Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Statthaftigkeit einer zulassungsfreien Revision
Leitsatz (NV)
Hat das FG einen Beweisantrag im Urteil nicht beschieden, so ist dies mit einer Verfahrensrüge geltend zu machen. Eine nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zulassungsfreie Revision kann darauf nicht gestützt werden.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) stellte am 28. Juli 1988 den Antrag, eine Erwerbsminderung wegen Körperbehinderung von 30 % u. a. für das bereits bestandskräftig zur Einkommensteuer veranlagte Jahr 1977 (Streitjahr) rückwirkend zu berücksichtigen. Dem Antrag beigefügt war eine Bescheinigung gemäß § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) des Versorgungsamtes X vom 13. Juli 1988, wonach mit Feststellungsbescheid nach § 4 Abs. 1 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) vom 26. März 1985 ein Grad der Behinderung von 30 % festgestellt worden sei. Die Bescheinigung ist rückwirkend auf das Jahr 1974 ausgestellt.
Mit Bescheid vom 15. August 1988 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die beantragte Änderung ab. Dagegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit seiner Klage. Er machte u. a. geltend, die Bescheinigung des Versorgungsamtes habe den Charakter eines Grundlagenbescheides und sei deshalb gemäß § 175 der Abgabenordnung (AO 1977) rückwirkend zu berücksichtigen. Der Einwand der Verjährung stehe dem nicht entgegen, weil die Festsetzungsfrist erst 1 Jahr nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides abgelaufen sei, also am 13. Juli 1989. Die Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO 1977 sei auch dann gewahrt, wenn man nur den Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes als Grundlagenbescheid ansehen würde; denn ein erster Antrag auf Berücksichtigung der Erwerbsminderung sei bereits im September 1985 gestellt worden.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, es könne dahinstehen, ob der Kläger einen Anspruch auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1977 aufgrund der vorgelegten Bescheinigung des Versorgungsamtes habe. Denn auf jeden Fall stehe einer rückwirkenden Berücksichtigung der Erwerbsminderung der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.
Die Festsetzungsfrist betrage 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 AO 1977). Da die Steuererklärung für das Streitjahr am 26. Mai 1978 eingereicht worden sei, habe die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1978 zu laufen begonnen und mithin zum Jahresende 1982 geendet (§ 170 Abs. 2 AO 1977). Soweit für die Steuerfestsetzung allerdings ein Grundlagenbescheid von Bedeutung gewesen sei, habe die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe dieses Bescheides geendet (§ 171 Abs. 10 AO 1977). Grundlagenbescheid i. S. dieser Vorschrift sei der Bescheid des Versorgungsamtes nach § 4 SchwbG. Dieser Bescheid sei hier am 26. März 1985 ergangen, so daß die Bestandskraft am 26. März 1986 eingetreten sei. Der Antrag des Klägers auf nachträgliche Berücksichtigung des Freibetrags sei aber erst am 28. Juli 1988 und damit verspätet gestellt worden.
Zu Unrecht berufe der Kläger sich demgegenüber darauf, daß die Bescheinigung nach § 65 EStDV erst am 13. Juli 1988 ausgestellt worden sei. Diese Bescheinigung sei kein Bescheid i. S. des Versorgungsrechts; sie enthalte keine eigenen Feststellungen über die Erwerbsminderung, sondern diene lediglich dem Nachweis der durch das Versorgungsamt festgestellten Erwerbsminderung gegenüber den Steuer behörden. Dementsprechend enthalte die Bescheinigung auch den Hinweis auf den Bescheid, in dem die Erwerbsminderung festgestellt worden sei. Nur dieser Bescheid könne als Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 angesehen werden.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Februar 1991 III R 35/87 (BFHE 164, 198, BStBl II 1991, 717). In dieser Entscheidung habe der BFH ausgeführt, daß die der Bescheinigung des Versorgungsamtes zugrunde liegenden Feststellungen den Charakter eines Grundlagenbescheides hätten. Grundlagenbescheid sei also nur der versorgungsrechtliche Bescheid selbst, der hier am 26. März 1985 ergangen sei.
Zu Unrecht meine der Kläger schließlich, die Jahresfrist sei deshalb gewahrt worden, weil er bereits im September 1985 einen Antrag auf Berücksichtigung der Erwerbsminderung gestellt habe. Wie sich aus der vorgelegten, schwer lesbaren Kopie des Antrags ergebe, habe dieser Antrag aber eine Erwerbsminderung von 60 % für betroffen. Es handele sich dabei offensichtlich um die Ehefrau des Klägers, nicht aber um diesen selber.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde eingelegt, die der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage III B 95/93 zurückgewiesen hat.
