Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält auch für Rechtsstreitigkeiten über Einheitswerte des Grundvermögens, die nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 festgestellt worden sind, zunächst daran fest, daß der Streitwert grundsätzlich mit 40 v. T. des streitigen Wertunterschieds zu bemessen ist.
2. Im Beschwerdeverfahren gegen die Streitwertfestsetzung eines FG ist es dem BFH nicht verwehrt, den Streitwert zum Nachteil des Beschwerdeführers zu ändern, wenn die Entscheidung bis zum Ablauf des Kalenderjahres ergeht, das auf die rechtskräftige Erledigung der Hauptsache folgt.
Normenkette
FGO § 140 Abs. 3, § 146 Abs. 2
Tatbestand
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des FG hat den Streitwert zum Zwecke des Kostenansatzes mit 40 v. T. des durch die Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswertes von 46 100 DM für das Einfamilienhaus des Beschwerdeführers angenommen. Auf die Erinnerung ermäßigte das FG den Streitwert auf 25 v. T. des Einheitswertes. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Wertsteigerung der Einheitswerte des Grundvermögens aufgrund der Hauptfeststellung 1964 durch eine Ermäßigung der Steuerbelastung ausgeglichen werden solle. Diese Ermäßigung könne nur grob geschätzt werden. Es sei jedoch gerechtfertigt, im Anhalt an die sachkundige Schätzung der Finanzverwaltung die Streitwertpauschale für Rechtsstreitigkeiten über Einheitswerte des Grundvermögens, die nach Wertverhältnissen 1964 festgestellt werden, auf 25 v. T. zu bemessen. Das FG hat die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Der Beschwerdeführer hat beantragt, den Streitwert auf 5 v. T. des zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswertes festzusetzen.
Das FA hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auf die Beschwerde wird die Vorentscheidung aufgehoben.
1. Der Senat folgt dem Beschwerdeführer nicht darin, daß der Wert des Streitgegenstandes nicht nach der Höhe des festgestellten Einheitswertes bestimmt werden dürfe. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Klage geltend gemacht, der Feststellungsbescheid über die Hauptfeststellung des Einheitswertes für sein Einfamilienhaus zum 1. Januar 1964 sei nichtig, zumindest aber unwirksam, weil er keinerlei steuerliche Bedeutung habe und nicht abzusehen sei, ob er überhaupt steuerliche Bedeutung erlangen werde. Damit könnte er erst Rechtswirkungen entfalten, wenn das Gesetz ergangen sei, das die Besteuerung auf der Grundlage der Einheitswerte 1964 anordne. Der Senat hat mit Urteil III R 108/69 vom 22. Januar 1971 (BFH 101, 277, BStBl II 1971, 295) entschieden, daß diese Rechtsauffassung nicht dem geltenden Recht entspricht. Die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil wurde vom BVerfG mit Beschluß 1 BvR 163/71 vom 27. Juli 1971 zur Entscheidung nicht angenommen, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Auch der Umstand, daß die zum 1. Januar 1964 allgemein festgestellten Einheitswerte nach einer Äußerung der Bundesregierung ab 1. Januar 1974 mit dem 1,4fachen des festgestellten Betrags der Besteuerung zugrunde gelegt werden sollen (vgl. Bulletin Nr. 95 vom 23. Juni 1971 S. 1033), führt nicht dazu, daß die Einheitswerte 1964 keinerlei steuerliche Wirkung hätten. Denn diese beabsichtigte allgemeine Erhöhung, die den veränderten Wertverhältnissen entspricht, kann z. B. auch durch die Vorschriften über die Bemessungsgrundlage in den Einzelsteuergesetzen, die an den Einheitswert anknüpfen, angeordnet werden.
Dadurch, daß der Beschwerdeführer die Wirksamkeit des Feststellungsbescheids über die Hauptfeststellung 1964 verneinte, hat er auch bestritten, daß ein Einheitswert in der in dem Bescheid bezeichneten Höhe festgestellt werden durfte. Denn es ist denkgesetzlich unmöglich, die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts im ganzen zu behaupten und gleichzeitig anzuerkennen, daß dieser Verwaltungsakt in bezug auf einzelne Feststellungen, hier in bezug auf die Höhe des festgestellten Einheitswertes, unbestrittene Rechtswirkungen habe. Das FG ist somit für die Bemessung des Streitwerts zu Recht davon ausgegangen, daß Grundlage der festgestellte Einheitswert sein müsse, und zwar in voller Höhe, weil die Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids vom Beschwerdeführer auch in vollem Umfange bestritten wurde. Der vom Beschwerdeführer herangezogene Vergleich mit der Bemessung des Streitwerts in Aussetzungssachen in Höhe von 10 v. H. des Betrags, um den im Verfahren über die Hauptsache gestritten wird (vgl. Entscheidung des BFH VII B 29/66 vom 6. Februar 1967, BFH 87, 410, BStBl III 1967, 121), greift deshalb nicht durch, weil in Aussetzungssachen nicht über die Wirksamkeit des Verwaltungsakts im ganzen entschieden wird, sondern nur in einem summarischen Verfahren darüber, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen.
Dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, der aus der Höhe des Einheitswertes sich ergebende Streitwert müsse zumindest abgezinst werden, weil die Einheitswerte 1964 erst ab 1974 der Besteuerung zugrunde gelegt würden, vermag der Senat deshalb nicht zu folgen, weil es sich bei der Streitwertbemessung nicht um die Bewertung einer eventuellen Forderung der Parteien gegeneinander, sondern um die Bestimmung des steuerlichen Interesses an dem Rechtsstreit handelt. Dieses Interesse ist aber unabhängig davon, wann die steuerliche Wirksamkeit des angefochtenen Bescheids eintritt.
2. Der Streitwert einer Anfechtungsklage bestimmt sich nach dem finanziellen Interesse, das der Kläger an der Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts hat. Die Schwierigkeit der Bemessung des Streitwerts für Rechtsstreitigkeiten über Einheitswertbescheide besteht darin, daß bei Anfechtung eines derartigen Feststellungsbescheids nicht unmittelbar ein Steuerbetrag streitig ist. Gegenstand des Rechtsstreits ist vielmehr die gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlage für eine Mehrzahl von Steuern. Für die Streitwertbemessung für dieses Verfahren bieten sich damit zwei Möglichkeiten an, nämlich die Einzelberechnung oder die pauschale Streitwertermittlung. Der BFH hat dem RFH folgend (vgl. RFH-Entscheidung III A 864/31 vom 17. Dezember 1931, RStBl 1932, 228) den Streitwert für Rechtsstreitigkeiten über Einheitswertbescheide pauschal ermittelt. Dies ist darin begründet, daß den Gerichten bei der Bestimmung des Streitwerts im Interesse der Vereinfachung ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist (vgl. § 140 Abs. 3 FGO). Diesem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nach Vereinfachung bei der Streitwertbemessung würde es widersprechen, die Steuern, die im jeweils anhängigen Verfahren an den angefochtenen Einheitswertbescheid anknüpfen, einzeln zu berechnen. Denn in diesem Fall müßte nur wegen der Streitwertermittlung einzeln geprüft werden, ob und in welcher Höhe der Kläger z. B. Vermögensteuer, Grundsteuer, Gewerbesteuer zu entrichten hat und dabei müßte über Rechtsfragen mitentschieden werden, die nicht Gegenstand des Verfahrens sein können, für das der Streitwert zu ermitteln ist. Der Senat hält deshalb daran fest, daß der Streitwert für Rechtsstreitigkeiten über Einheitswertbescheide pauschal zu bemessen ist.
3. Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Senats war der Streitwert für Rechtsstreitigkeiten über Feststellungsbescheide, durch die ein Einheitswert für Grundvermögen nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935 festgestellt wurde, seit der Währungsreform von 1948 mit 40 v. T. des streitigen Wertunterschieds zu bemessen (vgl. z. B. BFH-Entscheidung III 194/63 U vom 14. Februar 1964, BFH 79, 5, BStBl III 1964, 235 mit weiteren Nachweisen). Der Senat hält auch für die durch die Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswerte des Grundvermögens zunächst an dieser Streitwertpauschale fest, obwohl in der Literatur gegen die Höhe der Pauschsätze Einwendungen erhoben wurden (vgl. Klapszus, DStR 1967, 457), die zu einem späteren Zeitpunkt eine grundsätzliche Überprüfung der bisherigen Überlegungen erfordern werden. Der Senat sieht sich zu dieser Überprüfung zur Zeit jedoch nicht in der Lage, weil die steuerliche Belastung der nach Wertverhältnissen 1964 festgestellten Einheitswerte des Grundvermögens sich noch im Bereich der politischen Meinungsbildung befindet und sie deshalb nicht überschaubar ist. Das FG konnte seine Auffassung, die Neubewertung des Grundvermögens 1964 werde steuerneutral erfolgen, für die Grundsteuer auf Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl 1965, 851) stützen. Dies hätte allerdings zur Folge, daß die an die Einheitswerte 1964 anknüpfenden Steuersätze in dem Maß gesenkt werden müßten, in dem sich das Einheitswertvolumen 1964 gegenüber dem bisherigen Einheitswertvolumen erhöht. Eine derartige Maßnahme könnte in der Tat dazu führen, daß die nach Wertverhältnissen 1964 festgestellten Einheitswerte verhältnismäßig geringer steuerlich belastet würden, als es die nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerte derzeit sind. Aus den Beschlüssen der Bundesregierung über die Steuerreform 1974 ergibt sich jedoch, daß an der Steuerneutralität der Neubewertung des Grundvermögens möglicherweise nicht mehr in vollem Umfang festgehalten werden wird (vgl. Bulletin Nr. 95 vom 23. Juni 1971, S. 1031 ff.). Bei der Vermögensteuer sehen die Beschlüsse der Bundesregierung zwar eine Erhöhung der Freibeträge vor. Der Tarif soll jedoch nicht in dem Maß gesenkt werden, in dem sich das Volumen der Einheitswerte 1964 im Vergleich zum jetzigen Einheitswertvolumen erhöhen wird. Dies hat seinen Grund darin, daß die Bestimmung des Vermögensteuertarifs im Zusammenhang mit der Beseitigung der Abzugsfähigkeit der gezahlten Vermögensteuer als Sonderausgabe bei der Einkommensbesteuerung gebracht wird. Hinzu kommt, daß die Einheitswerte ganz allgemein mit dem 1,4fachen des festgestellten Werts Besteuerungsgrundlage werden sollen. Damit erscheint dem Senat im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Veränderung der bisherigen Pauschsätze für die Streitwertbemessung bei Streitigkeiten über Einheitswerte des Grundvermögens auch im Hinblick auf die Hauptfeststellung 1964 nicht angezeigt.
