Entscheidungsstichwort (Thema)
Überraschungsentscheidung; Verbot der Schlechterstellung, aber Saldierungsgebot im finanzgerichtlichen Verfahren; Verletzung der Amtsermittlungspflicht; Angehörigenvertrag im Steuerrecht
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung erfordert substantiierte Darlegungen dazu, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben habe, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens weder habe rechnen können noch müssen.
2. Wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs bezüglich einzelner Feststellungen bzw. rechtlicher Gesichtpunkte geltend gemacht, ist außerdem dazutun, wozu sich der Beschwerdeführer nicht habe äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass die Entscheidung des FG bei Berücksichtigung dieses Vortrages anders ausgefallen wäre.
3. Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren ist nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit der festgesetzten Steuer. Das FG ist deshalb zwar an einer Schlechterstellung des Klägers gehindert, ist indes im Rahmen der Anträge des Klägers zu einer Saldierung nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet.
4. Das BVerfG hat im Grundsatz die Rechsprechung des BFH zur steuerrechtlichen Anerkennung sog. Angehörigenverträge von Verfassungs wegen nicht beanstandet. Er hat insbesondere bestätigt, dass die Abgrenzung, ob die Vermögenszuwendung zwischen nahen Angehörigen auf einem Leistungsaustauschverhältnis und damit auf einer betrieblichen Veranlassung beruht oder in familiären Beziehungen ihren Grund hat, als innere Tatsache auf der Grundlage eines umfassenden Indizienbeweises festzustellen ist.
Normenkette
AO 1977 § 162; EStG § 4 Abs. 4; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 06.11.2003; Aktenzeichen 12 K 4104/95) |
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Die geltend gemachten Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 3 Nr. 3 FGO) hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen bezeichnet (§ 116 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine sog. Überraschungsentscheidung des Gerichts erfordert substantiierte Darlegungen dazu, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben habe, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens weder habe rechnen können noch müssen.
Zudem verlangt eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO), wenn sie sich --wie im Streitfall-- auf einzelne Feststellungen bzw. rechtliche Gesichtspunkte bezieht, dass der Beschwerdeführer im Einzelnen dartut, wozu er sich nicht habe äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) bei Berücksichtigung dieses Sachvortrags anders hätte ausfallen können (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juli 2003 X B 135/02, BFH/NV 2003, 1574; vom 30. November 2001 III B 107/01, BFH/NV 2002, 526).
Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren ist nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal --im Streitfall also die Berechtigung zum Abzug der vom Kläger geltend gemachten Zahlungen an die Firma Therapicon in Mailand für die Streitjahre 1986 in Höhe von 27 000 DM und für 1987 sowie 1988 in Höhe von jeweils 9 000 DM als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--)--. Maßgebend ist vielmehr die Rechtmäßigkeit der festgesetzten Steuer bzw. des Steuermessbetrages. Deshalb ist das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zwar an einer Schlechterstellung des Klägers gehindert (BFH-Urteil vom 29. Juli 1997 VIII R 80/94, BFHE 184, 74, BStBl II 1997, 727), es ist aber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, auch gegebenenfalls Besteuerungsgrundlagen im Rahmen der Klageanträge des Klägers zu berücksichtigen, selbst wenn der Kläger hierzu nichts vorgetragen hat (vgl. zum sog. Saldierungsgebot Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344; von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 65 Rz. 41, m.w.N.).
Das FG durfte deshalb bislang vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) im Rahmen der angefochtenen Steuerbescheide noch nicht berücksichtigte Betriebseinnahmen bis zur Höhe der geltend gemachten Betriebsausgaben gegenrechnen.
Hinsichtlich der Höhe dieser Betriebseinnahmen stand dem FG eine eigene Schätzungsbefugnis zu. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO bestimmt die entsprechende Anwendung der das Schätzungsverfahren regelnden Vorschrift in § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) auch im finanzgerichtlichen Verfahren (BFH-Urteil vom 20. Oktober 1993 II R 59/91, BFH/NV 1994, 176).
Allerdings hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nichts dazu ausgeführt, was er auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts überhaupt noch vorgetragen hätte. Es bestehen danach keine Anhaltspunkte dafür, dass unter Berücksichtigung eines verhinderten Sachvortrags die angefochtene Entscheidung anders hätte ausfallen können.
Im Übrigen kann dahingestellt bleiben, ob aufgrund der Tatsache, dass bereits die Steuerfahndung und das FA für die Streitjahre den angefochtenen Steuerbescheiden Schätzungen zugrunde gelegt haben, diese Schätzung ohnehin sowohl dem Grund als auch der Höhe nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
2. Soweit der Kläger beanstandet, das FG hätte von Amts wegen die Echtheit der Unterschrift auf der Rechnung vom 13. November 1986 überprüfen müssen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), fehlt es gleichfalls an einer ordnungsgemäßen Rüge.
