Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfrage des IV. an den XI. Senat: Setzt die Ähnlichkeit eines nicht in § 18 EStG aufgeführten Heilhilfsberufs mit dem Beruf des Krankengymnasten eine staatliche Erlaubnis voraus?
Leitsatz (amtlich)
Der IV. Senat fragt beim XI. Senat an, ob er an der im Beschluss vom 17. Oktober 1996 XI B 214/95 (BFH/NV 1997, 293) geäußerten Auffassung festhält, dass die Ähnlichkeit eines Heilhilfsberufs mit dem Beruf des in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Krankengymnasten voraussetzt, dass für die Ausübung dieses Berufs (auch) eine staatliche Erlaubnis erforderlich ist.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 15; GewStG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt, so auch im Streitjahr (1994), ein Institut für Audio-Psycho-Phonologie, das sich Tomatis-Institut nennt. Dazu hat das Finanzgericht (FG) Folgendes festgestellt: Der Kläger behandelt seine Patienten nach einer Methode, die der Pariser Hals-Nasen-Ohrenarzt und Chirurg Dr. med. Alfred Tomatis in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts begründet hat. Diese Methode basiert auf Erkenntnissen über die Zusammenhänge zwischen Hören und Sprechen sowie über den Einfluss des psychischen Befindens auf das Hören. Zuerst untersucht der Kläger das Ohr des Patienten. Anschließend werden die Patienten umfangreichen Hörtests und psychologischen Tests unterzogen. Zu den Behandlungsmethoden gehört u.a. eine "Hörkur" mit einem "elektronischen Ohr", das die Funktionen des menschlichen Ohrs nachbilden und dem Ohr seine verloren gegangene analytische Hörfähigkeit wiedergeben soll. Den größten Teil der Patienten des Klägers bilden Kinder, die unter dem sog. hyperkinetischen Syndrom und/oder erheblichen Aufmerksamkeitsdefiziten leiden. Der Kläger behandelt aber auch Menschen, die an Hör- und Wahrnehmungsstörungen leiden, wie z.B. einem Gehörsturz. Die Patienten suchen das Institut des Klägers überwiegend aufgrund ärztlicher Empfehlungen auf.
Vor Beginn seiner selbständigen Tätigkeit hat der Kläger ―neben weiteren Qualifikationen auf dem Gebiet der Musik― die A-Prüfung als Kantor und Organist u.a. mit dem Fach Stimmbildung abgelegt. In den Jahren 1985 bis 1990 nahm er an verschiedenen Kursen am Tomatis-Institut in Paris teil. Von 1990 bis 1993 war er als Teilzeitbeschäftigter Assistent von Dr. med. Alfred Tomatis und wurde von diesem über einen Zeitraum von 40 Wochen mit dem Ziel ausgebildet, selbst Ausbilder zu werden. Im Jahre 1994 erwarb der Kläger das Zertifikat zur Befähigung und Berechtigung der eigenständigen Anwendung der Tomatis-Methode. Dem zuständigen Gesundheitsamt war die Tätigkeit des Klägers bekannt, es verlangte aber von diesem keine Erlaubnis zur Ausübung dieser Tätigkeit.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) sah in der Tätigkeit des Klägers einen Gewerbebetrieb und erließ für das Streitjahr (1994) einen entsprechenden Gewerbesteuermessbescheid. Mit seinem dagegen erhobenen Einspruch führte der Kläger aus, er übe eine freiberufliche Tätigkeit aus, da diese der eines Hals-Nasen-Ohrenarztes, eines Heilpraktikers oder eines Logopäden ähnlich sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 221 veröffentlicht. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG im Wesentlichen aus: Zwar sei der Kläger kein Heilpraktiker, da es ihm an einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes ―HeilprG― (RGBl I 1939, 251) fehle. Jedoch sei seine Tätigkeit mit der eines Heilpraktikers vergleichbar und daher eine ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Mit der Revision macht das FA eine Verletzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG geltend.
