Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bankrecht Kreditrecht Berufsrecht Handelsrecht Gesellschaftsrecht Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Verjährungsfristen gegenüber dem Steuerschuldner und gegenüber dem Haftenden sind getrennt zu berechnen. Auch die Unterbrechung der Verjährung muß in der Regel gegenüber dem Steuerschuldner und gegenüber dem Haftenden für sich erfolgen.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht kann je nach Lage des Falles auch schon vor Abschluß des außergerichtlichen Vorverfahrens gestellt werden.
Normenkette
AO §§ 103, 109, 120, 330; BGB § 419; AO § 147; FGO § 69
Tatbestand
Streitig sind die Aussetzung der Vollziehung des gegen die Bfin. zu 1 (Steuerpflichtige - Stpfl. -) seitens des Bg. und Bf. zu 2 (Finanzamt - FA -) erlassenen Haftungsbescheides vom 26. Juli 1965 sowie die Möglichkeit der Aussetzung seiner Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO.
Die Stpfl. war im Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum 1959 alleinige Gesellschafterin und bis zum 9. Juni 1960 Geschäftsführerin der G. M.-GmbH. Mit Vertrag vom 22. September 1959 erwarb sie von der GmbH das Grundstück ... Die Eintragung des Eigentumsübergangs in das Grundbuch erfolgte am 21. April 1960. Das FA, das die GmbH zunächst mit Bescheiden vom 25. August 1960 gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufig zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer veranlagt hatte, sah in der Veräußerung des Grundstücks zu einem unter dem Verkehrswert gelegenen Preis eine verdeckte Gewinnausschüttung. Es zog die GmbH mit endgültigen Bescheiden vom 22. April 1965 mit einem entsprechend höheren Gewinn aus Gewerbebetrieb bzw. Gewerbeertrag zur Steuer heran. Gegen diese Bescheide legte die GmbH Einspruch ein.
Daneben erließ das FA am 26. Juli 1965 gegen die Stpfl. einen Haftungsbescheid, der auf die §§ 120, 330 AO, § 419 BGB gestützt ist. Gegen diesen Haftungsbescheid will die Stpfl. mit Schreiben vom 2. August 1965 Beschwerde erhoben haben, während FA und Oberfinanzdirektion (OFD) den Eingang dieses Schreibens verneinen. Gleichwohl hat das FA die ihm übersandte Ablichtung des Schreibens vom 2. August 1965 auf die eidesstattliche Versicherung des Ehemannes der Stpfl. hin als Beschwerde angesehen, ihr jedoch nicht abgeholfen. Daneben hat die Stpfl. mit einem Schreiben vom 11. August 1965, das beim FA innerhalb der Beschwerdefrist eingegangen ist, ihre Haftung bestritten.
Unter dem 18. März 1966 beantragte die Stpfl. beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des gegen sie erlassenen Haftungsbescheides. Der Vorsitzende des zuständigen Senats gab ihrem Antrag statt. Demgegenüber beantragte das FA Entscheidung des Gerichts. Dieses setzte die Vollziehung des Haftungsbescheides bis zu einem Betrage von 35.000 DM bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen den Haftungsbescheid aus. Seine Entscheidung begründet es wie folgt:
Verfahrensrechtlich halte der Senat sich - entgegen der Auffassung des FA - nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO zur Aussetzung der Vollziehung für berechtigt. Ob der Antrag auch deshalb zulässig sei, weil die Stpfl. wegen Untätigkeit des FA gemäß § 46 Abs. 1 FGO als klageberechtigt anzusehen sei, könne dahingestellt bleiben. Sachlich halte der Senat den angefochtenen Haftungsbescheid indes insoweit für ernstlich zweifelhaft, als es nach dem Vorbringen der Stpfl. nicht ausgeschlossen sei, daß sie in Höhe der Hälfte des als verdeckt ausgeschütteten Unterschiedsbetrages zwischen dem Verkaufspreis und dem vom FA angenommenen Verkehrswert obsiegen werde.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Stpfl. wie des FA.
