Entscheidungsstichwort (Thema)
Vernehmungsprotokoll kein Restitutionsgrund i.S. des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO
Leitsatz (NV)
Die Niederschrift einer Zeugenaussage reicht zur Wiederaufnahme nicht aus, wenn mit ihr bewiesen werden soll, dass sich der Sachverhalt so zugetragen hat, wie der Zeuge dies beurkundet hat.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 580 Nr. 7 Buchst. b; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 24.06.2003; Aktenzeichen II 200/2003) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Baugemeinschaft mit zwei Gesellschaftern, erwarb zwei Wohnungen in X. Sie behauptet, die Wohnungen hätten für steuerpflichtige Umsätze verwendet werden sollen; dementsprechend zog sie die ihr im Zusammenhang mit dem Wohnungserwerb berechnete Umsatzsteuer in Höhe von … DM im Streitjahr 1996 als Vorsteuer ab.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ging davon aus, dass eine steuerfreie (langfristige) Vermietung beabsichtigt war, und setzte die Umsatzsteuer für 1996 auf 0 DM fest. Einspruch und Klage gegen diesen Bescheid hatten keinen Erfolg. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts (FG) Nürnberg vom 25. September 2001 II 349/2000 wies der Bundesfinanzhof (BFH) zurück (BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2002 V B 187/01, juris).
In einer Steuerstrafsache gegen den Gesellschafter Z der Klägerin war der Wohnungsinteressent E vernommen worden. In der Vernehmungsniederschrift vom 19. Mai 1999 heißt es:
"1990/1991 haben wir eine Wohnung in X gesucht. Den für diese Wohnungen notwendigen Wohnberechtigungsschein hatten wir von der Gemeinde bereits. Wir hatten dann von Herrn Z… Post erhalten und haben dann die Wohnungen besichtigt. Wir hatten dann Interesse an einer der Wohnungen. Herr Z… hat uns jedoch nur angeboten, jeweils für maximal ein halbes Jahr in eine der Wohnungen zu ziehen und dann sollte ein Umzug in die nächste Wohnung erfolgen. Als Grund für diese ungewöhnliche Gestaltung nannte er uns steuerliche Gründe. Wir haben uns dann entschlossen, die Wohnung nicht zu beziehen. Erst in 1998 waren wir erneut auf Wohnungssuche und meldeten uns auf ein Inserat beim Immobilienbüro Y… . Dort wurde uns wiederum die nun bezogene Wohnung angeboten. Wir haben dann einen normalen Mustermietvertrag mit der Eigentümerin Frau A… abgeschlossen (Vertrag vom 20.05.1998). Mit Frau A… selbst hatten wir nie Kontakt, sie hat auch den Mietvertrag nicht unterschrieben. Irgendwann im Lauf des Sommers ist dann wieder Herr Z… aufgetaucht und legte uns einen neuen Mietvertrag vor. Es handelt sich um den Ihnen von Frau W… zugesandten Mietvertrag. Eine Begründung für den seltsamen Vertragsinhalt hat uns Herr Z… nicht geliefert. Es handelt sich aber weiterhin um einen unbefristeten Mietvertrag, wie auch aus der Änderung vom 25.08.1998 zum Mietvertrag hervorgeht. …"
Die Klägerin meint, durch diese Urkunde habe sie den Nachweis für die objektive Absicht erbracht, umsatzsteuerpflichtige Umsätze zu tätigen. Es sei ihr nicht möglich gewesen, von der Urkunde bereits im ursprünglichen Verfahren II 349/2000 beim FG Gebrauch zu machen, da sie keine Akteneinsicht in ein laufendes Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft erhalten habe.
Die Klägerin erhob deshalb eine auf § 580 Nr. 7 Buchst. b der Zivilprozessordnung (ZPO) gestützte Restitutionsklage. Das FG wies diese Klage als unzulässig ab. Es meinte, bei der Niederschrift einer Zeugenaussage wirke sich nicht die besondere Beweiskraft einer Urkunde aus, vielmehr werde ein ―nach dem Gesetz für die Wiederaufnahme nicht ausreichender― Zeugenbeweis verfügbar.
Mit der Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision.
Sie meint, das Urteil des FG sei eine unzulässige Überraschungsentscheidung; es liege deshalb ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Das FG habe in der mündlichen Verhandlung zwar die wesentliche Streitfrage besprochen und aufgeklärt, wann die Klägerin Kenntnis von der Urkunde erlangt habe. Das FG habe in keiner Weise darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig sei, und die mündliche Verhandlung so geführt, als sei ein Restitutionsgrund grundsätzlich gegeben.
Im Übrigen sei die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Es sei zwischen einer einfachen niedergeschriebenen Zeugenaussage und einer amtlichen Zeugenvernehmung zu unterscheiden. Letztere sei eine Urkunde i.S. des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
2. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Eine verfahrensfehlerhafte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) ist zwar auch bei so genannten Überraschungsentscheidungen gegeben. Die Vorentscheidung ist jedoch keine derartige Überraschungsentscheidung. Die Klägerin hatte ihre Restitutionsklage auf die Vorschrift des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO (i.V.m. § 155 FGO) gestützt. Nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand versetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Die Klägerin musste deshalb bereits zur schlüssigen Klagebegründung ausführen, dass die Vernehmungsniederschrift vom 19. Mai 1999 ihrer Ansicht nach eine derartige Urkunde ist, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Selbst wenn in der mündlichen Verhandlung dieser Punkt nicht besonders angesprochen worden sein sollte, war die Klägerin nicht gehindert, zu dem von ihr geltend gemachten Restitutionsgrund die von ihr für erforderlich gehaltenen Ausführungen zu machen.
3. Die Revision ist auch nicht zur Klärung der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage zuzulassen, ob im Rahmen des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO zwischen einer einfachen niedergeschriebenen Zeugenaussage und einer amtlichen Zeugenvernehmung zu unterscheiden ist. Nach dem Gesetz ist ein neuer Zeuge kein Wiederaufnahmegrund. Deshalb reicht nach ständiger Rechtsprechung auch die Niederschrift einer Zeugenaussage zur Wiederaufnahme nicht aus, wenn mit ihr bewiesen werden soll, dass sich der Sachverhalt so zugetragen hat, wie der Zeuge dies beurkundet hat, die Urkunde also allenfalls die erneute Vernehmung des Zeugen entbehrlich macht (vgl. Bundesgerichtshof ―BGH―, Urteil vom 26. Mai 1965 IV ZR 149/64, Monatsschrift für Deutsches Recht ―MDR― 1965, 816, und Beschlüsse vom 27. Mai 1981 IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1981, 2193, und vom 29. Februar 1984 IVb ZB 49/83, NJW 1984, 1543; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Aufl., § 580 Rn. 13 und Rn. 14, m.w.N.). Dies gilt gleichermaßen für Privaturkunden wie für amtliche Auskünfte i.S. des § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (BGH-Beschluss in NJW 1984, 1543). Es gilt deshalb auch für (amtliche) Vernehmungsprotokolle, da auch sie allenfalls eine erneute Vernehmung des Zeugen durch das FG entbehrlich machen (vgl. Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 24. Aufl., § 580 Rz. 28). Nach dem von der Klägerin in diesem Zusammenhang zitierten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 19. März 1990 2 T 1/90 ist ein fachärztliches Gutachten keine Urkunde i.S. des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO. Eine Aussage zum Beweiswert einer amtlichen Vernehmungsniederschrift kann dieser Entscheidung ebenso wie den von der Klägerin zitierten BGH-Entscheidungen nicht entnommen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 1129478 |
BFH/NV 2004, 805 |