Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust des Rechts zur Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Abwertende Äußerungen gegenüber einem Beteiligten können die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn die Äußerungen dem Beteiligten einen objektiven Anlaß dafür bieten, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.
2. Ein Beteiligter kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 51 FGO i.V.m. § 43 ZPO nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.
3. Ein Einlassen ist jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln der Beteiligten unter Mitwirkung des Richters. Die Verhandlung kann eine mündliche oder eine schriftliche sein. Hierunter kann z.B. auch das Einreichen eines Schriftsatzes oder die Abgabe einer mündlichen Erklärung fallen.
4. Der Zweck des § 43 ZPO ist es, den Ablehnungsberechtigten zu zwingen, sich sofort nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will oder nicht.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 2, § 43
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in dem noch beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahren darum, ob ein Betrag, den der Kläger und Beschwerdegegner zu 2 (Kläger zu 2) von der Klägerin und Beschwerdegegnerin zu 1 (Klägerin zu 1) nach seinen Angaben für die Übertragung eines Erbbaurechts erhalten hat, zu dessen Sondereinnahmen aus Vermietung und Verpachtung zählt.
Der Berichterstatter, Richter am FG A, fragte am 3. Juni 1992 beim Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -) an, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erkläre. Dem fügte er u.a. folgendes wörtlich hinzu:
Der Beklagte hat bisher zu der Klage keine eigenständige Stellungnahme abgegeben, sondern statt dessen nur auf die völlig unzulänglichen Ausführungen in dem Betriebsprüfungsbericht der Großbetriebsprüfungsstelle vom 17.7. 1978 und in der angefochtenen Einspruchsentscheidung vom 31.5. 1985 Bezug genommen. Sollte der Beklagte auch weiterhin der Meinung sein, über das Klagebegehren sei gerichtlicherseits zu entscheiden, so möge er jedenfalls auf mündliche Verhandlung verzichten. Sollten die Beteiligten auf mündliche Verhandlung nicht verzichten wollen, so wird voraussichtlich noch im Juli oder August ein Verhandlungstermin anberaumt werden (sofern nicht zuvor noch auf Kosten des Beklagten eine Vervollständigung der Steuerakten durch die Kläger in die Wege geleitet werden müßte). Der Beklagte möge jedoch gründlichst erwägen, die Kläger klaglos zu stellen und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären ...
Glaubt der Beklagte ernstlich, seiner Darlegungspflicht und Feststellungslast hinsichtlich eines Scheingeschäfts durch paraphrasierende Einlassungen über die Nichtausschließbarkeit von Vermutungen genügen zu können? - Sollte der Senat zu der Auffassung gelangen (was dem Berichterstatter allerdings unwahrscheinlich dünkt), daß die Frage eines Scheingeschäfts weitere Ermittlungen von Amts wegen erfordert, so wird der Senat sicherlich von der verfahrensmäßigen Möglichkeit des § 100 Abs. 2 FGO Gebrauch machen und den angefochtenen Bescheid zur weiteren behördlichen Sachverhaltsaufklärung aufheben. Der Beklagte möge mitteilen, ob er eine solche Verfahrensweise für wünschenswert und weitere behördliche Sachverhaltsermittlungen im Hinblick auf die Voraussetzungen eines möglicherweise bestehenden Scheingeschäfts für erfolgversprechend hält ...
Zutreffend weisen die Bevollmächtigten der Kläger jedoch darauf hin, daß die Finanzbehörde die Einräumung eines Erbbaurechts gegen Erbbauzins und die Übertragung des Erbbaurechts durch den Erbbauberechtigten auf einen Dritten gegen Entgelt völlig undifferenziert beurteilt hat, genauer: sich der Notwendigkeit differenzierender Überlegungen wohl gar nicht bewußt ist ...
Im Falle der Veräußerung des Erbbaurechts hat der ursprünglich Berechtigte hingegen sein Erbbaurecht völlig aus der Hand gegeben, so daß die Annahme einer zeitlich begrenzten Nutzungsüberlassung nicht möglich ist. Der Veräußernde behält - anders als der ein Erbbaurecht bestellende Grundstückseigentümer - nichts zurück, was ihm nach Ablauf der Erbbaurechtszeit wieder zusteht. Er hat sein Recht wirtschaftlich übertragen, das Entgelt ist der Veräußerungspreis und im Rahmen von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die den Gegenstand des angefochtenen Feststellungsbescheids bilden, nicht zu erfassen. Eine andersartige Beurteilung erscheint kaum vorstellbar und ist - soweit ersichtlich - bisher auch nicht vertreten worden. Der Beklagte möge also die geeigneten Konsequenzen aus seiner bisherigen Fehlbeurteilung ziehen.
