Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung nach Erledigung eines Rechtsstreits wegen einstweiliger Anordnung zur Abwendung einer Vollstreckung

 

Leitsatz (NV)

1. Einem Beteiligten sind nach § 138 Abs. 1 FGO i.d.R. die Kosten aufzuerlegen, wenn er nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bei Fortsetzung des Prozesses voraussichtlich unterlegen wäre; eine eingehende Prüfung der Rechtslage und eine abschließende Klärung der Sachlage ist dazu nicht erforderlich.

2. Ein Anordnungsgrund kann in Fällen der Vollstreckung auch gegeben sein, wenn durch die Vollstreckung wesentliche Nachteile drohen. Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes müssen die Voraussetzungen zumindest schlüssig dargelegt werden.

3. Hat der Schuldner festgesetzte Steuern nicht gezahlt, so hat er grundsätzlich keinRecht auf Unterbindung der Zwangsvollstreckung. Zur Begründung eines solchen Rechts ist der Einwand, es bestehe Aussicht auf Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung, grundsätzlich nicht geeignet.

 

Normenkette

FGO §§ 114, 138 Abs. 1; ZPO § 920 Abs. 2; AO 1977 §§ 249, 251 Abs. 1, § 258

 

Tatbestand

Durch Änderungsbescheide vom 18. April 1983 setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die von den Antragstellern und Beschwerdeführern (Beschwerdeführer), den Eheleuten L, für die Jahre 1978, 1979 und 1980 zu zahlende Einkommensteuer neu fest. Die Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 1984, mit der die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen wurden, ist bestandskräftig geworden.

Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 1984 beantragten die Beschwerdeführer beim Finanzgericht (FG), die Beitreibung der nachgeforderten Einkommensteuerbeträge einschließlich der Säumniszuschläge für die Jahre 1979 bis 1980 in Höhe von 43 924,90 DM im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusetzen, bis die Rechtsmittel gegen die Steuernachforderungen an die ehemalige X-GmbH ausgeschöpft seien. Zur Begründung führten sie folgendes aus:

Eine Betriebsprüfung bei der X-GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer der Beschwerdeführer (Ehemann L) gewesen sei, habe zu dem Ergebnis geführt, daß eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe von 151 040 DM erfolgt sei. Diese verdeckte Gewinnausschüttung sei der Einkommensteuer der Beschwerdeführer unterworfen worden. Wegen der verdeckten Gewinnausschüttung sei Klage erhoben worden, die erhebliche Aussicht auf Erfolg habe. Im Falle des Obsiegens hätten die Beschwerdeführer keine Einkommensteuer zu zahlen, da die verdeckte Gewinnausschüttung dann aus der Einkommensbesteuerung herauszunehmen sei. Selbst wenn die Klage erfolglos bleibe, sei durch Anrechnung der dann zu zahlenden Körperschafsteuer die Einkommensteuer erheblich zu reduzieren, so daß auch für diesen Fall mit nennenswerten Einkommensteuerbeträgen nicht gerechnet werden könne. Die Beitreibung der Einkommensteuerbeträge stelle deshalb für die Beschwerdeführer eine erhebliche Härte dar.

Das FA machte in der Vorinstanz u. a. geltend, die Beschwerdeführer hätten sich zur Erlangung einer einstweiligen Einstellung der Vollstreckung nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht an die Vollstreckungsbehörde gewandt. Sie hätten auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es sei nicht ersichtlich und von den Beschwerdeführern auch nicht vorgetragen, daß eine Vollstreckung unangemessene Nachteile für sie haben werde, etwa ihre Existenz bedrohe oder zu Verlusten infolge von Notverkäufen führe.

Das FG verwarf den Antrag als unzulässig.

Mit der Beschwerde machten die Beschwerdeführer u. a. geltend, aus den Unterlagen des FA gehe hervor, daß eine Vollstreckung der angestrebten Art unweigerlich ihre wirtschaftliche Existenz vernichten werde.

 

Entscheidungsgründe

Die Beteiligten haben während des Beschwerdeverfahrens übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Aufgrund dieser Erledigungserklärung ist nur noch über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu treffen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand, der nach § 138 Abs. 1 FGO zu berücksichtigen ist, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen.