Die Stpfl. habe, so führt sie aus, unter den obwaltenden Umständen, insbesondere in Anbetracht der Kenntnis des FA von der Höhe des Kaufpreises bereits vor Erlaß der vorläufigen Steuerbescheide vom 25. August 1960, annehmen können, daß das FA dem Vortrag der GmbH folge und somit Steuernachforderungen nicht zu erwarten seien. Auf jeden Fall könne sie formell in Ansehung der für die Geltendmachung von Rechten aus § 419 BGB bestehenden Verjährungsfristen sowie der inzwischen eingetretenen Verwirkung nicht persönlich in Anspruch genommen werden. Sachlich sei eine Haftung aus § 419 BGB für solche Ansprüche, die erst durch die Vermögensübertragung selbst begründet würden, nicht gegeben (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs V ZR 197/61 vom 18. März 1964, Wertpapier-Mitteilungen 1964 S. 614).
Das FA hält unter Bezug auf die Ausführungen von Messmer (Der Betriebsberater 1966 S. 692) die Vorschrift des § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO für gegenstandslos. Vor Abschluß des außergerichtlichen Vorverfahrens sei das FG zu einer Maßnahme aus § 69 Abs. 3 FGO nicht berechtigt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Stpfl. führt zur Abänderung der Vorentscheidung und zur Aussetzung der Vollziehung. Die Beschwerde des FA ist als unbegründet zurückzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Stpfl. war bei Erlaß des Haftungsbescheids am 26. Juli 1965 der Haftungsanspruch des FA gegen sie aus §§ 120, 330 AO, § 419 BGB nicht verjährt.
Die Verjährungsfrist, die im Streitfalle fünf Jahre beträgt (§ 144 AO a. F.), begann - was den Steueranspruch betrifft - gemäß § 145 Abs. 1 AO a. F., § 3 Abs. 5 Ziff. 1 c, Ziff. 3 b StAnpG mit dem Ablauf des Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraums, für den die Steuer erhoben bzw. die Festsetzung vorgenommen wird. Sie endete damit hinsichtlich der Körperschaft- und Gewerbesteuer 1959 mit dem Ablauf des 31. Dezember 1964, soweit sie nicht durch Handlungen unterbrochen worden war, die das zuständige FA zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten vorgenommen hatte. Zwar bewirkte die Tatsache, daß die vorläufigen Steuerbescheide vom 25. August 1960 der Stpfl. in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der GmbH bekanntgeworden sind, eine Unterbrechung der Verjährungsfrist hinsichtlich der Steueransprüche gegenüber der GmbH, ggf. auch hinsichtlich der Haftungsansprüche gegenüber der Stpfl. als der der Geschäftsführerin der GmbH nach §§ 103, 109 AO. Sie bewirkte indes nicht auch eine Unterbrechung der Verjährungsfrist gegenüber der Stpfl. in ihrer Eigenschaft als Vermögensübernehmerin nach § 419 BGB. Die Verjährungsfristen laufen für den Steuerschuldner und den Haftenden - mit Ausnahme des Falles der Haftung nach §§ 103, 109 AO - getrennt und bedürfen ihnen gegenüber auch getrennter Unterbrechung, es sei denn, daß der Haftende sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht habe (vgl. Urteile des BFH V z 231/56 S vom 7. März 1957, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 64 S. 616 - BFH 64, 616 -, BStBl III 1957, 231; II 161/57 vom 13. Juni 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 147, Rechtspruch 30; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, Anm. 1 zu § 149; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. Anm. 1 zu § 149 a. F.).
Die Haftungsschuld der Stpfl. nach § 419 BGB war indes nicht vor der Eintragung des Eigentumsübergangs des Grundstücks in das Grundbuch am 21. April 1960 entstanden.
