Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeugenvernehmung im Prozeßkostenhilfeverfahren - Zurückverweisung an FG
Leitsatz (NV)
1. Die Entscheidung über die (hinreichenden) Erfolgsaussichten einer Klage nach § 114 Satz 1 ZPO (Prozeßkostenhilfeverfahren) verlangt grundsätzlich nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage. Im Prozeßkostenhilfeverfahren kommt deshalb eine Zeugenvernehmung nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn sich auf andere Weise nicht klären läßt, ob und inwieweit die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung gegeben sind.
2. Der BFH kann im Prozeßkostenhilfeverfahren die Sache bei fehlender Spruchreife an das sachnähere FG zurückverweisen.
Normenkette
FGO §§ 132, 155; ZPO § 575; FGO § 142; ZPO § 114; GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) kaufte 1979 ein Grundstück mit einem Zweifamilienhaus zum Kaufpreis von 365000 DM. Von dem vereinbarten Kaufpreis entfiel ein Teilbetrag von 44100 DM auf miterworbenes Zubehör. Antragsgemäß stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) den Grunderwerb vorläufig nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des früheren Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG) von der Grunderwerbsteuer frei und setzte nur wegen des den Freibetrag von 300000 DM übersteigenden Teils des Kaufpreises (23354 DM) Grunderwerbsteuer in Höhe von 1634,70 DM gegen den Antragsteller fest.
Am 29. Mai 1981 teilte der Antragsteller dem FA schriftlich mit, seine Eltern hätten die Erdgeschoßwohnung des Hauses am 1. August 1980 bezogen und bewohnten diese seitdem. Hierzu legte der Antragsteller auch eine Ummeldebestätigung der Gemeinde vom 5. August 1980 vor.
Aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndung gelangte das FA zu der Auffassung, die Eltern des Antragstellers hätten die Erdgeschoßwohnung tatsächlich nicht bewohnt und setzte durch Bescheide vom 15. Dezember 1988 Grunderwerbsteuer (21000 DM) und Zinsen (6195 DM) gegen den Antragsteller fest.
Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch und der nachfolgenden Klage machte der Antragsteller geltend, seine Eltern hätten in dem Zeitraum von August 1980 bis Juli 1981 die Erdgeschoßwohnung des Hauses bewohnt. Für die Tatsache des Bezuges sowie des tatsächlichen Umfangs des Bewohnens der Wohnung durch seine Eltern hat der Antragsteller vor dem Finanzgericht (FG) Beweis angeboten durch Vernehmung seiner Ehefrau, seines Sohnes, seines Bruders sowie eines Pastors.
Den mit einer nachgereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers versehenen Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das FG wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurückgewiesen und dabei auf seinen Beschluß vom 13. November 1989 betreffend die Ablehnung der vom Antragsteller beantragten Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheides Bezug genommen. Danach bestünden keine ernstlichen Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Die Klage habe offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Gegen die Angaben des Antragstellers zur Wohnnutzung seiner Eltern spreche u.a., daß nach der Abrechnung des Stromversorgungsunternehmens in der Zeit vom 1. August bis 8. Dezember 1980 in der Wohnung kein Strom verbraucht worden sei, sowie nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Situation der hochbetagten und gesundheitlich angeschlagenen Eltern des Antragstellers. Es sei unwahrscheinlich, daß die Behauptungen des Antragstellers richtig seien.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Antragsteller geltend macht, er habe für seine Behauptungen hinsichtlich des Bewohnens des Hauses durch seine Eltern Zeugenbeweis angetreten. Das FG sei seinem Beweisantrag (bis heute) nicht gefolgt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§§ 132, 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 575 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), weil es zweckmäßig erscheint, daß die zur Zeit fehlende Spruchreife durch das sachnähere FG herbeigeführt wird (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. September 1989 X B 53/89, BFH/NV 1990, 260, und vom 2. Oktober 1986 VII B 39/86, BFH/NV 1987, 390, 391 m.w.N.).
Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch ein Rechtsanwalt beigeordnet werden (§ 121 ZPO).
Zu Unrecht hat das FG hinsichtlich des streitigen Bewohnens des Hauses durch die Eltern des Antragstellers weitere Sachaufklärung im Rahmen dieses Verfahrens abgelehnt und sich ausschließlich auf Wahrscheinlichkeitsüberlegungen gestützt. Zwar verlangt die Entscheidung über die (hinreichenden) Erfolgsaussichten der Klage nach § 114 Satz 1 ZPO grundsätzlich nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (BFH-Beschlüsse vom 29. Januar 1986 III B 63-64/85, BFH/NV 1988, 438; vom 18. Mai 1988 X B 185/87, BFH/NV 1988, 731, und vom 2. August 1988 VII B 33/88, BFH/NV 1989, 146; Zöller, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 15. Aufl. 1987, Rdnr. 30), so daß im PKH-Verfahren nur in Ausnahmefällen eine Zeugenvernehmung in Betracht kommt, nämlich dann, wenn sich auf andere Weise nicht klären läßt, ob und inwieweit die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung gegeben sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 142 Rz. 18).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Entscheidung über das PKH-Begehren hängt nämlich u.a. davon ab, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach dem früheren § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG erfüllt und - im Hinblick auf den Ablauf der regulären Festsetzungsfrist - ob er den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) erfüllt hat.
Entscheidend ist danach u.a., ob der Antragsteller, sein Ehegatte oder einer seiner Verwandten in gerader Linie mindestens eine Wohnung des Zweifamilienhauses innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach dem Erwerb mindestens ein Jahr lang ununterbrochen bewohnt haben. Bewohnen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG ist ein tatsächlicher Vorgang, der vom erkennenden Senat in seiner Entscheidung vom 11. Februar 1981 II R 131/80 (BFHE 132, 490, BStBl II 1981, 330) dahingehend beschrieben wurde, daß eine Wohnung dann bewohnt wird, wenn der Inhaber (oder die sonst berechtigte Person) in ihr sein Heim hat. Ununterbrochenes Bewohnen erfordert nicht ständige Anwesenheit, es genügt, wenn der Inhaber mit gewisser Regelmäßigkeit und in kürzeren Zeitabständen in die Wohnung zurückkehrt. Das Bewohnen besteht somit aus einer Vielzahl von Einzeltatsachen, die sich über einen längeren Zeitraum beginnend mit dem Einzug und endend mit dem Auszug zugetragen haben und die einer Gesamtwürdigung bedürfen. Im Hinblick auf die Komplexität des Vorgangs des Bewohnens ist es zu beanstanden, daß das FG bei seiner Entscheidung nur die gegen das Bewohnen der Eltern des Antragstellers sprechende Umstände, bei denen es sich zum Teil nur um Vermutungen handelt, berücksichtigt, den vom Antragsteller angebotenen Zeugenbeweis aber unberücksichtigt gelassen hat.
Die Vorentscheidung ist danach aufzuheben und die Sache wegen fehlender Spruchreife zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§§ 132, 155 FGO i.V.m. § 575 ZPO). Das FG wird die für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Tatsachenfeststellungen nachzuholen haben und die angebotenen Zeugenbeweise erheben müssen. Dabei sind - soweit noch möglich - alle Umstände des Bewohnens durch die Eltern des Antragstellers zu ermitteln, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Steuerbefreiungsvorschrift des § 1 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG, sondern auch bezüglich einer möglichen Steuerhinterziehung des Antragstellers. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in der Hauptsache ergangene Urteil des Senats vom heutigen Tage II R 33/93 Bezug genommen.
Fundstellen
Haufe-Index 419403 |
BFH/NV 1994, 257 |