Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Arrest ist keine Dauermaßnahme, er verfolgt nur einen vorübergehenden Sicherungszweck. Wenn keine Besonderheiten vorliegen, ist der Streitwert im Arrestverfahren entsprechend langjähriger Gerichts- und Verwaltungspraxis auf die Hälfte der Hinterlegungssumme festzusetzen.
Normenkette
FGO § 140 Abs. 3; AO § 378; StAnpG § 2
Tatbestand
Das Finanzamt (FA) hat gegen die Bfin., eine amerikanische Kapitalgesellschaft, am 17. März 1965 den dinglichen Arrest gemäß § 378 AO angeordnet, weil für die Jahre 1963 und 1964 mit folgenden geschätzten steuerlichen Verbindlichkeiten zu rechnen sei und ein Arrestgrund vorliege.
Umsatzsteuer für im Inland ausgeführte Leistungen --------------------------------- 16.000 DM Körperschaftsteuer aus unbeschränkter Körperschaftsteuerpflicht ------------------ 20.000 DM Haftung für nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer ---------------------- 170.000 DM zusammen ----------------------------------- 206.000 DM.Hiergegen hat die Bfin. am 23. März 1965 Berufung eingelegt. Im Verlaufe des finanzgerichtlichen Verfahrens hob das FA am 7. Januar 1966 die angefochtene Arrestanordnung auf. Die Beteiligten erklärten die Hauptsache als erledigt. Daraufhin erließ das Finanzgericht (FG) den Beschluß, daß das Land die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe (§ 138 Abs. 1 und 2 FGO). Auf Antrag der Bfin. setzte das FG den Streitwert auf 103.000 DM, d. h. auf die Hälfte der Hinterlegungssumme von 206.000 DM im Arrestverfahren fest.
Der dagegen zum BFH eingelegten Beschwerde mit dem Antrag, den Streitwert auf 206.000 DM festzusetzen, half das FG nicht ab (§ 130 Abs. 1 FGO), indem es sich auf das Urteil des BFH IV 27/52 U vom 17. April 1952 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 56 S. 389 - BFH 56, 389 -, BStBl III 1952, 152) bezog.
Die Bfin. macht im Beschwerdeverfahren folgendes geltend:
Der unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmende Streitwert (§ 140 Abs. 3 FGO) sei in vollem Umfang nicht nur daraufhin nachprüfbar, ob Ermessensmißbrauch vorliege. Die Entscheidung des FG bedürfe der Angabe der Gründe oder überlegungen, warum nur die Hälfte der Hinterlegungssumme als Streitwert festgesetzt worden sei. Die Verweisung auf das Urteil IV 27/52 U, a. a. O., das sich seinerseits auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) VI A 553/32 vom 6. April 1932 (RStBl 1932, 419) stütze, enthalte nicht die erforderliche Konkretisierung, wenn in diesen Entscheidungen schlicht auf die nicht näher begründete übung des RFH hingewiesen werde. Die Aufgabe dieser bisherigen mechanischen Praxis sei um so mehr geboten, als der jetzt in § 140 Abs. 3 FGO enthaltene, das freie Ermessen des Gerichts einschränkende Hinweis "unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten" in der früher maßgeblichen Vorschrift des § 320 Abs. 4 AO nicht enthalten gewesen sei.
Eine analoge Regelung zur Streitwertfestsetzung finde sich in § 3 ZPO. Wegen der erheblichen Schwankungen im Einzelfall könne es einfach weder der ZPO noch der FGO entsprechen, wenn ohne nähere Prüfung des Einzelfalls einheitlich in allen Arrestsachen der Streitwert in Höhe der halben Hinterlegungssumme festgesetzt werde.
