Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 als selbständiger Beiladungstatbestand
Leitsatz (NV)
Für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ist lediglich erforderlich, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist, hieraus sich Folgerungen für einen Dritten ergeben und das Finanzamt die Beiladung beantragt oder veranlaßt hat.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 5 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & CO. KG, betreibt ein . . . Unternehmen. Gesellschafter der Klägerin waren in den Streitjahren 1973 bis 1975 die . . . GmbH als Komplementärin (Komplementär-GmbH) und ST als Kommanditist. Die Geschäftsanteile der Komplementär-GmbH hielten zu 2/3 ST und zu 1/3 die ST-GmbH, an der ST wiederum zu 4/5 beteiligt war; weitere Gesellschafter dieser GmbH waren Frau . . . und der Geschäftsführer M, dieser war auch Geschäftsführer der Komplementär-GmbH.
Am 1. Dezember 1972 schloß die Klägerin mit der AC-GmbH einen Vertrag, durch den die AC-GmbH der Klägerin eine Unternehmensberatung auf bestimmten Gebieten gegen ein Honorar von jährlich 270 000 DM, später ermäßigt auf jährlich 130 000 DM, zusagte. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und ebenso in den Streitjahren war ST der alleinige Gesellschafter und Herr M Geschäftsführer der AC-GmbH.
Am 1. Januar 1973 vereinbarten ST und die AC-GmbH, daß ST gegen die Zusage einer Alters- und Invaliditätsrente von jährlich 600 000 DM eine Beratung der AC-GmbH auf bestimmten Gebieten der Unternehmenspolitik übernimmt und auf diesen Gebieten auch diejenigen Vertragsfirmen der AC-GmbH berät, welche mit dieser einen einschlägigen Beratungsvertrag abgeschlossen haben.
Aufgrund des Vertrags vom 1. Dezember 1972 zahlte die Klägerin in den Streitjahren an die AC-GmbH jährlich 130 000 DM Beratungshonorar, die sie bei der Ermittlung ihrer Gewinne bzw. Verluste jeweils in voller Höhe als Betriebsausgaben abzog. Die AC-GmbH bildete für ihre Verpflichtung aus der Versorgungszusage für ST zu Lasten ihrer Gewinne entsprechende Rückstellungen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erfaßte bei der Feststellung der Gewinne bzw. Verluste der Klägerin für 1973 bis 1975 die an die AC-GmbH gezahlten Beratungshonorare gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Vorabvergütungen des ST, da es sich letztlich um Entgelte handle, die ST als Gesellschafter der Klägerin für seine Tätigkeit in deren Diensten bezogen habe.
Die Klage gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1973 bis 1975 wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 29. Oktober 1981 ab. Auf die Revision der Klägerin hob der Senat dieses Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und verwies die Sache an das FG zurück, da das FG die gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) notwendige Beiladung des ST unterlassen habe. In dem zurückverweisenden Urteil des Senats ist u. a. auch ausgeführt, bei der erneuten Verhandlung könne das FG prüfen, ob im Hinblick auf § 174 Abs. 5 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) des weiteren eine Beiladung der AC-GmbH angebracht sei.
Im zweiten Rechtsgang hat das FG mit Beschluß vom 26. April 1985 sowohl ST gemäß § 60 Abs. 3 FGO als auch - einem Antrag des FA folgend - die AC-GmbH gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 zum Verfahren beigeladen. Hiergegen hat die Klägerin insoweit Beschwerde erhoben, als das FG die Beiladung der AC-GmbH beschlossen hat. Die Klägerin macht geltend, die Beiladung der AC-GmbH sei prozeßökonomisch unzweckmäßig. Der bisherige Geschäftsführer der AC-GmbH, Herr M, sei verstorben. Der neue Geschäftsführer sei weder für die Handlungen seines Vorgängers haftbar noch könne er irgendetwas aus eigener Anschauung zur Klärung beitragen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Wird ein Steuerbescheid angefochten und daraufhin durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben oder geändert, weil er aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ergangen ist, so kann das FA gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen hieraus ziehen. Gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 gilt dies auch gegenüber Dritten, sofern diese an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren. Um eine solche Beteiligung zu ermöglichen, bestimmt § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ausdrücklich, daß eine Beiladung eines Dritten zu dem Verfahren, das auf die Aufhebung oder Änderung eines nach Auffassung des Klägers fehlerhaften Steuerbescheids gerichtet ist, zulässig ist.
§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 enthält einen selbständigen Beiladungsgrund; danach ist eine Beiladung unabhängig davon zulässig, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 FGO erfüllt sind. Erforderlich für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ist lediglich, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633), und daß das FA die Beiladung des Dritten beantragt oder veranlaßt hat (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das FA hat im zweiten Rechtsgang auf eine Beiladung der AC-GmbH hingewirkt. Würde die Klägerin mit ihrer Auffassung durchdringen, daß die in den Streitjahren gezahlten Beratungshonorare keine Vorabvergütungen des ST in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Klägerin sind, so wären hieraus für die Besteuerung der AC-GmbH bestimmte rechtliche Folgerungen zu ziehen, insbesondere wären die Beratungshonorare bei der AC-GmbH als steuerpflichtige Betriebseinnahmen zu erfassen. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist für die Beiladung unerheblich, ob der derzeitige Geschäftsführer der AC-GmbH ,,irgendetwas aus eigener Anschauung zur Klärung beitragen" kann.
Fundstellen
Haufe-Index 414192 |
BFH/NV 1987, 479 |