Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Ruhen des Verfahrens und zu den Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung
Leitsatz (NV)
1. Das Ruhen des Verfahrens nach § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO setzt übereinstimmende Anträge der Beteiligten voraus.
2. Die Grundsätze, die die Finanzgerichte bei der Feststellung einer Steuerhinterziehung beachten müssen, sind durch die Rechtsprechung geklärt.
Normenkette
FGO §§ 74, 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2, § 155; AO §§ 235, 370; ZPO § 251; StPO §§ 153a, 170 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 24.09.2008; Aktenzeichen 10 K 1400/07) |
Tatbestand
I. Mit Urteil vom 24. September 2008 wies das Finanzgericht (FG) die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ab. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision. Sie trägt vor, dass eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts erforderlich sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Außerdem macht sie Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Für klärungsbedürftig hält die Klägerin die Frage, ob die Vorschriften der §§ 235, 370 der Abgabenordnung (AO) eine taugliche Rechtsgrundlage für einen Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen darstellen, wenn ein Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2, § 153a der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt wurde und das FG die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vorsätzlich missachtet habe.
Die Klägerin macht darüber hinaus Verfahrensmängel geltend, "… weil sich der vorsitzende Richter … als Berichterstatter und Einzelrichter, nicht nachvollziehbar über sämtliche Anträge der Klägerin hinweggesetzt …" habe. Außerdem habe das FG den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es seiner Entscheidung den Vortrag des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) als zutreffend zugrunde gelegt habe. Das FG sei vielmehr verpflichtet gewesen, eigene Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes anzustellen.
Die Klägerin beantragt das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des beim BFH unter dem Aktenzeichen X B 245/08 anhängigen Verfahrens.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das von der Klägerin beantragte Ruhen des Verfahrens (§ 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil dies übereinstimmende Anträge des Klägers und des FA voraussetzt (BFH-Beschluss vom 25. Januar 1994 VIII B 103/93, BFH/NV 1994, 726). Das FA hat aber das Ruhen des Verfahrens nicht beantragt.
Sollte der Antrag der Klägerin als ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens i.S. des § 74 FGO auszulegen sein, fehlt es an der hierfür erforderlichen Vorgreiflichkeit. Das Verfahren kann gemäß § 74 FGO (nur) ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 2000 bis 2002 ist aber nicht Gegenstand des Verfahrens X B 245/08.
2. Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, das FG habe den Begriff der Steuerhinterziehung i.S. von § 370 AO verkannt und falsch ausgelegt. Außerdem sei auch die Berechnung der Hinterziehungszinsen offensichtlich falsch. Sie rügt damit Verletzung materiellen Rechts durch das FG. Das führt nicht zur Zulassung der Revision. Selbst wenn dem FG bei der Beweiswürdigung oder bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts Fehler unterlaufen sein sollten, rechtfertigt das nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. August 2006 V B 36/05, BFH/NV 2007, 69; vom 22. August 2006 V B 59/04, BFH/NV 2007, 116; vom 18. Dezember 2007 XI B 16/07, BFH/NV 2008, 595; vom 25. September 2007 IX B 199/06, BFH/NV 2008, 26; vom 13. August 2007 VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23).
3. Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ist nicht erforderlich, weil die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung beantwortet ist; sie ist deshalb nicht klärungsbedürftig. Die Grundsätze, die die Finanzgerichte bei der Feststellung einer Steuerhinterziehung beachten müssen, sind nämlich bereits geklärt: Auch im finanzgerichtlichen Verfahren ist das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung zu prüfen; dies geschieht aber nicht nach der StPO, sondern nach den Vorschriften der AO und der FGO. Für die Feststellung der Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen ist, ist kein höherer Grad von Gewissheit notwendig als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trägt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. Oktober 2004 V B 220/03, juris; vom 26. Juli 2001 X B 6/01, BFH/NV 2002, 37; BFH-Urteil vom 19. März 1998 V R 54/97, BFHE 185, 351, BStBl II 1998, 466).
4. Die Klägerin rügt das Vorliegen von Verfahrensmängeln ohne Erfolg. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen Vorschriften des Verfahrensrechts. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben. Darüber hinaus muss schlüssig vorgetragen werden, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 9. Januar 2007 VIII B 180/05, BFH/NV 2007, 751).
a) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe ihre Anträge nicht beachtet und den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, macht sie Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) geltend. In beiden Fällen handelt es sich um verzichtbare Verfahrensmängel (BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 1993 V B 13/93, BFH/NV 1994, 181; vom 19. Februar 2001 VI B 236/00, BFH/NV 2001, 935), bei denen das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren geht, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge. Die Klägerin hätte deshalb vortragen müssen, dass sie den Verstoß in der Vorinstanz gerügt habe bzw. aus welchen entschuldbaren Gründen sie an einer solchen Rüge vor dem FG gehindert gewesen sei (BFH-Beschlüsse vom 21. April 2008 V B 231/07, BFH/NV 2008, 1358; in BFH/NV 2007, 69; vom 30. Januar 2008 X B 55/07, BFH/NV 2008, 964).
b) Die Rüge, das FG habe sich über sämtliche Anträge der Klägerin hinweggesetzt, erfüllt diese Voraussetzungen auch schon deshalb nicht, weil die Klägerin hätte vortragen müssen, welche konkreten Anträge das FG nicht beachtet oder nicht beschieden hat und inwiefern eine Beachtung dieser Anträge zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
c) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen weiter aufklären müssen, so hätte sie vortragen müssen, welche Tatsachen hätten aufgeklärt oder welche Beweise hätten erhoben werden müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei weiterer Aufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sich daraus auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Gerichts eine andere Entscheidung hätte ergeben können (BFH-Urteil vom 23. Mai 1990 V R 167/84, BFHE 161, 191, BStBl II 1990, 1095; BFH-Beschlüsse vom 26. Juni 2003 IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437; vom 29. Mai 2006 V B 159/05, BFH/NV 2006, 1892). An all dem fehlt es.
Fundstellen