Nachdem diese prozeßleitende Verfügung des Berichterstatters dem FA laut Empfangsbekenntnis am 5. Juni 1992 zugegangen war, erörterte der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle B am 10. Juni 1992 telefonisch mit dem Berichterstatter dessen Anfrage vom 3. Juni 1992. Das Telefongespräch hatte laut Aktenvermerk des Berichterstatters folgenden Inhalt:
Herr B rief an und erläuterte folgendes: Er habe sich (i.V. für Frau C, die in Urlaub sei) den Fall angesehen und stimme meiner Beurteilung voll zu, doch wolle er wegen einer Besonderheit nicht sofort selbst entscheiden, sondern die Rückkehr von Frau C abwarten. Er ersehe nämlich aus einer Akte, die dem Gericht nicht übersandt worden sei, daß das FA (Frau C) seinerzeit (Anfang der 80 er Jahre) gegenüber der Groß-Bp und der OFD eine Auffassung vertreten habe, die mit der Äußerung des Gerichts übereinstimme; die OFD habe jedoch seinerzeit - u.a. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zur Behandlung von Erbbauzinsen und Nießbrauchsrechten - eine andere Auffassung vertreten und entsprechende Anweisung erteilt. Die Anlagen zum Feststellungsbescheid (gesonderte Feststellung) seien tatsächlich nirgends aufzufinden (!!). - Der evtl. weitere Verfahrensablauf wurde zwischen Herrn B und mir besprochen. Antragsgemäß gewährte ich neue Stellungnahmefrist (5.8. 1992). Herr B wird zunächst umgehend Ablichtungen des vorgenannten Schriftverkehrs mit der OFD übersenden. Ich stellte nachdrücklich klar, daß der Beklagte seine Verpflichtung zur Übersendung der Steuerakten m.E. kraß verletzt habe.
Nach Rückkehr von Frau C, die den vorliegenden Fall beim FA bearbeitete, lehnte dieses mit Schriftsatz vom 5. August 1992 den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Es stützte sich dabei auf dessen prozeßleitende Verfügung vom 3. Juni 1992. Der abgelehnte Richter habe darin die Prozeßführung des FA derart abgewertet, daß an einer Unvoreingenommenheit des Richters gezweifelt werden müsse. Auch habe er die Rechtsverfolgung des FA als so aussichtslos hingestellt, daß ein weiterer Vortrag des FA die Entscheidung des FG nicht mehr beeinflussen dürfte. Der Richter habe Druck auf das FA ausgeübt und es einzuschüchtern versucht.
Der Berichterstatter erklärte sich in seiner dienstlichen Äußerung vom 31. August 1992 für befangen.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch des FA mit Beschluß vom 19. Januar 1993 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat das FA Beschwerde eingelegt, mit der es im wesentlichen das Vorbringen in seinem Ablehnungsgesuch wiederholt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist im Ergebnis unbegründet.
Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet nach § 51 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
Abwertende Äußerungen gegenüber einem Beteiligten können die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn die Äußerungen dem Beteiligten einen objektiven Anlaß dafür bieten, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45). Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß ein solcher Anlaß für das FA aufgrund der prozeßleitenden Verfügung des abgelehnten Berichterstatters vom 3. Juni 1992 zu bejahen gewesen sein dürfte. Hierüber braucht der Senat für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des FA jedoch nicht abschließend zu befinden. Denn das FA hat ein etwaiges Recht zur Richterablehnung bereits vor Einreichung seines Ablehnungsgesuchs vom 5. August 1992 nach § 51 FGO i.V.m. § 43 ZPO verloren.
Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 43 ZPO nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Der Begriff in eine Verhandlung eingelassen hat wird weit ausgelegt. Die Verhandlung kann eine mündliche oder schriftliche sein. Hierunter kann z.B. auch das Einreichen eines Schriftsatzes oder - wie im vorliegenden Falle - die Abgabe einer mündlichen Erklärung fallen. Denn ein Einlassen ist jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunkts dienendes Handeln der Parteien unter Mitwirkung des Richters (Oberlandesgericht - OLG - Koblenz, Beschluß vom 17. September 1985 4 W 527/85, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1986, 60; Vollkommer in Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl. 1993, § 43 Anm. 4; Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung - Freiber, § 43 Rdnr. 4). Der Zweck des § 43 ZPO ist es nämlich, den Ablehnungsberechtigten zu zwingen, sich sofort nach Kenntnis von dem Befangenheitsgrund zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will oder nicht. Ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf oder nicht, soll nicht in der Schwebe bleiben (Freiber, a.a.O., Rdnr. 1).
Nach diesen Grundsätzen hat das FA ein etwaiges, ihm aufgrund der prozeßleitenden Verfügung des Berichterstatters vom 3. Juni 1992 zustehendes Ablehnungsrecht schon vor seinem Ablehnungsgesuch vom 5. August 1992 aufgrund des Telefongesprächs zwischen dem Berichterstatter und dem Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle B, der ausdrücklich als Vertreter der urlaubsabwesenden Bearbeiterin Frau C handelte, am 10. Juni 1992 verwirkt. Der wesentliche Inhalt dieses Gesprächs laut Aktenvermerk des Berichterstatters ist in dem angefochtenen Beschluß des FG vom 19. Januar 1993 wiedergegeben. Daß dies zutreffend geschehen ist, hat das FA in seiner Beschwerde nicht in Abrede gestellt.
Nach dem Inhalt des Gesprächs laut Aktenvermerk des Berichterstatters muß der Sachgebietsleiter B damals Kenntnis von der vom FA beanstandeten prozeßleitenden Verfügung vom 3. Juni 1992 gehabt haben, auch wenn er nur als Vertreter der bearbeitenden Frau C handelte. Denn er erklärte dem Berichterstatter, sich den Fall in Vertretung der urlaubsabwesenden Frau C angesehen zu haben, und stimmte der Beurteilung der Rechtslage durch den Berichterstatter vollen Umfangs zu.
Die Erklärung des Sachgebietsleiters B gegenüber dem Berichterstatter muß auch als ein Verhandeln, als ein Sicheinlassen in der Sache beurteilt werden. Der Sachgebietsleiter B beschränkte sich nicht darauf, Fristverlängerung für eine Stellungnahme des FA auf die prozeßleitende Verfügung des Berichterstatters vom 3. Juni 1992 im Hinblick auf die Urlaubsabwesenehit von Frau C zu beantragen. Die mündliche Erklärung des Sachgebietsleiters B diente dazu, die Erledigung des Rechtsstreits zu fördern. Ausweislich des Aktenvermerks des Berichterstatters erörterte er mit dem Berichterstatter die Sach- und Rechtslage, pflichtete der Rechtsauffassung des Berichterstatters bei und deutete auch sinngemäß die Möglichkeit an, die Kläger - entsprechend der Anregung des Berichterstatters - klaglos zu stellen. Er wollte nur deswegen nicht sofort entscheiden, weil die Bearbeiterin Frau C noch urlaubsabwesend war und er eine Anweisung der Oberfinanzdirektion (OFD) zur bisherigen Prozeßführung des FA in den Akten festgestellte hatte. Er versprach zur weiteren Prozeßführung dem FG noch fehlende Unterlagen zu übersenden.
Der Sachgebietsleiter B behielt sich bei dem Gespräch vom 10. Juni 1992 schließlich auch kein Ablehnungsrecht aufgrund der prozeßleitenden Verfügung des Berichterstatters vom 3. Juni 1992 vor. Er bekundete vielmehr gegenüber dem Berichterstatter sein Vertrauen in dessen Person als Richter, indem er ausdrücklich der Beurteilung des Streitstoffes durch den Berichterstatter zustimmte, der strittige Bezug des Klägers zu 2 stelle keine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung dar. Damit blieb für das FA kein Raum mehr, später Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters zu bekunden, weil es sich mit seiner Auffassung, der strittige Bezug sei steuerpflichtig, beim Berichterstatter kein Gehör verschaffen könne.
Fundstellen
Haufe-Index 419335 |
BFH/NV 1994, 50 |