Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Rechtsschutz gewährenden Auslegung, wenn ein Gesellschafter einer GbR Klage gegen den Gewerbesteuermessbetrag erhebt; Grundsatz des fairen Verfahrens
Leitsatz (NV)
1. Bei Auslegung einer Prozesserklärung (hier: Klageerhebung) in entsprechender Anwendung des § 133 BGB ist auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang und mit welcher Intensität der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz durch die in Frage stehende Prozesserklärung berührt wird. Das gilt grundsätzlich auch, wenn ein Kläger von einem Rechtsanwalt oder Steuerberater vertreten wird.
2. Danach kann die Klage des Gesellschafters einer GbR gegen einen die GbR betreffenden Gewerbesteuermessbescheid als eine solche der GbR ausgelegt werden.
3. Auch das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren kann eine solche Auslegung gebieten.
Normenkette
GG Art. 2, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; BGB § 133
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 21.09.2004; Aktenzeichen 2 K 2276/02) |
Tatbestand
I. Streitgegenstand sind Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Jahre 1993 bis 1995, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) gegenüber der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) AB-Architekturbüro erlassen hat. Die GbR wurde Mitte 1995 aufgelöst.
Gegen die Bescheide wurde namens der GbR Einspruch eingelegt, der nur teilweise Erfolg hatte.
Gegen die Einspruchsentscheidung erhob der Gesellschafter A am 14. Mai 2002 namens der GbR Klage. Sie erhielt das Az. 2 K 2188/02. Am 15. Mai 2002 erhob auch der Gesellschafter B Klage "als ehemals Beteiligter an der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts AB-Architekturbüro". Die "namens und in Vollmacht" des B erhobene Klage richtete sich sowohl gegen die Gewerbesteuermessbetragsbescheide als auch gegen die Gewinnfeststellungsbescheide. Diese Klage erhielt das Az. 2 K 2276/02. B beantragte, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide aufzuheben, weil er --entgegen der Auffassung des FA-- eine dem Architekten ähnliche Tätigkeit ausgeübt habe.
Mit Schreiben vom 1. August 2002 wies das Finanzgericht (FG) A im Verfahren 2 K 2188/02 darauf hin, dass zum selben Verfahrensgegenstand eine weitere Klage, nämlich die des B anhängig sei. Daraufhin nahm A die Klage 2 K 2276/02 zurück, weil die Streitsache von Seiten des B weiter verfolgt werden sollte. Zugleich beantragte er Beiladung zum Verfahren 2 K 2276/02.
Mit Schriftsatz vom 16. September 2004 wies B darauf hin, dass seine Klage nachweislich mit Ermächtigung des A für die ehemalige GbR AB-Architekturbüro erhoben worden sei. Sollte eine Prozessstandschaft nicht möglich sein, so beantrage er, seine Klage in eine Klage der GbR umzudeuten. Er habe bereits in seinem Klageschriftsatz deutlich gemacht, dass er als ehemaliger Gesellschafter der GbR klage.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Gegen einen Gewerbesteuermessbetragsbescheid könne nur die GbR als Steuerschuldnerin klagen. Dies gelte auch bei Vollbeendigung der GbR. Für eine Auslegung oder Umdeutung der im Namen des B erhobenen Klage in eine solche der GbR bestehe in Anbetracht der eindeutigen Erklärung kein Raum. Zudem sei B anwaltlich vertreten gewesen. Auch habe A namens der GbR bereits einen Tag zuvor Klage erhoben. B sei auch nicht Gesamtrechtsnachfolger der GbR geworden.
B hat als ehemals Beteiligter der GbR, "hilfsweise" namens der GbR Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die sich auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt. Zu klären sei die Rechtsfrage, ob der einzige (verbleibende) Gesellschafter gegen einen gegenüber einer zivilrechtlich nicht mehr existierenden GbR ergangenen Gewerbesteuermessbetragsbescheid klagen könne. Die Zurückweisung der Klage als unzulässig sei verfahrensfehlerhaft. Das FG habe sich nicht mit dem Vorbringen des B auseinander gesetzt, dass er als Gesellschafter in Sachen GbR geklagt habe. Das FG habe zudem den Grundsatz des fairen Verfahrens und seine Prozessfürsorgepflicht verletzt, wenn es einerseits den Gesellschafter A durch den Hinweis auf die von B erhobene Klage zur Klagerücknahme veranlasse und andererseits die von B erhobene Klage mangels Klagebefugnis als unzulässig abweise.
