Leitsatz (amtlich)
1. Eine Abweichung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nur vor, wenn das FG-Urteil in einer Rechtsfrage von einer Entscheidung des BFH abweicht; ob die Würdigung durch das FG, ohne daß eine Abweichung in dem angeführten Sinne gegeben wäre, sich als zwingend oder zutreffend ansehen läßt, ist für die Frage nach einer Abweichung unerheblich (Anschluß an BVerwG-Beschluß vom 17. Januar 1975 VI CB 133/74, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 115, Rechtsspruch 145).
2. Hat der BFH nach Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsfrage, für welche Divergenz geltend gemacht wird, seine Rechtsprechung geändert, so kann die Nichtzulassungsbeschwerde nur Erfolg haben, wenn sich eine Abweichung auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung anerkennen läßt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
I.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hatte den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wegen der durch dessen Kommanditbeteiligung an einer GmbH & Co. KG angefallenen Gesellschaftsteuer zur Haftung herangezogen. Die nach nur teilweise erfolgreichem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde durch das Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen, wobei das FG ausführte, das FA habe den Kläger zutreffend und ermessensfehlerfrei als Haftenden in Anspruch genommen. Die Grundsätze der Verwirkung rechtfertigten keinen anderen Verfahrensausgang.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das FG-Urteil weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Februar 1973 II R 57/71 (BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573) ab und beruhe auf dieser Abweichung.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet und muß daher zurückgewiesen werden. Das finanzgerichtliche Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des BFH ab.
Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Beschluß vom 17. Januar 1975 VI CB 133/74 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 115, Rechtsspruch 145 m. w. N.; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 115 FGO Rdnr. 6, und Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, S. 44 ff., Rdnrn. 105-109) zu der dem § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechenden Vorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entschieden hat, liegt eine Abweichung in dem hier erörterten Sinne nur vor, wenn die Vorinstanz in einer Rechtsfrage eine andere Ansicht vertritt als das Revisionsgericht in derjenigen Entscheidung, zu der eine Divergenz gegeben sein soll. Dagegen ist es für das Vorhandensein einer Abweichung ohne Bedeutung, ob die Würdigung des Sachverhalts durch die Vorinstanz, ohne daß eine Abweichung in dem eben beschriebenen Sinne vorliegt, als zwingend oder als zutreffend angesehen werden kann. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung des BVerwG an.
Das vom Kläger in seiner Beschwerdeschrift angeführte BFH-Urteil enthält zwar die vom Kläger zitierte Aussage, daß Treu und Glauben die Inanspruchnahme des Haftenden hindern könnten, wenn die Finanzbehörde die rechtzeitige Inanspruchnahme des Steuerschuldners versäumt hat. Dieser Grundsatz ist von dem allgemeinen Prinzip abgeleitet, daß ein Haftungsanspruch verwirkt sein könne, wenn die Finanzbehörde erst nach längerer Zeit an den Haftenden herantritt (BFHE 109, 164, 166 f., BStBl II 1973, 573). Es trifft jedoch nicht zu, daß das FG, wie der Kläger weiter meint, von einer abweichenden Auffassung ausgegangen sei. Das FG hat vielmehr seinen Erwägungen die erörterte BFH-Entscheidung zugrunde gelegt. Dies kommt schon äußerlich darin zum Ausdruck, daß das FG Formulierungen aus dieser Entscheidung verwendet und überdies in dem betreffenden Abschnitt seiner Entscheidungsgründe das BFH-Urteil zitiert hat. Ob dem Kläger darin gefolgt werden könnte, daß das FG bei der Anwendung der Grundsätze aus dem BFH-Urteil nicht zum richtigen Ergebnis gekommen sei - eine Frage, mit der sich der Kläger in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde hauptsächlich befaßt hat -, braucht hier nicht weiter nachgeprüft zu werden; denn, wie bereits erwähnt, würde der Umstand allein, daß sich die Würdigung des Sachverhalts durch das FG etwa nicht als zwingend oder als zutreffend ansehen ließe, für das Vorhandensein einer Abweichung ohne Bedeutung sein.
Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß der Senat inzwischen aufgrund des Urteils vom 4. Juli 1979 II R 74/77 (BStBl II 1980, 126) an der in dem vom Kläger angeführten Urteil BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573 vertretenen Ansicht nicht mehr festhält, bei Vermögensverfall des Schuldners könne Treu und Glauben der Inanspruchnahme des Haftenden schon dann entgegenstehen, wenn die Finanzbehörde die rechtzeitige Inanspruchnahme des Steuerschuldners versäumt hat. Der Senat nimmt seither an, daß in Fällen der vorliegenden Art die Geltendmachung der Haftung nur ausnahmsweise unzulässig sein kann, etwa wenn die fehlgeschlagene Beitreibung der Steuerforderung auf einer vorsätzlichen oder sonstigen besonders groben Pflichtverletzung des zuständigen Beamten der Finanzbehörde beruht. Da eine Änderung in der Rechtsprechung im Rahmen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zu berücksichtigen ist (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rdnr. 14; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 24; Weyreuther, a. a. O., Rdnr. 104), hätte der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt nur Erfolg haben können, wenn von ihm dargetan worden wäre, das FG habe sogar die durch das Urteil II R 74/77 - weiter - gezogenen Grenzen für die Zulässigkeit der Geltendmachung der Haftung mißachtet. Dies ist nicht der Fall, denn aus der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt sich nicht einmal, daß das FG die - engeren - Grenzen für eine Geltendmachung der Haftung aus dem Urteil BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573 ignoriert hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 73291 |
BStBl II 1980, 211 |
BFHE 1980, 313 |