Wegen der Bedeutung des Arrestes für die andernfalls vielfach verlorenen Gläubigeransprüche verweist die Bfin. auf Schumann, Kommentar zur Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 1957, S. 293, wonach "bis an die obere Grenze der mit dem Arrest zu sichernden Forderung" gegangen und in dieser Höhe der Streitwert festgesetzt werden soll. Gegenüber der Auffassung, daß der Arrest nur der Sicherung, nicht der endgültigen Befriedigung diene (Riedel-Corves-Sussbauer, Kommentar zur Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., 1966, S. 339, Anm. 5), stelle der vorliegende Fall eine Ausnahme dar, weil die Hinterlegungssumme von vornherein in Höhe der behaupteten Steuerschuldigkeit beantragt worden und der Arrest im Ergebnis der Befriedigung der Ansprüche gleichzusetzen sei, weil ein deutscher Steuerbescheid in den USA, abgesehen von der hier nicht vorliegenden Ausnahme des Art. XVI Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 22. Juli 1954 (BStBl I 1955, 70), nicht vollstreckbar sei.
Der Bg. (FA) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Dem FG könne nicht Mißbrauch oder überschreitung seines Ermessens vorgeworfen werden; denn wie es zu seiner, der Praxis der Gerichte und der Finanzverwaltung entsprechenden Entscheidung gekommen sei, habe erkannt und nachgeprüft werden können. Weder die gegenüber § 320 Abs. 4 AO geänderte Fassung des § 140 Abs. 3 FGO noch § 3 ZPO rechtfertigten es, die bisherige Praxis der Streitwertfestsetzung in Arrestsachen zu ändern. Das Gegenteil sei sogar aus dem Schrifttum zu § 3 ZPO zu entnehmen (Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 28. Aufl., Anhang zu § 3; Hasl, "Die Streitwerte im Zivilprozeß", 2. Aufl., S. 22). Selbst die überlegung, daß sich die gesamte geschuldete Steuer mit der beantragten Hinterlegungssumme decke, könne zu keinem anderen Ergebnis führen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das steuerliche Arrestverfahren dient der Sicherung von Ansprüchen. Das Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers wird zahlenmäßig durch einen in der Arrestverfügung bezeichneten Betrag zum Ausdruck gebracht, durch dessen Hinterlegung der Stpfl. die Beseitigung des Arrestes und die Aufhebung seines Vollzugs erreichen kann (§ 378 Abs. 1 AO). Weil das Arrestverfahren nur eine Sicherung und nicht eine endgültige Befriedigung bewirken soll, hat sich für die Höhe des Streitwerts der Grundsatz herausgebildet, daß er auf die Hälfte der Hinterlegungssumme festzusetzen ist (vgl. die Urteile des BFH IV A 553/32 und des BFH IV 27/52 U, a. a. O.). Erledigt sich der Arrest während des anhängigen Rechtsmittelverfahrens durch Aufhebung oder durch Tilgung der Steuerschuld, so hat zwar damit die Hauptsache ihre Erledigung gefunden, der Prozeß geht aber wegen der Kosten weiter. Die Entscheidung über die Kosten hängt davon ab, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn die Hauptsache nicht ihre Erledigung gefunden hätte.
Auch in der Zivilrechtsprechung und in dem Schrifttum dazu überwiegt die Auffassung, daß der Streitwert des Arrestverfahrens in der Regel niedriger ist als in dem entsprechenden Hauptprozeß (so Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf 8 W 21/59 vom 9. März 1959, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1959 S. 1786; Beschluß des Kammergerichts 1 W 2283/64 vom 25. November 1964, NJW 1965 S. 1029; ferner die Kommentare jeweils zu § 19 des Gerichtskostengesetzes von Lauterbach, Kostengesetze, 15. Aufl., 1966, Anm. 1 - 1/3 bis 1/2 unter dem Wert der Hauptsache; Drischler, Gerichtskostengesetz, 1961, Anm. 2 - nur ein Bruchteil, billigerweise etwa die Hälfte -; ähnlich Mielke, Gerichtskostengesetz, 1965, Anm. 4).
