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229; Beschluss vom 17. Juni 1993 VI S 3/93, BFH/NV 1993, 618). Versäumt der Vertreter die gesetzte Ausschlussfrist, so liegt insoweit kein Fall fehlender Vertretung des Klägers i.S. des § 119 Nr. 4 FGO vor (BFH-Beschluss vom 17. Juni 1993 VI S 2/93, BFH/NV 1993, 618).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen