Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlussprüfung bei Klein- und Kleinstbetrieb
Leitsatz (NV)
- Auch bei Mittel-, Klein- und Kleinstbetrieben ist eine Anschlussprüfung möglich. Für die zu prüfenden Besteuerungszeiträume müssen nicht bereits Steuererklärungen abgegeben worden sein.
- Wurde bei einer Vorprüfung eine nicht ordnungsgemäße Gewinnermittlung festgestellt, ist die Anordnung einer sog. Anlassprüfung grundsätzlich nicht unverhältnismäßig.
Normenkette
BpO 2000 § 4 Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 193; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 18.02.2002; Aktenzeichen 6 K 972/01 AO) |
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielt als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Eine Außenprüfung für die Jahre 1994 bis 1996 führte bei ihm zu einem Mehrergebnis von 22 700 DM. Lt. betreffendem Prüfungsbericht war die Gewinnermittlung nicht ordnungsgemäß und waren die Aufzeichnungspflichten des § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfüllt gewesen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ordnete unter Hinweis auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Verfügung vom 19. Juli 2000 beim Kläger eine weitere Prüfung betr. Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1997 bis 1999 an. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Das FA führte in der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2001 u.a. aus, aufgrund der Feststellungen der Vorprüfung sei mit nicht unerheblichen Mehrergebnissen zu rechnen.
Entscheidungsgründe
Die nach Abweisung der Klage erhobene Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist jedenfalls unbegründet.
1. Ob die Ausführungen des Klägers zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechen (s. hierzu etwa den Senatsbeschluss vom 4. März 2002 IV B 109/01, BFH/NV 2002, 1036), ist sehr zweifelhaft. Doch kann dies auf sich beruhen, da die Rechtssache jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat. Der Kläger hat mit der Beschwerde keine Rechtsfrage aufgeworfen, die einer Klärung durch eine weitere Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) bedürfte.
a) Durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass die ausdrücklich auf § 193 Abs. 1 AO 1977 gestützte Anordnung einer Prüfung bei einem freiberuflich Tätigen keiner weiteren Begründung bedarf; das gilt auch für einen Kleinstbetrieb (ständige Rechtsprechung, vgl. aus der jüngsten Zeit BFH-Beschluss vom 23. Juni 2003 X B 165/02, BFH/NV 2003, 1147). Geklärt ist gleichfalls, dass die Finanzbehörden auch bei Mittel-, Klein- und Kleinstbetrieben weder durch die AO 1977 noch durch die Betriebsprüfungsordnung (Steuer) vom 15. März 2000 ―BpO 2000― (BStBl I 2000, 368) an einen bestimmten Prüfungsturnus gebunden sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1147). Sie können daher auch solche Betriebe einer sog. Anschlussprüfung unterwerfen.
b) Durch die Rechtsprechung des BFH ist ferner entschieden, dass sogar eine sog. Anlassprüfung nur begründet werden muss, sofern dies zum Verständnis der Prüfungsanordnung wegen der besonderen Umstände oder nach Art der angeordneten Maßnahme erforderlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1991 X R 89/89, BFHE 166, 105, BStBl II 1992, 220, sowie BFH-Beschluss vom 12. August 2002 X B 210/01, BFH/NV 2003, 3). Der Kläger übersieht, dass das FA die angefochtene Prüfungsanordnung vom 19. Juli 2000 spätestens in der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2001 ausdrücklich damit begründet hat, dass aufgrund der Feststellungen der Vorprüfung mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei. Dementsprechend legt das Finanzgericht (FG) auf Seite 5 (unten) seines Urteils dar, dass das FA sein Auswahlermessen nachvollziehbar ausgeübt und ausreichend begründet habe, weil es in der genannten Einspruchsentscheidung die bereits in den überprüften Vorjahren (1994 bis 1996) nicht ordnungsgemäße Gewinnermittlung und die seinerzeit fehlenden Aufzeichnungen i.S. von § 22 UStG als Grund für die Prüfung auch der anschließenden Jahre 1997 bis 1999 angegeben habe. In einem solchen Fall sei die Anordnung einer Prüfung auch nicht unverhältnismäßig. Wie selbst der Kläger nicht bezweifelt, hätte eine etwa noch fehlende Begründung noch in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf nachgeholt werden können (vgl. aus der jüngsten Zeit den BFH-Beschluss vom 27. März 2002 XI B 49/00, BFH/NV 2002, 1013).
