Leitsatz (amtlich)
In den Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs.3 FGO und wegen einstweiliger Anordnung nach § 114 Abs.1 FGO ist der Übergang zu einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes entsprechend der Regelung in § 100 Abs.1 Satz 4 FGO nicht statthaft.
Orientierungssatz
1. Eine nachträglich eingetretene Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs ist in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und zu beachten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5.3.1979 GrS 3/78 und vom 21.12.1982 VIII B 36/82).
2. Pfändungen durch die Vollziehungsbeamten des FA durch Wegnahme von Sachen oder durch Anbringung von Pfandsiegeln stellen Verwaltungsakte dar (Literatur).
3. Streitgegenstand im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ist nicht die Frage, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, sondern die Frage, ob ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen.
4. Die Aussetzung der Verwertung nach § 297 AO 1977 entspricht nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen und dem Rechtsschutzziel der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO 1977 (Literatur). Für derartige Maßnahmen kann vorläufiger Rechtsschutz nur über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung erlangt werden.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 100 Abs. 1 S. 4, § 114 Abs. 1, § 76; AO 1977 § 286 Abs. 1-2, §§ 258, 297, 281
Gründe
Gründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Die Antragstellerin hatte im Beschwerdeverfahren --ebenso wie im Antragsverfahren vor dem FG-- zunächst die Anträge gestellt, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO 1977 zu gewähren, hilfsweise die Verwertung der gepfändeten Sachen gemäß § 297 AO 1977 auszusetzen und diese in ihre Geschäftsräume zurückzuschaffen. Das Rechtsschutzinteresse für diese Anträge ist entfallen, nachdem das FA im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durch Verfügung vom 5.Juni 1984 die ausgebrachten Sachpfändungen aufgehoben und die gepfändeten Sachen freigegeben hat. Mit dem Wegfall des Rechtsschutzinteresses ist die Beschwerde der Antragstellerin unzulässig geworden. Eine nachträglich eingetretene Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs ist in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und zu beachten (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378, und vom 21.Dezember 1982 VIII B 36/82, BFHE 137, 232, BStBl II 1983, 232). Es kann daher dahinstehen, ob die Beschwerde teilweise auch deshalb unzulässig war, weil sie sich gegen die Ablehnung einer Aussetzung der Vollziehung durch das FG richtete, gegen die nach Art.1 Nr.3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) die Beschwerde ohne ihre ausdrückliche Zulassung im angefochtenen Beschluß nicht gegeben ist. Insoweit bestehen Zweifel, ob die Antragstellerin mit ihren beim FG und beim BFH gestellten Anträgen überhaupt die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts (§ 69 Abs.3 FGO) begehrt hat. Denn die (hilfsweise) beantragte Aussetzung der Verwertung nach § 297 AO 1977 entspricht nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen und dem Rechtsschutzziel der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO 1977 (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 297 AO 1977, Tz.1 und 2). Für derartige Maßnahmen kann vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz nur über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs.1 FGO) erlangt werden.
2. Die Antragstellerin hat nach Aufhebung der Sachpfändungen durch das FA ihre im Beschwerdeverfahren gestellten Anträge dahin abgeändert, nunmehr festzustellen, daß die Pfändungen vom 30.März 1984 und die Abholung der Pfandsachen rechtswidrig gewesen seien. Die Zulässigkeit des Übergangs zu einem Feststellungsantrag könnte sich allenfalls aus der Regelung über die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs.1 Satz 4 FGO ergeben. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn sich ein angefochtener Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, auf Antrag durch Urteil aussprechen, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Regelung gilt nach ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung im Gesetz (§ 100 FGO) nur für Anfechtungsklagen. Sie ist jedoch auf Verpflichtungsklagen entsprechend anwendbar. Ein Übergang zum Feststellungsbegehren ist auch im Revisionsverfahren zulässig, da es sich nicht etwa um eine Klageänderung handelt, sondern um eine Einschränkung des ursprünglichen Begehrens der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts auf die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 3.November 1970 VII R 43/69, BFHE 100, 436, BStBl II 1971, 114, und vom 23.März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459).
