Leitsatz (amtlich)
Ein Antragsteller (Steuerausländer) trägt keinen Rechtsanspruch gegenüber dem BMF auf Unterlassung einer Auskunftserteilung gegenüber der zuständigen Finanzbehörde eines EG-Mitgliedstaates ohne Ersuchen schlüssig vor, wenn die beabsichtigte Auskunft lediglich einen Zahlungsvorgang betrifft und der Antragsteller nur darlegt, daß die Steuer- und Zollabteilung der zuständigen ausländischen Finanzbehörde einen Informationsaustausch untereinander pflege.
Orientierungssatz
1. Bei der Auskunftserteilung nach § 1 Abs. 2 EG-Amtshilfe-Gesetz liegt eine Ermessensüberschreitung, ein Ermessensfehlgebrauch oder ein Ermessensmißbrauch durch den BMF regelmäßig dann nicht vor, wenn kein Interesse eines Steuerinländers an der Unterlassung der Auskunftserteilung erkennbar ist.
2. Im Umkehrschluß aus § 1 Abs. 3 EG-Amtshilfe-Gesetz i.V. mit § 2 AO 1977 folgt, daß Art. 22 Abs. 2 DBA-Frankreich 1959 die Auskunftserteilung nach § 2 Abs. 2 EG-Amtshilfe-Gesetz nicht einschränkt.
3. Ein Anordnungsgrund i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO setzt die Darlegung voraus, daß die Regelung "um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen" nötig erscheint. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung muß auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Die für eine vorläufige Anordnung sprechenden Gründe müssen deshalb so schwerwiegend sein, daß sie die einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1 S. 2; AO 1977 §§ 30, 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; EGAHiG § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Abs. 2, § 1 Abs. 3; DBA FRA Art. 22 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist der ehemalige Inhaber eines Einzelunternehmens in Paris. Aus Geschäftsbeziehungen mit der inländischen Y-GmbH stand dem Antragsteller eine Forderung in Höhe von knapp 100 000 DM zu, die die Y-GmbH am 3.Juli 1980 auf das Konto des Antragstellers bei einer Bank in Luxemburg überwies. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bundesminister der Finanzen --BMF--) beabsichtigt, dem französischen Ministere des Finances Mitteilung von der Zahlung der knapp 100 000 DM zu machen.
Um dies zu verhindern, beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) Köln den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch die dem BMF untersagt wird, die beabsichtigte Mitteilung an das französische Ministere des Finances zu erteilen. Das FG lehnte diesen Antrag durch Beschluß vom 16.April 1987 ab. Der Beschluß des FG wurde dem Antragsteller am 27.April 1987 zugestellt. Er legte am 11.Mai 1987 beim FG Beschwerde ein, der dieses nicht abgeholfen hat. Mit der Beschwerde macht der Antragsteller die Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses geltend.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Der BMF beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen. Das FG hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die besonderen Voraussetzungen des § 114 Abs.1 Satz 2 und Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht erfüllt.
1. Nach § 114 Abs.1 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache unter im einzelnen näher umschriebenen Voraussetzungen eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen. Dazu ist erforderlich, daß ein schlüssig vorgetragener Rechtsanspruch des Antragstellers durch Maßnahmen des BMF gefährdet erscheint (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12.November 1975 I B 73/75, BFHE 117, 220, BStBl II 1976, 118). Ob der vom Antragsteller behauptete Rechtsanspruch tatsächlich besteht, ist im Hauptsacheverfahren zu klären (BFH-Beschluß vom 20.November 1969 I B 47/69, BFHE 97, 285, BStBl II 1970, 83).
2. Im Streitfall fehlt es an einem vom Antragsteller schlüssig vorgetragenen Rechtsanspruch.
a) Ein solcher ergibt sich nicht aus § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) analog i.V.m. Art.2 Abs.1 und Art.1 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Das dort geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt zwar jedermann Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten (Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 15.Dezember 1983 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1). Der Antragsteller hat jedoch in seinem Antrag nicht geltend gemacht, daß von ihm Daten erhoben oder gespeichert würden. Auch betrifft die vom BMF beabsichtigte Mitteilung an das französische Ministere des Finances nur die Zahlung eines Betrages von knapp 100 000 DM durch die Y-GmbH auf ein Konto des Antragstellers bei einer Bank in Luxemburg. Dieser Vorgang ist kein vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschütztes "persönliches Datum" des Antragstellers.