c) Im Übrigen sieht § 4 Abs. 3 Satz 3 der am 24. März 2000 ―also vor Erlass der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2001― in Kraft getretenen BpO 2000 (vgl. § 39) ausdrücklich vor, dass die Finanzbehörden bei der Festlegung des Prüfungszeitraums nicht daran gehindert sind, auch bei Betrieben, die keine Großbetriebe, Konzerne und international verbundene Unternehmen sind, sog. Anschlussprüfungen vorzunehmen. Die neu gefasste Bestimmung verlangt ―anders als ihre Vorgängerin (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BpO St)― auch nicht mehr, dass für die zu prüfenden Besteuerungszeiträume bereits Steuererklärungen abgegeben worden sind (vgl. z.B. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 194 AO 1977 Tz. 20).
d) Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache schließlich auch nicht etwa deshalb, weil das FA sich ausdrücklich erst im Klageverfahren für die Zulässigkeit einer sog. Anschlussprüfung auf § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 gestützt hat. Das FG-Urteil stellt nämlich zu Recht darauf ab, dass eine solche Prüfung nach der Rechtsprechung des BFH schon vor der Neufassung des § 4 Abs. 3 BpO St zulässig gewesen sei (s. hierzu z.B. das BFH-Urteil vom 8. April 1992 I R 85/89, BFH/NV 1993, 73). Damit ist auch die vom Kläger aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig, ob die Berufung des FA auf die Neufassung der BpO St sich als eine Ergänzung seiner Ermessenserwägungen im Sinne des durch das Steueränderungsgesetz 2001 in § 102 FGO eingefügten und am 23. Dezember 2001 in Kraft getretenen Satzes 2 darstellt und die Anwendung dieser Vorschrift auf ein bereits anhängiges Klageverfahren eine unzulässige Rückwirkung ist.
2. Da das FG seine Entscheidung zusätzlich damit begründet hat, dass schon nach der früheren Rechtslage das FA eine sog. Anschlussprüfung anordnen durfte, hat es keinen von den mit der Divergenzrüge bezeichneten BFH-Entscheidungen abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Eine erneute Entscheidung durch den BFH ist deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht erforderlich.
Soweit der Kläger vorträgt, dass das FA sich in der Einspruchsentscheidung zu Unrecht darauf berufen habe, aufgrund der Vorprüfung sei mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen, so verkennt er, dass es sich insoweit nur um eine Prognose handeln kann. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 28. April 1988 IV R 106/86, BFHE 153, 210, BStBl II 1988, 857) ist es daher zulässig, aufgrund konkreter Anhaltspunkte vom Ergebnis eines bereits geprüften Zeitraums auf andere Zeiträume zu schließen. Wurden bei der Vorprüfung eine nicht ordnungsgemäße Gewinnermittlung und fehlende Aufzeichnungen festgestellt, dann besteht selbst für nachfolgende Besteuerungszeiträume ein entsprechender Aufklärungsbedarf und damit ein Anlass zu einer weiteren Prüfung (BFH-Beschluss vom 4. August 1997 VIII B 77/96, BFH/NV 1998, 192). Das FG-Urteil weicht daher auch insoweit nicht von der Rechtsprechung des BFH ab.
3. Der Senat sieht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO von einer weiteren Begründung sowie einer vollständigen Wiedergabe des Tatbestandes ab.
Fundstellen
Haufe-Index 1093698 |
BFH/NV 2004, 311 |