Mit der vorliegenden, auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revision macht der Kläger geltend, die Entscheidung des FG sei nicht mit Gründen versehen. Dem Protokoll sei zu entnehmen, daß ein rechtserheblicher Beweisantrag gestellt worden sei. Dieser sei vom FG in den Entscheidungsgründen übergangen worden. Statt dessen stelle das FG die rechtlich nicht zu belegende Behauptung auf, die Bescheinigungen des Versorgungsamtes würden nicht auf der Grundlage des SchwbG ergehen und keine eigenen Feststellungen über die Erwerbsminderung enthalten.
Im übrigen werde vorsorglich für die vom BFH zu treffende Entscheidung die Verletzung des gesetzlichen Richters gerügt. Es werde um Mitteilung gebeten, wer in dieser Sache aufgrund welcher rechtlichen Grundlage zum Berichterstatter ernannt worden sei. Sollte der Berichterstatter allein durch den Vorsitzenden beauftragt worden sein, sei eine Verletzung des Art. 101 des Grundgesetzes (GG) gegeben, weil willkürliche Handlungen und sachfremde Erwägungen seitens des Vorsitzenden nicht ausgeschlossen seien. Da alle Senate des BFH überbesetzt seien, könne der Vorsitzende durch die Art der Terminierung auch den dritten an der Entscheidung mitwirkenden Richter bestimmen und damit das Ergebnis weit gehend selbst beeinflussen oder sogar bestimmen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Voraussetzung für die Statthaftigkeit einer zulassungsfreien Revision ist, daß innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel der im § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Art schlüssig gerügt wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Anm. 3 m. w. N.). Daran fehlt es im Streifall. Denn der Kläger hat insoweit lediglich vorgetragen, daß er ausweislich des Protokolls einen Beweisantrag gestellt habe, den das FG in den Entscheidungsgründen nicht beschieden habe. Hat das FG einen Antrag übergangen, so ist dieser Mangel -- wenn es sich um einen das Verfahren betreffenden Antrag handelt -- mit der Verfahrensrüge (im Rahmen einer zugelassenen Revision oder mit der Nichtzulassungsbeschwerde) zu rügen oder -- wenn es sich um Sachantrag handelt -- mit dem Antrag nach § 109 FGO geltend zu machen. Ein Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, der eine zulassungsfreie Revision begründen könnte, liegt darin nicht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Anm. 23 m. w. N.).
Zu der vom Kläger vorsorglich erhobenen Besetzungsrüge weist der Senat darauf hin, daß eine Überbesetzung des Senats nach dem Ausscheiden des Vorsitzenden Richters am Bundesfinanzhof A zum ... 1994 nicht mehr gegeben ist. Ein Gebot zur konkreten Vorabbestimmung, welche Mitglieder des Senats im Laufe des Geschäftsjahres bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung (§ 10 Abs. 3 Halbsatz 2 FGO) mitwirken, läßt sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht herleiten. Anhand dieser Vorschrift ist lediglich zu prüfen, ob der Vorsitzende bei der Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter willkürfrei verfahren ist (vgl. auch den BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252).
Im vorliegenden Fall ist ein willkürliches Verhalten des Senatsvorsitzenden bei der Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter mit der vom Kläger befürchteten Folge, daß dadurch das Ergebnis im Sinne des Senatsvorsitzenden beeinflußt oder sogar bestimmt werden könnte, schon deshalb ausgeschlossen, weil die Bestimmung des Berichterstatters und des Mitberichterstatters noch durch den früheren Senatsvorsitzenden, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof A, und zwar am 8. November 1993, erfolgt ist. An dieser Bestimmung ist nach dem Wechsel im Senatsvorsitz nichts geändert worden.
Da der jetzige Senatsvorsitzende in dieser Sache Berichterstatter ist, bestimmt sich der dritte mitwirkende Richter nach Abschn. II Nrn. 3 und 7 des senatsinternen Mitwirkungsplans i. d. F. vom 2. März 1994. Danach wirkt im Falle der Bericht erstattung oder Mitberichterstattung durch den Senatsvorsitzenden oder seinen Vertreter als dritter Beschlußrichter das nächste dienstälteste anwesende Senatsmitglied mit. Dies ist, da der ständige Vertreter des Senatsvorsitzenden, Richter am Bundesfinanzhof B, als Mitberichterstatter eingesetzt ist, Richter am Bundesfinanzhof C.
Fundstellen
Haufe-Index 420035 |
BFH/NV 1995, 49 |