Entscheidungsstichwort (Thema)
Versäumnis der Klagefrist und tatrichterliche Würdigung
Leitsatz (NV)
Kommt das FG aufgrund einer freien Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO über den Zeitpunkt des Zugangs der Einspruchsentscheidung sei durch den Vortrag des Klägers nicht erschüttert und die Klagefrist sei versäumt, so kann nicht mit Erfolg als Verfahrensfehler gerügt werden, das FG habe die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 47 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 09.06.2010; Aktenzeichen 4 K 1782/09 Kg, AO) |
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog für ihren Sohn Kindergeld. Mit Bescheid vom 26. Januar 2009 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung ab Januar 2007 auf und forderte das für den Zeitraum Januar 2007 bis Oktober 2008 gezahlte Kindergeld in Höhe von 3.388 € zurück. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 14. April 2009).
Rz. 2
Mit ihrer am 28. Mai 2009 beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Anliegen weiter. Im Klageverfahren behauptete sie, die Einspruchsentscheidung sei ihr erst am 29. April 2009 zugegangen.
Rz. 3
Das FG verwarf die Klage wegen Versäumnis der Klagefrist von einem Monat als unzulässig. Es hatte keine Zweifel daran, dass die Einspruchsentscheidung vom 14. April 2009 am Folgetag zur Post gegeben worden sei.
Rz. 4
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, die Revision sei "zur vereinheitlichten Rechtsprechung" zuzulassen. Die Bestätigungen, die das FG bei der Familienkasse und bei der Post eingeholt habe, seien mehrere Monate nach der Zustellung ausgestellt worden. Der handschriftliche Absendevermerk einer Mitarbeiterin der Familienkasse auf der Aktenausfertigung sowie ihre dienstliche Erklärung seien nicht genügend. Möglicherweise sei das Schreiben versehentlich liegen geblieben, auch könne ein Versehen des Postzustellers vorgelegen haben. Sie, die Klägerin, habe die Einspruchsentscheidung am 29. April 2009 in ihrem Hausbriefkasten vorgefunden, bereits am darauffolgenden Tag habe sie einen Besprechungstermin bei ihrem Prozessbevollmächtigten vereinbart. Dieser habe sie bei der Besprechung am 4. Mai 2009 nach dem Datum des Zugangs der Einspruchsentscheidung befragt und deshalb darauf den Vermerk "E: 29.4.09" angebracht. Der Prozessbevollmächtigte könne sich daran erinnern, dass sie, die Klägerin, das Datum ohne Zögern und großes Überlegen genannt habe. Die Annahme, die Einspruchsentscheidung sei ihr bereits am 20. April 2009 zugegangen, sei eine unzulässige Unterstellung. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass sie gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten ein falsches Zugangsdatum angegeben haben sollte.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 6
Mit dem Vortrag, das FG habe die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig verworfen, macht die Klägerin im Kern einen Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend (s. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. April 2004 VII B 181/03, BFH/NV 2004, 1284).
Rz. 7
a) Gemäß § 47 Abs. 1 FGO ist eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) mit dem dritten Tage nach ihrer Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Steuerpflichtige oder Kindergeldberechtigte nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische --Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post-- ernstlich in Betracht zu ziehen ist. An diese Substantiierung sind aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, damit die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Finanzverwaltungsbehörde trifft, nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird (Senatsurteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365). Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist reicht ein abweichender Eingangsvermerk nicht aus (BFH-Beschluss vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389, m.w.N.).
Rz. 8
b) Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat den Sachverhalt aufgeklärt und die tatsächlichen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO gegeneinander abgewogen (Senatsbeschluss vom 31. März 2008 III B 151/07, BFH/NV 2008, 1335). Wenn es danach der Behauptung der Klägerin über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung nicht folgte und keinen Zweifel am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist hatte, so war dies nicht verfahrensfehlerhaft.
Fundstellen
Haufe-Index 2691363 |
BFH/NV 2011, 1110 |