Zur Begründung seiner Revision führt das FA u.a. aus, eine dem Heilpraktiker ähnliche Tätigkeit übe der Kläger schon deswegen nicht aus, weil es ihm an einer staatlichen Erlaubnis fehle und seine Tätigkeit von den Gesundheitsämtern nicht überwacht werde.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Insbesondere trägt er vor, die Entscheidungen des BVerfG vom 10. November 1999 2 BvR 1820/92 (BStBl II 2000, 158) und in BVerfGE 101, 132, BStBl II 2000, 155 seien auf den Streitfall anwendbar. Das Fehlen gesetzlicher Regelungen könne nicht ausschlaggebend sein, um die Ähnlichkeit seiner Tätigkeit zu der eines Heilpraktikers zu verneinen. Bei der Privilegierung der freien Berufe in Form der Gewerbesteuerbefreiung gehe es letztlich darum, die Kosten der entsprechenden persönlichen qualifizierten Dienstleistung für den Verbraucher niedrig zu halten bzw. ―wie auch bei der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)― die Sozialversicherungsträger zu entlasten, wenn diese, wie im Streitfall, die Kosten übernehmen sollten.
Entscheidungsgründe
Der Senat ist der Auffassung, dass zwar an der Rechtsprechung festzuhalten ist, derzufolge die Ähnlichkeit einer Tätigkeit mit der des Heilpraktikers eine staatliche Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde voraussetzt, dass jedoch die Ähnlichkeit mit dem Beruf des Krankengymnasten nicht von einer staatlichen Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung abhängig gemacht werden darf. Insoweit möchte der Senat die bisherige Rechtsprechung aufgeben.
Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 16. Mai 2002 IV R 94/99, BFHE 199, 261, BStBl II 2002, 565). Die für den vergleichbaren Katalogberuf erforderlichen Kenntnisse müssen nachgewiesen sein, die so qualifizierte Arbeit muss den wesentlichen Teil der gesamten Berufstätigkeit ausmachen und dem ähnlichen Beruf das Gepräge im Sinne des Katalogberufs geben (Senatsurteil vom 18. Mai 2000 IV R 89/99, BFHE 191, 568, BStBl II 2000, 625, m.w.N.; BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 82/94, BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518). Ist für die Ausübung des Katalogberufs eine Erlaubnis erforderlich oder ist die Ausübung des Katalogberufs ohne Erlaubnis mit Strafe bedroht, so kann eine Ähnlichkeit nur gegeben sein, wenn für die Ausübung des vergleichbaren Berufs ebenfalls eine Erlaubnis erforderlich ist (vgl. z.B. Senatsurteile vom 21. September 1989 IV R 117/87, BFHE 158, 372, BStBl II 1990, 153; vom 15. Mai 1997 IV R 33/95, BFH/NV 1997, 751, zu rechts- und steuerberatenden Berufen).
1. Demzufolge ist die Tätigkeit des Klägers nicht der eines Heilpraktikers ähnlich. Es fehlt an der für die Ausübung dieses Berufs notwendigen staatlichen Erlaubnis und der damit verbundenen Überwachung durch die Gesundheitsämter.
Nach § 1 Abs. 1 HeilprG bedarf derjenige, der die Heilkunde ausüben will, ohne als Arzt bestallt zu sein, dazu der Erlaubnis. Die Erlaubnis ist nach § 2 Abs. 1 Buchst. i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz ―HeilprGDV 1― (RGBl I 1939, 259) zu versagen, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Das Ausüben der Heilkunde ohne Erlaubnis ist strafbar (§ 5 HeilprG). Das zuständige Gesundheitsamt ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HeilprGDV 1 zur Rücknahme der Erlaubnis verpflichtet, wenn nachträglich Tatsachen eintreten oder bekannt werden, die eine Versagung der Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 HeilprGDV 1 rechtfertigen würden.
Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, dass derjenige, der eine solche Erlaubnis nicht besitzt, gleichwohl einen dem Heilpraktiker ähnlichen Beruf ausüben kann, wenn durch seine Tätigkeit keine gesundheitlichen Schäden verursacht werden können.