Entscheidungsgründe
II. Die namens der GbR von B eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Das FG durfte die Klage nicht als unzulässig abweisen. In der unrichtigen Beurteilung von Sachurteilsvoraussetzungen liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 78, m.w.N.).
Zwar ist der Auffassung des FG beizupflichten, dass in dem Verfahren, das Gewerbesteuermessbescheide betrifft, Steuerschuldner, Adressat des Gewerbesteuermessbetragsbescheides und Verfahrensbeteiligte vor dem FG die GbR, bestehend aus B und A, ist (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juli 2004 IV B 232/02, BFH/NV 2005, 352). Die mit Schriftsatz vom 15. Mai 2002 vom Kläger erhobene Klage lässt jedoch hinreichend Raum für die Auslegung, dass sie für die GbR erhoben worden ist.
1. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, Prozesserklärungen in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auszulegen. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Zudem ist nach ständiger Rechtsprechung nicht nur das Gewicht der mit der Erklärung verbundenen Rechtsfolgen, sondern vor allem auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang und mit welcher Intensität der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz durch die in Frage stehende Prozesserklärung berührt wird. Eine unklare Prozesserklärung ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) im Zweifel so auszulegen, dass das Ergebnis dem Willen eines verständigen Beteiligten entspricht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 8. Januar 1991 VII R 61/88, BFH/NV 1991, 795; vom 27. Mai 2004 IV R 48/02, BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964; vom 15. Dezember 1998 VIII R 74/97, BFHE 187, 404, BStBl II 1999, 300). Diese Grundsätze sind allgemein gültig. Die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger von einem Rechtsanwalt oder Steuerberater vertreten wird, schließt eine Rechtsschutz gewährende Auslegung nicht aus (BFH-Urteil in BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964). Nur wenn die Prozesserklärung klar und eindeutig ist und offensichtlich dem bekundeten Willen des Beteiligten entspricht, besteht grundsätzlich --wovon auch das FG zu Recht ausgeht-- kein Raum für eine gegenteilige Auslegung.
2. Eine solche klare und eindeutige Aussage enthält der Klageschriftsatz nicht. Zwar wird die Klage eingangs als eine solche des B persönlich bezeichnet. Daran schließt jedoch der Zusatz an "als ehemals Beteiligter an der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts AB-Architekturbüro". Erhebt der Gesellschafter einer GbR gegen einen gegenüber der Gesellschaft ergangenen Steuerbescheid Klage, ist im Sinne der Rechtsschutz gewährenden Auslegung von Prozesserklärungen im Allgemeinen davon auszugehen, dass die Klage "für" die Gesellschaft erhoben wird (BFH-Urteil in BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964).
Auch das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 2. April 2002 X B 167/01, BFH/NV 2002, 916; BFH-Urteil vom 16. März 1999 X R 41/96, BFHE 188, 528, BStBl II 1999, 565, m.w.N.) gebietet eine solche Auslegung. Der im Verfahren 2 K 2188/02 zuständige Finanzrichter hat mit seinem Hinweis, dass "zum selben Verfahrensgegenstand eine weitere Klage" anhängig sei, zu erkennen gegeben, dass dem Erfolg der Klage 2 K 2188/02 die negative Sachentscheidungsvoraussetzung einer doppelten Rechtshängigkeit entgegen stehen dürfte (z.B. Gräber/ von Groll, a.a.O., § 66 Rdnr. 6, m.w.N.). Damit hat er, wie der weitere Verfahrensablauf verdeutlicht, die Zurücknahme dieser --nach Auffassung der Vorentscheidung allein zulässigen-- Klage veranlasst. Nunmehr die Klage 2 K 2276/02 als eine ausschließlich namens des Klägers erhobene zu beurteilen und ohne Hinzutreten weiterer Umstände als unzulässig abzuweisen, widerspricht dem Grundsatz auf ein faires Verfahren.
3. Das FG wird im 2. Rechtsgang feststellen müssen, ob --wie von B vorgetragen-- der frühere Mitgesellschafter A zur Klageerhebung bevollmächtigt oder die Klageerhebung genehmigt hat, ggf. ob er die Klageerhebung genehmigt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. Dezember 2004 II R 17/04, BFHE 208, 386, BFH/NV 2005, 735; vom 30. November 1988 I R 168/84, BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514).
Fundstellen
Haufe-Index 1447875 |
BFH/NV 2006, 68 |