Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung nur für sog. „Anlassprüfung“; keine Annahme einer tatsächlichen Verständigung bei fehlendem Bindungswillen
Leitsatz (NV)
- Eine besondere Begründung für die Anordnung einer Außenprüfung ist bei einer sog. Routineprüfung nicht erforderlich; es genügt der Hinweis auf § 193 Abs. 1 AO 1977.
- Zwar bedürfen tatsächliche Verständigungen keiner besonderen Form, die Nichteinhaltung der Schriftform, die fehlende Protokollierung und der Vorbehalt der Nachprüfung sind Indiz dafür, dass die Beteiligten sich nicht haben binden wollen.
- Zur Rüge, der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs sei verletzt oder das FG habe gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen.
Normenkette
AO 1977 § 121 Abs. 1 S. 1, § 193 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1-2
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs ―BFH― (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt hat. Denn jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet.
1. a) Eine Abweichung von dem Senatsurteil vom 29. Oktober 1992 IV R 47/91 (BFH/NV 1993, 149) ist nicht erkennbar. In dem dort entschiedenen Fall ging es darum, ob für einen sog. Mittelbetrieb i.S. von § 3 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) ―BpO(St)―, der für die Jahre 1975 bis 1977 einer Außenprüfung unterlegen hatte, bereits nach vier Jahren erneut eine Außenprüfung angeordnet werden kann. Der erkennende Senat führte aus, dass ―da es nicht um eine sog. Anschlussprüfung ginge― der bloße Hinweis auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) genüge. Der Streitfall ist damit nicht vergleichbar, weil der Betrieb des Klägers vor der strittigen Anordnung noch nicht geprüft worden war.
b) Der Streitfall ist auch mit dem Sachverhalt, der dem Urteil des BFH vom 2. Oktober 1991 X R 89/89 (BFHE 166, 105, BStBl II 1992, 220) zugrunde lag, nicht vergleichbar, weil es auch dort darum ging, ob der bloße Hinweis auf § 193 Abs. 1 AO 1977 ausreicht, wenn zwischen dem vorgesehenen Prüfungszeitraum und dem der vorangegangenen Prüfung nur ein ungeprüftes Jahr liegt. Im Übrigen führt der BFH dort unter 3. d ausdrücklich aus, dass eine besondere, über § 193 AO 1977 hinausreichende Begründung für eine sog. "Anlassprüfung" nur daraus hergeleitet werden könne, wenn sie gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wegen besonderer Umstände oder nach Art der angeordneten Maßnahme erforderlich ist. Darunter fällt jedoch die sog. Routineprüfung nicht.
2. Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensmangel.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH gehört zur ordnungsgemäßen Rüge, das Finanzgericht (FG) habe Beweisanträge übergangen, u.a. der Vortrag, warum ein in der mündlichen Verhandlung vor dem FG sachkundig vertretener Beschwerdeführer nicht von sich aus den angeblichen Mangel gerügt habe oder warum die Rüge nicht rechtzeitig erhoben werden konnte (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. November 1999 IV B 152/98, BFH/NV 2000, 693, und vom 10. Juni 1998 IV B 114/97, BFH/NV 1999, 57; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 172). Der Kläger ist aber nicht darauf eingegangen, warum sein Prozessbevollmächtigter nicht von sich aus in der mündlichen Verhandlung auf der Erhebung der angebotenen Beweise bestanden habe.
b) Ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt vor, wenn das FG aufgrund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung ohne entsprechende Sachaufklärung und entgegen dem Vortrag eines Beteiligten von einem bestimmten Sachverhalt ausgeht (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 14/84, BFH/NV 1987, 302). Gleichwohl hat der Kläger einen solchen Verfahrensmangel hier nicht schlüssig gerügt. Das FG hat nämlich für die Frage, ob im früheren Verfahren vor dem FG (Az. 13 K …/92) eine tatsächliche Verständigung mit Bindungswirkung zustande gekommen sei, darauf abgestellt, dass dafür nach dem eindeutigen Wortlaut der Sitzungsniederschrift ―Zusage der Überprüfung der damals angefochtenen Bescheide―, nichts zu entnehmen sei, auch sei der fehlende Bindungswille durch den Vorbehalt der Nachprüfung dokumentiert. Unter diesen Umständen ist für einen Verfahrensfehler nichts ersichtlich. Zwar bedürfen tatsächliche Verständigungen keiner besonderen Form; aber die Einhaltung der Schriftform ist zugleich Indiz dafür, dass sich das beteiligte FA in einer bestimmten Form hat binden wollen (BFH-Urteile vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625; vom 25. November 1997 IX R 47/94, BFH/NV 1998, 580). Ohnehin würde eine tatsächliche Verständigung ―ihr Abschluss einmal unterstellt― nicht weitergehen als die zugrunde liegenden Steuerbescheide (vgl. Senatsurteil vom 30. November 1989 IV R 49/88, BFH/NV 1991, 363). Im Streitfall standen die ursprünglich angefochtenen Steuerbescheide jedoch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Das traf auch auf die nach der angeblichen tatsächlichen Verständigung ergangenen Änderungsbescheide zu. Darauf stellt auch das FG ab. Nach seiner insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung bedurfte es daher weder einer Beweisaufnahme noch einer Beweiswürdigung. Es hat diese daher auch nicht unzulässigerweise vorweggenommen.
c) Aus den unter a und b dargelegten Gründen liegt daher auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO).
d) Der Kläger hat schließlich für den behaupteten Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (vgl. BFH-Beschluss vom 5. April 1994 V B 164/93, BFH/NV 1995, 883) nichts schlüssig vorgetragen. Insbesondere hat er nicht die Aktenteile bezeichnet, die das FG nach seiner Ansicht nicht berücksichtigt haben soll.
Fundstellen
Haufe-Index 509986 |
BFH/NV 2001, 2 |