Allerdings erstreckt sich der Erlaubnisvorbehalt des HeilprG nur auf Tätigkeiten, die ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen und die mit der nicht gänzlich unbedeutenden Gefahr gesundheitlicher Schäden verbunden sind, wobei auch nur mittelbare Gesundheitsgefährdungen genügen. Letztere können etwa darin bestehen, dass ernste Leiden nicht frühzeitig erkannt werden (vgl. etwa Urteile des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 25. Juni 1970 I C 53.66, BVerwGE 35, 308, und vom 18. Dezember 1972 I C 2.69, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1973, 579; Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 10. Dezember 1998 I ZR 137/96, NJW 1999, 865; BVerfG-Beschluss vom 7. August 2000 1 BvR 254/99, Deutsches Verwaltungsblatt ―DVBl― 2000, 1765). Diese Einschränkung ist notwendig wegen der zu weit gefassten Definition der Heilkunde in § 1 Abs. 2 HeilprG. Danach ist Ausübung der Heilkunde jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen. Deshalb fielen unter den Erlaubnisvorbehalt bei wörtlicher Auslegung auch zahlreiche heilkundliche Verrichtungen, die mehr handwerklicher oder technischer Art sind, was ersichtlich nicht der Sinn und Zweck des Gesetzes sein sollte (BGH-Urteil in NJW 1999, 865).
Ein Beruf, der sich auf derartige heilkundliche Verrichtungen, die entweder keine ärztlichen Fähigkeiten voraussetzen oder nicht einmal mittelbar zu gesundheitlichen Schäden führen können, beschränkt, ist jedoch der Tätigkeit des Heilpraktikers nicht vergleichbar. Vielmehr ist typisch für den Beruf des Heilpraktikers, dass dieser alle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anwenden darf, die er tatsächlich beherrscht. Darunter fallen gerade auch Tätigkeiten, die bei mangelnden Kenntnissen zu einer Gesundheitsgefährdung beim Patienten führen können. Die Berechtigung zur Ausübung solcher Tätigkeiten wird lediglich begrenzt durch die Verpflichtung, sich der Grenzen seines Wissens und Könnens bewusst zu sein und den Patienten ggf. an einen Arzt zu überweisen (vgl. Rieger, Lexikon des Arztrechts, Stichwort "Heilpraktiker").
Entgegen der Auffassung des FG gelten nicht die Grundsätze, denen zufolge ein ähnlicher Beruf auch dann anzunehmen sein kann, wenn sich die Tätigkeit auf einen Ausschnitt des Feldes des Katalogberufs beschränkt. Die Ähnlichkeit setzt in derartigen Fällen immer voraus, dass wenigstens die Ausbildung in Tiefe und Breite der des Katalogberufs vergleichbar ist (ständige Rechtsprechung; zuletzt Senatsurteil in BFHE 199, 261, BStBl II 2002, 565). Da es für den Heilpraktikerberuf an einem vorgeschriebenen Ausbildungsgang fehlt, kann die Ähnlichkeit des Vergleichsberufs nicht anhand der Ausbildung festgestellt werden. Der Beruf des Heilpraktikers definiert sich demnach ausschließlich durch die Art der Tätigkeit und die damit verbundene Erlaubnispflicht.
Hinsichtlich der Ähnlichkeit mit dem Beruf des Heilpraktikers bleibt der Senat demnach bei der bisherigen Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621).
2. Anders als die bisherige Rechtsprechung hält es der Senat jedoch für möglich, dass eine Berufstätigkeit, die sich auf einzelne heilkundliche Verrichtungen beschränkt, ohne einer staatlichen Erlaubnis zu bedürfen, dem Katalogberuf eines Krankengymnasten ähnlich sein kann.
Allerdings bedurfte nach § 1 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958 ―MBKG― (BGBl I 1958, 985) derjenige, der eine Tätigkeit unter der Bezeichnung als Krankengymnast ausüben wollte, der Erlaubnis. Dasselbe gilt ab 1994 für den an die Stelle des "Krankengymnasten" getretenen Beruf des Physiotherapeuten (§ 1 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie ―MPhG― vom 26. Mai 1994, BGBl I 1994, 1084). Wie der BFH jedoch bereits in seinem Urteil in BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621 erkannt hat, schützt das Gesetz insoweit lediglich die Berufsbezeichnung. Ein Verbot der Ausübung einer inhaltlich der Tätigkeit der Krankengymnasten oder Physiotherapeuten entsprechenden Tätigkeit enthält das Gesetz ―anders als z.B. § 1 Abs. 1 HeilprG― nicht. Die Heilhilfsberufe unterliegen auch nicht dem Verbot des § 1 Abs. 1 HeilprG (vgl. dazu z.B. BVerwG-Urteil in BVerwGE 35, 308; BGH-Urteil vom 4. Februar 1972 I ZR 104/70, NJW 1972, 1132). Die Tätigkeit eines Krankengymnasten oder Physiotherapeuten kann deshalb ―unter einer anderen Berufsbezeichnung― auch von Personen ausgeübt werden, die die nach dem MBKG bzw. MPhG geforderten Voraussetzungen nicht erfüllen. Selbst das unbefugte Führen der Berufsbezeichnung ist nicht strafbar, sondern stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 14 MBKG, § 15 MPhG).
