Entscheidungsstichwort (Thema)
Schlüssigkeit einer Rüge, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen
Leitsatz (NV)
Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision, mit der geltend gemacht wird, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen, ist nur zulässig, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, einen Mangel i.S.des § 116 Abs. 1 FGO ergeben.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6, § 120 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) ermittelten in ihren Einkommensteuererklärungen 1984 bis 1989 für ihr Haus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch Berechnung des Überschusses der Werbungskosten über die Rohmiete der eigenen Wohnung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte demgegenüber die Einkünfte pauschal nach § 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. September 1998 ab und ließ die Revision nicht zu. Das Urteil wurde an diesem Tage verkündet und den Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 22. März 1999 und am 25. März 1999 zugestellt.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verfahrensmängel (§ 119 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und machen geltend, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen und die Revision daher nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zulassungsfrei. Die Frist von fünf Monaten, innerhalb derer das abgefaßte Urteil der Geschäftsstelle zu übergeben sei, sei nicht eingehalten worden. Zwar sei das Urteil laut Vermerk der Geschäftsstelle am 18. Februar 1999 zur Geschäftsstelle gelangt. Es sei jedoch nicht klar, in welcher Form und in welchem Inhalt dies geschehen sei; denn das in den Akten befindliche Urteil enthalte eine Vielzahl orthographischer und inhaltlicher Korrekturen. Außerdem sei schwer nachvollziehbar, aus welchen Gründen das am 18. Februar 1999 zu den Akten gelangte Urteil nach einer in den Akten vorhandenen Verfügung vom 19. Februar 1999 am 25. Februar 1999 geschrieben worden sei; denn es hätte nichts mehr geschrieben werden müssen.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision, mit der die Kläger geltend machen, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO), ist unzulässig, weil die Rüge nicht schlüssig erhoben worden ist (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Sie ist daher gemäß § 124, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
1. Wird --wie im Streitfall-- die Revision weder durch das FG noch durch den Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 115 FGO zugelassen, so findet die Revision nur statt, wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision i.S. von § 116 FGO gegeben ist. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision nach § 116 Abs. 1 FGO ist allerdings nur zulässig, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist der geltend gemachte Mangel schlüssig gerügt wird. Dies setzt voraus, daß die zur Begründung des Mangels vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, einen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben.
Diesen Anforderungen entspricht die von den Klägern erhobene Rüge nicht. Die Kläger haben nicht schlüssig dargetan, daß die angefochtene Vorentscheidung nicht mit Gründen versehen ist (§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO).
2. Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übergeben (§ 105 Abs. 4 Satz 1 FGO). Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, genügt nach § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO die Niederlegung der von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteilsformel. In diesem Fall sind Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung "alsbald" nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben (§ 105 Abs. 4 Satz 3 FGO).
Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat für den Fall der Verkündung des Urteils in der mündlichen Verhandlung oder in einem eigens anberaumten Verkündungstermin das Wort "alsbald" in seinem Beschluß vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 674, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2603) so ausgelegt, daß Tatbestand und Entscheidungsgründe binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Geschieht dies nicht, gilt ein bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil i.S. des § 138 Nr. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung, der § 105 Abs. 4 FGO entspricht, als nicht mit Gründen versehen (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1993 II R 39/91, BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187).
Im Streitfall wurde das Urteil ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am Tag der mündlichen Verhandlung, also am 22. September 1998, verkündet. Die Fünf-Monats-Frist begann demnach mit Ablauf des 22. September 1998 und endete am 22. Februar 1999 (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1, 2 der Zivilprozeßordnung, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Nach Aktenlage ist das vollständige, von den Berufsrichtern unterschriebene Urteil am 18. Februar 1999 und somit vor Ablauf der Fünf-Monats-Frist bei der Geschäftsstelle eingegangen.
3. Der Vortrag der Kläger legt nicht schlüssig dar, daß die aus dem Begriff "alsbald" entwickelte Frist von fünf Monaten nicht eingehalten worden ist. Die Kläger verweisen selber darauf, daß das Urteil am 18. Februar 1999 zur Geschäftsstelle gelangt ist. Der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle befindet sich auf der mit orthographischen und inhaltlichen Korrekturen versehenen Urschrift des Urteils. Die Kläger haben keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, daß diese Korrekturen --entgegen der üblichen Praxis bei den Gerichten-- erst später eingefügt oder das Urteil erst später von den Richtern unterschrieben worden sein könnte. Soweit die Kläger auf den Vermerk der Kanzlei in der Verfügung vom 19. Februar 1999 verweisen, ergibt sich daraus nur, daß die für die Ausfertigung erforderliche Reinschrift des Urteils am 25. Februar 1999 geschrieben worden ist. Es ist offenkundig, daß mit diesem Vermerk der Kanzlei nur die Reinschrift, nicht aber die Urschrift des Urteils gemeint sein kann. Weitere Anhaltspunkte, die Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Frist von fünf Monaten nicht eingehalten worden ist, sind weder erkennbar noch von den Klägern vorgetragen.
4. Der Senat entscheidet gemäß § 126 Abs. 1 i.V.m. §§ 121, 90 Abs. 1 Satz 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
Fundstellen
Haufe-Index 424715 |
BFH/NV 2000, 464 |