Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Anbringung eines Ablehnungsgesuchs
Leitsatz (NV)
- Bittet ein Kläger nach Ablehnung eines Richters um kurze Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, um die Darlegung des Ablehnungsgrundes vorbereiten zu können, und vertagt daraufhin das FG die mündliche Verhandlung ohne Fristsetzung, gebietet der Anspruch auf rechtliches Gehör dem FG, eine angemessene Zeit abzuwarten, bevor es eine Entscheidung trifft.
- Der BFH kann im Beschwerdeverfahren die Sache an das FG zurückverweisen. Die Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das Verfahren vor dem FG an einem wesentlichen Mangel litt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß bestimmte Verfahrensverstöße, wie z.B. die Verletzung des rechtlichen Gehörs, im Beschwerdeverfahren geheilt werden können.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 51, 132; ZPO §§ 44, 46
Tatbestand
I. Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat Klage wegen Umsatzsteuer 1988 bis 1995 erhoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 1999 lehnte die Klägerin den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bat, ihm eine viertel Stunde Begründungsfrist einzuräumen. Das Finanzgericht (FG) vertagte daraufhin durch Beschluß die mündliche Verhandlung, ohne dem Bevollmächtigten eine Frist für die Begründung des Ablehnungsantrags zu setzen und ohne einen neuen Termin für die mündliche Verhandlung zu bestimmen. Richter am Finanzgericht X vermerkte unter dem Datum des 2. Februar 1999 in den Akten, er halte sich nicht für befangen.
Mit Beschluß vom 3. Februar 1999 wies das FG den Antrag der Klägerin, die Besorgnis der Befangenheit des Richters am Finanzgericht X festzustellen, als unzulässig zurück. Es führte zur Begründung aus, die Klägerin habe keinen Ablehnungsgrund substantiiert dargelegt. Der Beschluß wurde noch am gleichen Tag abgesandt und ging am nächstfolgenden Tag beim Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein.
Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Februar 1999 Beschwerde. Sie macht geltend, sie habe das Ablehnungsgesuch in der Sitzung vom 2. Februar 1999 mündlich erläutert und um Gelegenheit gebeten, den Antrag schriftlich begründen und glaubhaft machen zu können. Der Vorsitzende sei einverstanden gewesen und habe vorgeschlagen, sie --die Klägerin-- solle, da der Senat ohnehin in der gegebenen Besetzung nicht über das Ablehnungsgesuch entscheiden könne, die Ablehnung durch einen Schriftsatz außerhalb der mündlichen Verhandlung begründen. Nachdem sie ihr Einverständnis erklärt habe, sei die mündliche Verhandlung vertagt worden. Da das FG bereits am folgenden Tag ihren Antrag als unzulässig verworfen habe, sei ihr Recht auf Gehör verletzt worden. Die Klägerin kündigte in der Beschwerdeschrift an, bis zum 25. Februar 1999 den Ablehnungsgrund näher darlegen zu wollen.
Richter am Finanzgericht X vermerkte unter dem 5. Februar 1999 in den Akten, der Prozeßbevollmächtigte sei in der mündlichen Verhandlung gebeten worden, seinen Befangenheitsantrag zu begründen und die Begründung zu Protokoll zu geben. Hierzu habe sich dieser nicht in der Lage gesehen und beantragt, ihm eine Frist von einer viertel Stunde einzuräumen.
Am 18. Februar 1999 beschloß das FG, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Am 25. Februar 1999 ging die (weitere) Begründung des Ablehnungsgesuchs beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Die Klägerin beantragt, den Beschluß des FG vom 3. Februar 1999 aufzuheben und das Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit des Richters am Finanzgericht X für begründet zu erklären.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung trägt dem Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht hinreichend Rechnung.
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Das Gericht muß es hinnehmen, wenn sich ein Beteiligter aus berechtigten Erwägungen eine (weitere) Begründung vorbehält; jedenfalls muß es in diesen Fällen eine angemessene Zeit abwarten, bevor es eine Entscheidung trifft (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1991 2 BvR 103/91, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 2758).
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hatte in der mündlichen Verhandlung nach Anbringung seines Ablehnungsgesuchs gebeten, ihm eine viertel Stunde Begründungsfrist einzuräumen. Das FG kam dieser Bitte nicht durch Unterbrechung der mündlichen Verhandlung nach, sondern vertagte die mündliche Verhandlung durch Beschluß. Es brachte dadurch zum Ausdruck, daß der Klägerin Gelegenheit zur schriftlichen Begründung des Ablehnungsgesuchs gegeben werden sollte. Da das FG dem Bevollmächtigten keine Frist für die Begründung des Ablehnungsantrags gesetzt hatte, hätte es eine angemessene Zeit abwarten müssen, bevor es über das Ablehnungsgesuch entschied. Diese Verpflichtung verletzte das FG, indem es bereits am Tag nach der mündlichen Verhandlung den Antrag der Klägerin als unzulässig verwarf.
2. Der BFH kann, wenn eine Beschwerde begründet ist, nach seinem Ermessen entweder durch eigene Sachentscheidung das Verfahren beenden oder die Sache an das FG zurückverweisen. Die Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das Verfahren vor dem FG an einem wesentlichen Mangel litt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß bestimmte Verfahrensverstöße, wie z.B. die Verletzung des rechtlichen Gehörs, im Beschwerdeverfahren geheilt werden können (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 132 Rz. 10, mit Nachweisen der Rechtsprechung).
Das FG hat im vorliegenden Rechtsstreit dem Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht hinreichend Rechnung getragen. Obwohl die Klägerin vor dem BFH Gelegenheit hatte, den Ablehnungsgrund darzulegen und ihre Begründung auch mit Schriftsatz vom 25. Februar 1999 vorgelegt hat, ist es sinnvoll, daß der erkennende Senat nicht in der Sache selbst entscheidet, sondern das Verfahren an das FG zurückverweist. Der abgelehnte Richter kann sich nach Zurückverweisung über den Ablehnungsgrund, wie er im Schriftsatz vom 25. Februar 1999 dargelegt worden ist, dienstlich äußern (§ 51 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 44 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung). Das FG hat sodann Gelegenheit, über das Ablehnungsgesuch der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Darlegung des Ablehnungsgrundes und der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters zu entscheiden.
Fundstellen