Nach § 873 BGB ist zur übertragung des Eigentums an einem Grundstück die Einigung des Berechtigten (Veräußerer) und des anderen Teils (Erwerber) über den Eintritt der Rechtsänderung (Auflassung) und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich. Der Anspruch des Erwerbers auf Auflassung kann durch die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch gesichert werden; sie verschafft dem Erwerber indes noch kein dingliches Recht an dem Grundstück. Unbeschadet der Tatsache, daß das FG die Eintragung einer Vormerkung für die Stpfl. nicht festgestellt hat, ist die Stpfl. danach erst mit der Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch am 21. April 1960 Eigentümerin des Grundstücks geworden.
Da die Stpfl. vor diesem Zeitpunkt nicht aus §§ 120, 330 AO, § 419 BGB in Anspruch genommen werden konnte, konnte auch die Verjährungsfrist hinsichtlich ihrer Haftung nicht vor dem 21. April 1960 zu laufen beginnen. Die Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme war danach bei Erlaß des Haftungsbescheids am 26. Juli 1965 noch nicht verjährt.
Gleichwohl war unter den obwaltenden Umständen die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 26. Juli 1965 auszusetzen. Die Haftung - wie die Verpflichtung zur Erfüllung fremder Verbindlichkeiten nach bürgerlichem Recht - ist abhängiger Natur und erfordert in der Regel vor ihrer zwangsweisen Durchsetzung eine möglichst weitgehende Klärung des ihr zugrunde liegenden Steueranspruchs. Im Streitfalle ist - wie auch das FG dargelegt hat - ein ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides insoweit gegeben, als dieser auf der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung bei dem Verkauf des Grundstücks durch die GmbH beruht. Die Vollziehung war daher zunächst ohne jede Einschränkung auszusetzen, bis über den Rechtsbehelf der Stpfl. gegen den Haftungsbescheid entschieden worden ist.
Nach § 69 Abs. 3 FGO kann auf Antrag auch das Gericht der Hauptsache oder der Vorsitzende die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.
Mit § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO wird dem Steuerpflichtigen - unbeschadet der Möglichkeit, die Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde gemäß § 242 AO oder nach Klageerhebung gemäß § 69 Abs. 2 FGO zu beantragen - die Möglichkeit gegeben, sich unmittelbar an das Gericht zu wenden. Damit sollte, wie auch Messmer (a. a. O.) nicht verkennt, für die FGO der gleiche Rechtszustand wie für die Verwaltungsgerichtsordnung geschaffen werden (vgl. Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/3523 S. 28, Bericht des Abgeordneten Bauer zu Drucksache IV/3523 S. 8 ff.). Der Umstand, daß der Steuerpflichtige sowohl nach Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs (§ 242 AO) als auch nach Erhebung einer Klage (§ 69 FGO) die zuständige Finanzbehörde um die Aussetzung der Vollziehung des von ihr erlassenen Verwaltungsakts angehen kann, und daß ihm nach Abweisung seines Antrags und seiner Beschwerde (§ 230 AO) die Klage aus § 40 FGO verbleibt, macht die vom Gesetz gegebene Möglichkeit der unmittelbaren Anrufung des Gerichts nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO im gegebenen Falle nicht überflüssig. Das zeigt bereits der vorliegende Streitfall, in dem die Finanzbehörden - ohne sich direkt dem Vorwurf der Untätigkeit auszusetzen - die Stpfl. nicht alsbald auf ihre Beschwerde gegen den Haftungsbescheid beschieden, obwohl ihre Auffassung (Bestreiten ihrer Haftung) im Schreiben vom 11. August 1965 auf jeden Fall eindeutig zum Ausdruck kam. Lagen danach die Voraussetzungen für die Erhebung einer Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) nicht vor, so konnte der Stpfl. dennoch nicht verwehrt werden, sich noch vor Vorliegen einer Entscheidung über ihre Beschwerde gegen den Haftungsbescheid wegen der Aussetzung der Vollziehung unmittelbar an das Gericht zu wenden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 412358 |
BStBl III 1967, 130 |
BFHE 1967, 270 |
BFHE 87, 270 |