4. Streitgegenstand des Verfahrens, das der Beschwerdeführer betrieben hat, war der Einheitswert für sein Einfamilienhaus, und zwar in voller Höhe von 46 100 DM. Der Streitwert dieses Verfahrens bemißt sich deshalb auf 40 v. T. aus 46 100 DM = 1 844 DM.
5. Das FG hat den Streitwert auf 1 152 DM festgesetzt. Es verstößt nicht gegen das Verböserungsverbot, daß der Streitwert auf die Beschwerde vom Senat auf 1 844 DM erhöht wird. Zwar gilt grundsätzlich auch für das Beschwerdeverfahren das Verbot der reformatio in peius. Das Verböserungsverbot folgt daraus, daß das Gericht sachlich an die Anträge des Rechtsbehelfsführers gebunden ist (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Auch im Beschwerdeverfahren sind die Gerichte an die Anträge des Beschwerdeführers gebunden und dürfen über das Beschwerdebegehren nicht hinausgehen (vgl. auch BFH-Entscheidung III B 6/69 vom 4. Juli 1969, BFH 96, 337, BStBl II 1969, 657). Denn die Grundsätze des Klage- und Revisionsverfahrens sind auf das Beschwerdeverfahren anzuwenden, wenn sich der in Betracht kommende Verfahrensgrundsatz in das Beschwerdeverfahren einfügen läßt, ohne mit anderen vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgestellten Grundsätzen in Widerspruch zu geraten (BFH-Entscheidung I B 35/67 vom 31. Juli 1967, BFH 90, 92, BStBl III 1967, 784). Dies ergibt sich auch aus der Überschrift des Abschn. IV der FGO, wonach die in diesem Abschnitt zusammengefaßten Rechtsvorschriften nicht nur für Urteile, sondern auch für andere Entscheidungen gelten. Eine Ausnahme besteht jedoch für die Streitwertfestsetzung.
Nach § 146 Abs. 2 FGO kann das Gericht, das den Streitwert festgesetzt hat, diesen von Amts wegen ändern. Die gleiche Befugnis hat der BFH, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert bei ihm schwebt. Die Möglichkeit, den Streitwert von Amts wegen zu ändern, ist allerdings nur bis zum Ablauf des nächsten Kalenderjahres gegeben, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht damit auch im Beschwerdeverfahren keine Bindung an die Anträge des Beschwerdeführers. Wenn das Verböserungsverbot aber ein Ausfluß der Bindung der Gerichte an die Anträge des Rechtsmittelführers ist, so entfällt es für eine Zeit, während der das Gericht an Anträge nicht gebunden ist. Damit steht das Verböserungsverbot der Erhöhung des Streitwerts durch den BFH nicht entgegen. Die zeitweilige Außerkraftsetzung des Verböserungsverbots in Beschwerdeverfahren gegen den Streitwert beruht offensichtlich darauf, daß der Gesetzgeber eine objektive Festsetzung des Streitwerts wünscht. Erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit tritt der Grundsatz der objektiven Richtigkeit gegenüber dem Schutz des Rechtsmittelführers, durch das Rechtsmittel nicht schlechtergestellt zu werden als zuvor, zurück.
Die Entscheidung gegen den Beschwerdeführer in der Hauptsache wurde mit Zustellung des Beschlusses rechtskräftig, der die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hat. Diese Zustellung gilt am 17. Oktober 1970 als erfolgt. Damit bestand bis zum Ablauf des Kalenderjahres 1971 im Beschwerdeverfahren gegen die Streitwertfestsetzung keine Bindung an die Anträge des Beschwerdeführers.
Fundstellen
Haufe-Index 69617 |
BStBl II 1972, 85 |
BFHE 1972, 316 |