Insoweit ist die Erlaubnis, eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung "Krankengymnast" oder "Physiotherapeut" auszuüben, nicht anders anzusehen, als beispielsweise die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Gleichwohl kann nach der Rechtsprechung des BFH ein Steuerpflichtiger einen ingenieurähnlichen Beruf auch dann ausüben, wenn er nicht über eine staatliche Erlaubnis, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, verfügt. Der BFH hat die unterschiedliche Behandlung der Heil- und Heilhilfsberufe gegenüber den technischen Berufen seinerzeit damit gerechtfertigt, dass gerade bei Heil- und Heilhilfsberufen ein besonderes Bedürfnis nach einer fachgerechten Berufsausübung besteht (BFH-Urteil in BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621 unter II.2.b bb).
Der Senat misst dem Erfordernis einer fachgerechten Berufsausübung bei Heil- und Heilhilfsberufen weiterhin besonderes Gewicht zu. Allerdings ist er nunmehr der Auffassung, dass diese nicht ausschließlich durch eine staatlich reglementierte Ausbildung und Prüfung gewährleistet wird. Dem Ziel, eine fachgerechte Berufsausübung zu gewährleisten, dient auch § 124 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Vorschrift regelt die Zulassung von Erbringern von "Heilmitteln als Dienstleistungen" seitens der gesetzlichen Krankenkassen. Ihr Ziel ist die Sicherung des Versorgungsauftrags der Krankenkassen auf Erhalt bzw. Wiederherstellung der Gesundheit der Versicherten (§ 1 SGB V; Urteil des Bundessozialgerichts ―BSG― vom 25. September 2001 B 3 KR 13/00 R, SozR 3-2500 § 124 Nr. 9). Zuzulassen ist, wer
die für die Leistungserbringung erforderliche Ausbildung sowie eine entsprechende zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis besitzt,
eine berufspraktische Erfahrungszeit von mindestens zwei Jahren nachweist, die innerhalb von zehn Jahren vor Beantragung der Zulassung in unselbständiger Tätigkeit und in geeigneten Einrichtungen abgeleistet sein muss,
über eine Praxiseinrichtung verfügt, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet, und
die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt.
Das BSG hat in seinem Urteil in SozR 3-2500 § 124 Nr. 9 entschieden, dass es sich bei der in § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V geforderten Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung nicht notwendigerweise um eine staatliche Erlaubnis handeln muss, sofern eine solche nicht vorgesehen ist. Demzufolge hat das BSG die Erlaubnis, die einer "Klinischen Linguistin" vom Bundesverband Klinische Linguistik eV zur Führung ihrer Berufsbezeichnung erteilt worden war, als ausreichend angesehen.