b) Ein Rechtsanspruch des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus § 1004 BGB analog i.V.m. § 30 der Abgabenordnung (AO 1977). Zwar schützt diese Vorschrift u.a. vor der unbefugten Offenbarung der Verhältnisse eines "anderen" durch einen Amtsträger. Auch geht der Begriff des "anderen" über den des Steuerpflichtigen hinaus (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 30 AO 1977 Anm.8). § 30 Abs.4 Nr.2 AO 1977 erklärt jedoch die Offenbarung ausdrücklich für befugt, soweit sie durch Gesetz zugelassen ist. Eine entsprechende Zulassung ergibt sich aus § 2 Abs.2 des EG-Amtshilfe-Gesetzes (EGAHiG), wie unter c) näher auszuführen sein wird.
c) Ein Rechtsanspruch des Antragstellers ergibt sich schließlich auch nicht aus § 1004 BGB analog i.V.m. § 2 Abs.2 Nr.1 EGAHiG. Nach letzterer Vorschrift kann der BMF dem französischen Ministere des Finances als der zuständigen Finanzbehörde eines EG-Mitgliedstaates ohne Ersuchen Auskünfte für die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen sowie der Umsatzsteuer erteilen, wenn Gründe für die Vermutung bestehen, daß französische Steuern verkürzt worden sind oder werden könnten. Entsprechende Anhaltspunkte bestehen im Streitfall schon deshalb, weil der Antragsteller Betriebseinnahmen auf einem Konto bei einer luxemburgischen Bank vereinnahmte und ein solcher Umstand die Vermutung begründet, daß die Einnahme gegenüber den französischen Finanzbehörden nicht erklärt werden sollte. Der beabsichtigten Auskunftserteilung steht § 3 Abs.1 EGAHiG nicht entgegen, weil es an den Voraussetzungen der Vorschrift fehlt. Auf die Voraussetzungen des § 3 Abs.2 EGAHiG muß der erkennende Senat nicht näher eingehen, weil die Vorschrift die Auskunftserteilung in das Ermessen des BMF stellt. Eine Ermessensüberschreitung, ein Ermessensfehlgebrauch oder ein Ermessensmißbrauch des BMF ist regelmäßig dann nicht festzustellen, wenn kein Interesse eines Steuerinländers an der Unterlassung der Auskunftserteilung erkennbar ist.
d) Bei dieser Rechtslage bedarf es keines Eingehens auf Art.22 Abs.2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21.Juli 1959 --DBA-Frankreich 1959-- (BGBl II 1961, 397), weil im Umkehrschluß aus § 1 Abs.3 EGAHiG i.V.m. § 2 AO 1977 folgt, daß Art.22 Abs.2 DBA-Frankreich 1959 die Auskunftserteilung nach § 2 Abs.2 EGAHiG nicht einschränkt.
3. Im Streitfall fehlt es außerdem an der Darlegung und an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes durch den Antragsteller.
a) Ein Anordnungsgrund i.S. des § 114 Abs.1 Satz 2 FGO setzt die Darlegung voraus, daß die Regelung "um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen" nötig erscheint. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung muß auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BFH-Beschluß vom 13.Juni 1975 VI B 22/75, BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717). Die für eine vorläufige Anordnung sprechenden Gründe müssen deshalb so schwerwiegend sein, daß sie die einstweilige Anordnung unabweisbar machen (BFH-Beschluß vom 26.Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233). Als Anordnungsgrund genügen bloße Rechtsnachteile nicht, wie sie von der Erfassung tatsächlich erzielter Einnahmen in einem ausländischen Besteuerungsverfahren ausgehen. Ein Anordnungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn ins Gewicht fallende und über die Besteuerung im Ausland hinausgehende Nachteile glaubhaft gemacht werden.
b) An der Darlegung und Glaubhaftmachung solcher Nachteile fehlt es jedoch im Streitfall. Es ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, daß die konkrete Besorgnis besteht, das französische Ministere des Finances werde die ihm mitgeteilten Informationen an Personen weitergeben, die mit der Durchführung des Besteuerungsverfahrens in Frankreich nicht befaßt sind. Selbst wenn man jedoch eine entsprechende Besorgnis annähme, so ist nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, daß dem Antragsteller daraus ins Gewicht fallende Nachteile drohen würden.
Fundstellen
Haufe-Index 62121 |
BStBl II 1988, 412 |
BFHE 152, 50 |
BFHE 1988, 50 |