Die Begründung für den hinter dem Wert der Hauptsache zurückbleibenden Streitwert des Arrestverfahrens stimmen weitgehend überein. Das Interesse des Antragstellers geht nicht auf endgültige Befriedigung seines Anspruchs, sondern ist auf die Vorteile gerichtet, die durch die Anordnung und Durchführung des Arrestes erlangt werden. Diese bestehen darin, daß die Durchsetzung der Ansprüche ggf. erleichtert wird und die Möglichkeiten des Schuldners, sein Vermögen dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen, erschwert werden. Der Arrest hat nur eine vorläufige, keine endgültige Wirkung. Er stellt keine Dauermaßnahme dar. Daher liegt der Streitwert eines Arrestverfahrens grundsätzlich niedriger als der Streitwert eines entsprechenden Hauptprozesses.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat im Beschluß 8 W 21/59 vom 9. März 1959, a. a. O., mit Recht die von der Bfin. zitierte Auffassung von Schumann, a. a. O., zurückgewiesen, wonach es auf den Betrag der Hauptforderung ankommt. Maßgebend ist das nach freiem Ermessen zu schätzende Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Maßnahme des Arrestes.
Vielfach wird in Urteilen und Kommentaren hervorgehoben, daß eine Festsetzung des Arreststreitwertes bis zur Höhe des Streitwerts eines entsprechenden Hauptprozesses unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann, wenn dargelegt wird, daß ohne den Arrest die Befriedigung des Antragstellers gänzlich vereitelt worden wäre. Hierzu hat allerdings das Oberlandesgericht Düsseldorf im Beschluß 8 W 21/59 vom 9. März 1959, a. a. O., ausgesprochen, daß es sich hierbei um eine der Voraussetzungen handelt, unter denen ein dinglicher Arrest nach § 917 ZPO überhaupt stattfindet. Solche tatsächlichen Voraussetzungen können jedoch nicht als Maßstab für die Streitwertfestsetzung dienen, wenn sie keine unmittelbaren Beziehungen zu dem Wert des jeweiligen Streitgegenstands haben.
Für die Streitwertfestsetzung im Arrestverfahren besteht kein freies Ermessen im Sinne von Willkür, sondern gebundenes, d. h. pflichtgemäßes Ermessen in den Grenzen des Gesetzes (§ 2 des Steueranpassungsgesetzes). Der Schätzungscharakter dieser vorläufigen Sicherungsmaßnahme erlaubt es, ihren Streitwert dem Zweck und normalen Ablauf des Verfahrens anzupassen, d. h. einen üblichen Satz anzuwenden, solange keine Besonderheiten und Abweichungen vorliegen.
Der Streitfall bietet keine Veranlassung, die langjährige Gerichts- und Verwaltungspraxis der Streitwertbemessung nach der Hälfte der Hinterlegungssumme nicht anzuwenden. Der Bfin. kann auch nicht darin gefolgt werden, daß der erhebliche Kostenaufwand, der in diesem Fall durch zeitraubende und mühevolle Beibringung von Unterlagen und Beweismitteln aus den USA entstanden ist, eine hohe Streitwertbemessung rechtfertige. Es ist eine allgemeine Erfahrungssache, daß schwierige, aufwendige Prozesse um niedrige Streitwerte und mühe- und aufwandslose um hohe Streitwerte geführt werden können. Maßgebend für den Streitwert ist regelmäßig das finanzielle Interesse des Rechtsmittelführers an der wertmäßigen Abweichung des angestrebten von dem angegriffenen Verwaltungsakt. Die Höhe der durch den Prozeß entstandenen Kosten spielt für die Bemessung des Streitwerts keine Rolle. Die Prüfung der Aufwendungen auf ihre Erstattungsfähigkeit, die von der Streitwertfestsetzung unabhängig ist, gehört in das Kostenfestsetzungsverfahren.
Fundstellen
Haufe-Index 412276 |
BStBl III 1966, 653 |
BFHE 86, 786 |