Hierzu ist u.a. darzulegen, weshalb sich dem FG eine weitere Sachverhaltsermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, welche konkreten Beweismittel das FG von sich aus hätte heranziehen sollen, zu welchem voraussichtlichen Beweisergebnis es im Falle der Beweiserhebung gekommen wäre und insbesondere auch den Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens.
Der Kläger hat selbst in seiner Beschwerdebegründung nicht eindeutig erklärt, von wem die Unterschrift auf der Rechnung stammt. Er legt insbesondere auch nicht die Entscheidungserheblichkeit der von ihm geforderten Beweisaufnahme nach der für Verfahrensrügen insoweit maßgebenden, von ihm allerdings für unrichtig gehaltenen materiell-rechtlichen Beurteilung des FG dar.
Schließlich ist ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 6. November 2003 gerade auf die Diskrepanz zwischen den Unterschriften mit den Namen Dr. Bares auf verschiedenen Unterlagen vom Gericht ausdrücklich hingewiesen worden, ohne dass der fachkundig in der mündlichen Verhandlung vertretene Kläger einen Beweisantrag gestellt hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2001 II B 46/00, BFH/NV 2002, 654).
Die von ihm behauptete Verletzung der Denkgesetze durch das FG und die Nichtbeachtung einer abweichenden Geschäftspraxis ist revisionsrechtlich allenfalls als Verstoß gegen das materielle Recht, nicht hingegen gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts zu werten (BFH-Beschluss vom 27. Juni 2002 III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443).
3. Die weitere Rüge, das FG habe verfahrensfehlerhaft nicht Beweis durch Einvernahme des Bruders des Klägers über die von dem Bruder entfalteten Tätigkeiten als Grundlage der von ihm, dem Kläger, als Betriebsausgaben geltend gemachten Zahlungen (1987: in Höhe von 16 600 DM, 1988: in Höhe von 36 600 DM, 1989: in Höhe von 36 100 DM und 1990: in Höhe von 36 600 DM) erhoben, ist ebenso wenig schlüssig.
Das Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- (Beschluss vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34) hat die ständige Rechtsprechung des BFH ausdrücklich auch von Verfassungs wegen nicht beanstandet, nach der Angehörigenverträge --in jenem Fall Verträge zwischen Ehegatten-- steuerrechtlich nur anzuerkennen seien, wenn sie eindeutig und ernsthaft vereinbart, entsprechend dieser Vereinbarung auch tatsächlich durchgeführt würden und einem Fremdvergleich standhielten. Insbesondere hat das BVerfG bestätigt, dass die Abgrenzung, ob eine Vermögenszuwendung zwischen nahen Angehörigen auf einem Leistungsaustauschverhältnis und damit auf betrieblicher Veranlassung beruhe oder ob sie in familiären Beziehungen ihren Grund habe, als sog. innere Tatsache auf der Grundlage eines Indizienbeweises festzustellen sei. Im Rahmen eines solchen Indizienbeweises ist bei der erforderlichen Gesamtwürdigung auf alle Umstände des Einzelfalles abzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 9. Oktober 2001 VIII R 5/01, BFH/NV 2002, 334, m.w.N. zur steuerlichen Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen).
Der im finanzgerichtlichen Verfahren fachkundig vertretene Kläger hat ebenfalls nicht vorgetragen, warum er zu diesem Sachverhalt, der bereits Gegenstand der Begründung der mit der Klage ebenfalls angefochtenen Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 1995 gewesen ist, nicht von sich aus Beweisanträge gestellt hat. Darüber hinaus hat der Kläger auch keine zulässigen und begründeten Rügen zu den gleichermaßen entscheidungserheblichen Ausführungen des FG erhoben, die Abwicklung der geltend gemachten Lohnzahlungen lasse nicht erkennen, welche Beträge tatsächlich dem Bruder des Klägers zugeflossen seien. Der Kläger sei insoweit seiner ihn für den Abzug steuermindernder Aufwendungen obliegenden Feststellungslast nicht nachgekommen.
Der Kläger hat auch nichts dazu ausgeführt, dass trotz dieser Unklarheiten allein einer aufgrund einer Aussage seines Bruders möglicherweise bestätigten tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung ein anderes Ergebnis, nämlich die Anerkennung der Lohnzahlungen als Betriebsausgaben, in Betracht käme.
Fundstellen