In Übereinstimmung mit dieser Betrachtungsweise ist der Senat der Auffassung, dass die Ähnlichkeit eines Heilhilfsberufs ohne staatliche Regelung mit dem Katalogberuf des Krankengymnasten nicht daran scheitern darf, dass der Steuerpflichtige ―naturgemäß― keine staatliche Erlaubnis zur Führung seiner Berufsbezeichnung besitzt. Vielmehr muss es ausreichen, wenn er über die Erlaubnis seiner beruflichen Organisation verfügt, die den Anforderungen einer staatlichen Prüfung für die Ausübung der Heilhilfsberufe vergleichbar ist. Hiermit ist sowohl dem Erfordernis einer vergleichbaren Ausbildung wie auch dem einer Erlaubnis Genüge getan. Es genügt in diesen Fällen, wenn die Berufsbezeichnung beispielsweise durch Wettbewerbs- oder Namensrecht geschützt ist. Diese Auffassung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich Heilhilfsberufe neu entwickeln, ohne dass sogleich eine staatliche Regelung geschaffen wird. Wie der Fall des Senatsurteils vom 29. November 2001 IV R 65/00 (BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149) zeigt, entwickeln sich die staatlichen Regelungen in einzelnen Bundesländern gelegentlich unterschiedlich, was unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bedenklich ist und zu Wettbewerbsverzerrungen insbesondere in Grenzgebieten führt (kritisch gegenüber der bisherigen BFH-Rechtsprechung Wolff-Diepenbrock, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1981, 333, 335; Brandt, DStZ 2002, 867, 869). Vielfach werden auch bei der staatlichen Regelung die bisherigen Ausbildungskriterien der Berufsorganisationen übernommen oder jedenfalls als Übergangsregelung anerkannt. So erhält beispielsweise derjenige, der eine Ausbildung als Logopäde, die der Ausbildung nach dem Gesetz über den Beruf des Logopäden (LogopG) gleichwertig ist, vor In-Kraft-Treten des Gesetzes abgeschlossen hat, auf Antrag eine Erlaubnis, wenn Zuverlässigkeit und gesundheitliche Eignung vorliegen (§ 8 Abs. 3 LogopG; ähnlich z.B. § 10 Abs. 3 des Gesetzes über den Beruf der Podologin und des Podologen vom 4. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3320).
Auch für die Beantwortung der Frage, ob die Tätigkeit des Steuerpflichtigen der eines Krankengymnasten bzw. Physiotherapeuten vergleichbar ist, gibt § 124 SGB V Anhaltspunkte. Nach Abs. 1 der Vorschrift bezieht sich die Zulassung durch die Krankenkassen auf "Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben werden, insbesondere Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprachtherapie oder der Beschäftigungstherapie". Derjenige, der derartige Dienstleistungen erbringt, übt demzufolge eine Tätigkeit aus, die dem Katalogberuf des Krankengymnasten ähnlich ist.
In Anbetracht dessen stellt die Zulassung des jeweiligen Steuerpflichtigen bzw. die regelmäßige Zulassung seiner Berufsgruppe nach § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf des Krankengymnasten ähnlichen Tätigkeit dar (ebenso BFH-Urteil vom 19. Dezember 2002 V R 28/00, zur Veröffentlichung bestimmt, unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 28. Februar 2000, BStBl I 2000, 433 zur Umsatzsteuer; anders BMF-Schreiben vom 3. März 2003 IV A 6 -S 2246- 8/03 zur Einordnung der Einkünfte als freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 EStG).
Fehlt es an einer solchen Zulassung, haben die Finanzämter und ggf. die Finanzgerichte festzustellen, ob die vorstehend dargestellte Vergleichbarkeit der Ausbildung, der Erlaubnis und der Tätigkeit gegeben ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. Dezember 2002 V R 28/00).
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung ab vom Beschluss des XI. Senats des BFH vom 17. Oktober 1996 XI B 214/95 (BFH/NV 1997, 293); die Entscheidung ist trotz ihrer Bezugnahme auf die Rechtsprechung des V. Senats zur Gewerbesteuer ergangen. Eine Abweichung von früheren Entscheidungen des V. Senats ist nicht mehr relevant, nachdem der V. Senat seine bisherige Rechtsprechung aufgrund zweier Entscheidungen des BVerfG geändert hat (BFH-Urteile vom 13. April 2000 V R 78/99, BFHE 191, 441, und vom 19. Dezember 2002 V R 28/00; BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 101, 132, BStBl II 2000, 155, und in BStBl II 2000, 158). Soweit andere Senate früher eine abweichende Auffassung vertreten haben, sind sie nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für die Frage der Abgrenzung von Gewerbetreibenden gegenüber Freiberuflern nicht mehr zuständig (Ergänzende Regelungen II. Nr. 2).
Fundstellen
Haufe-Index 930813 |
BFH/NV 2003, 862 |
BStBl II 2003, 480 |
BFHE 1974, 160 |
BFHE 2004, 160 |
BFHE 202, 160 |
BB 2003, 1110 |
DStRE 2003, 735 |
HFR 2003, 685 |