Einem Beteiligten sind nach § 138 Abs. 1 FGO in der Regel die Kosten aufzuerlegen, wenn er nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bei Fortsetzung des Prozesses voraussichtlich unterlegen wäre, da er dann nach dem Gesetz die Kosten zu tragen gehabt hätte (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 31. August 1976 VII R 20/74, BFHE 119, 407, 408, BStBl II 1976, 686). Zur Entscheidung darüber braucht die Rechtslage indes nicht eingehend geprüft und die Sachlage nicht abschließend geklärt zu werden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222). Danach kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob den Beschwerdeführern ein Erfolg schon mit der Begründung versagt werden müßte, einer einstweiligen Anordnung stehe § 114 Abs. 5 FGO entgegen oder eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung könne im Wege einer einstweiligen Anordnung deshalb nicht gewährt werden, weil diese Maßnahme nach § 258 AO 1977 in das Ermessen der Vollstreckungsbehörde gestellt sei (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Denn der bisherige Sach- und Streitstand spricht dafür, daß die einstweilige Anordnung zumindest deshalb hätte versagt werden müssen, weil die Beschwerdeführer einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht haben, was nach § 114 Abs. 3 FGO in sinngemäßer Anwendung der Regelung in § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erforderlich gewesen wäre.

Ein Anordnungsgrund liegt nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO vor, wenn die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder erschwert wird. Er kann in Fällen der Vollstreckung nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO auch gegeben sein, wenn - durch die Vollstreckung - wesentliche Nachteile drohen. Zur Glaubhaftmachung ist zumindest erforderlich, daß diese Voraussetzungen schlüssig dargelegt werden. Schon daran fehlt es jedoch im Streitfall.

Allein daraus, daß aus unanfechtbaren Steuerbescheiden vollstreckt werden soll, kann nicht gefolgert werden, daß dem Vollstreckungsschuldner die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder erschwert werde. Der Schuldner hat grundsätzlich kein Recht auf Unterbindung der Zwangsvollstreckung, wenn er die festgesetzten Steuern nicht gezahlt hat. Vielmehr entspricht es der Verpflichtung zur Zahlung der Steuern, daß durch Steuerbescheide festgesetzte Steueransprüche, wie es im Gesetz vorgesehen ist (vgl. §§ 249, 251 Abs. 1 AO 1977), notfalls auch zwangsweise durchgesetzt werden.

Dagegen kann grundsätzlich auch nicht mit Erfolg eingewendet werden, es bestehe trotz Unanfechtbarkeit der Steuerbescheide Aussicht, daß die Steuerfestsetzung aufgehoben oder zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werde. Denn grundsätzlich ist dem Steuerpflichtigen auch in diesen Fällen zuzumuten, daß er die festgesetzten Steuern zahlt oder die zwangsweise Durchsetzung der Steueransprüche duldet und für den Fall der Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids zu seinen Gunsten von der rechtlichen Möglichkeit zur Erlangung einer Steuererstattung (§ 37 Abs. 2 AO 1977) Gebrauch macht. Im Streitfall ist nichts dargelegt worden, was eine Abweichung von diesen Grundsätzen hätte rechtfertigen können. Das gilt auch im Hinblick auf das Vorbringen, die Einkommensteuer sei durch Anrechnung der Körperschaftsteuer zu reduzieren, sofern die Klage wegen der verdeckten Gewinnausschüttung ohne Erfolg bleibe.

Die Beschwerdeführer haben aber auch nicht dargelegt, daß eine einstweilige Anordnung erforderlich gewesen wäre, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Im Beschwerdeverfahren haben sie zwar vorgetragen, aus den Unterlagen des FA gehe hervor, daß eine Vollstreckung ihre wirtschaftliche Existenz vernichten werde. Diese bloße Behauptung reicht jedoch zur Darlegung eines Anordnungsgrundes nicht aus. Dieses Vorbringen ist zu allgemein und schon deshalb zu einer Überzeugungsbildung des Gerichts, wie sie auch in Fällen der Glaubhaftmachung erforderlich ist, nicht geeignet. Daran ändert auch der Hinweis auf Unterlagen nichts, die dem FA vorliegen sollen. Um beurteilen zu können, ob die Unterlagen die Annahme rechtfertigen, eine Vollstreckung werde zu einer Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Beschwerdeführer führen, hätten die Beschwerdeführer in Erfüllung ihrer Darlegungspflicht zumindest den Inhalt der Unterlagen wiedergeben müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414045

BFH/NV 1986, 349

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