Pfändungen durch die Vollziehungsbeamten des FA durch Wegnahme von Sachen oder durch Anbringung von Pfandsiegeln (§ 286 Abs.1 und 2 AO 1977) stellen Verwaltungsakte dar (Tipke/Kruse, a.a.O., § 286 AO 1977 Tz.16, § 281 AO 1977 Tz.4), die sich im Streitfall durch die Aufhebung der Sachpfändungen i.S. des § 100 Abs.1 Satz 4 FGO erledigt haben könnten. Die Antragstellerin hatte aber im vorliegenden gerichtlichen Verfahren die Pfändungsmaßnahmen selbst, deren Rechtswidrigkeit nunmehr festgestellt werden soll, nicht angefochten. Im übrigen erfolgt der Ausspruch der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach § 100 Abs.1 Satz 4 FGO "durch Urteil". Ein Übergang zum Feststellungsantrag ist daher in den Verfahren wegen der Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts nach § 69 Abs.3 FGO und wegen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs.1 FGO sowie in den daran anschließenden Beschwerdeverfahren vor dem BFH nicht statthaft.
Im Streitfall folgt die Unzulässigkeit des nachträglich von der Antragstellerin gestellten Antrags, die Pfändung und Abholung der Pfandsachen für rechtswidrig zu erklären, nachdem sich ihre ursprünglichen Anträge durch Aufhebung der Sachpfändungen erledigt hatten, auch daraus, daß der Streitgegenstand des Feststellungsbegehrens über die Streitgegenstände des bisherigen Verfahrens hinausgeht. Streitgegenstand im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung --soweit, wie das FG meint, ein solcher Antrag gestellt gewesen sein sollte-- ist nicht die Frage, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, sondern die Frage, ob ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Eine sachliche Prüfung des nach Erledigung der Hauptsache gestellten Antrags, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts festzustellen, führte daher weiter als die sachliche Prüfung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung vor seiner Erledigung. Eine derartige Ausdehnung des Streitgegenstands ist in § 100 Abs.1 Satz 4 FGO nicht vorgesehen. Eine entsprechende Anwendung des § 100 Abs.1 Satz 4 FGO auf das Aussetzungsverfahren gemäß § 69 Abs.3 FGO könnte allenfalls zu der Feststellung führen, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestanden hätten. Einen derartigen Antrag hat die Antragstellerin nicht gestellt. Außerdem wäre für eine solche Feststellung nach Erledigung der Hauptsache ein Feststellungsinteresse nicht ersichtlich (vgl. BFH-Beschluß vom 19.Februar 1970 I B 56/69, BFHE 98, 140, BStBl II 1970, 329; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 100 Anm.17; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 100 FGO Anm.1 e).
Ebensowenig ist der Streitgegenstand des Feststellungsbegehrens identisch mit dem des hier zweifelsfrei vorliegenden Verfahrens wegen einstweiliger Anordnung nach § 114 Abs.1 FGO. Während das Verfahren der einstweiligen Anordnung nur eine vorläufige Sicherung bzw. Regelung betrifft (hier Vollstreckungsaufschub bzw. Aussetzung der Verwertung), soll im Feststellungsverfahren eine bindende Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts getroffen werden. Die im summarischen Verfahren nach § 114 FGO gewonnenen Rechtserkenntnisse könnten im Feststellungsverfahren nicht verwertet werden. § 100 Abs.1 Satz 4 FGO kann demnach auch im Verfahren wegen einstweiliger Anordnung keine Anwendung finden (vgl. BFHE 137, 232, BStBl II 1983, 232).
Da der nach Aufhebung der Sachpfändungen gestellte Feststellungsantrag der Antragstellerin bereits aus den vorstehenden Gründen unzulässig ist, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob ein berechtigtes Interesse für die begehrte Feststellung gegeben ist.
Fundstellen
Haufe-Index 60940 |
BStBl II 1985, 302 |
BFHE 142, 564 |
BFHE 1985, 564 |
BB 1985, 719-719 (LT) |
DB 1985, 1273-1273 (LT) |
HFR 1985, 225-226 (LT) |