Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung des Verfahrens bei Parallelverfahren
Leitsatz (NV)
Eine Vorgreiflichkeit der in einem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung als Voraussetzung für eine Verfahrensaussetzung liegt dann nicht vor, wenn in dem anderen Rechtsstreit lediglich dieselbe Rechtsfrage streitig ist.
Normenkette
FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in dem bei dem Finanzgericht (FG) anhängigen Verfahren darüber, ob ein sog. "Agio-Nachlaß" in Höhe von 13 000 DM als Einnahme bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) als Beteiligter eines Immobilienfonds zu erfassen ist.
Der Kläger hatte im Hinblick auf ein anderes zu der Streitfrage bei dem FG anhängiges Verfahren das Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 251 der Zivilprozeßordnung beantragt. Nachdem der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) dem Ruhen des Verfahrens widersprochen hatte, setzte das FG das Verfahren gemäß § 74 FGO bis zur rechtskräftigen Erledigung des anderen Verfahrens mit der Begründung aus, die Entscheidung des bereits seit dem Jahre 1995 anhängigen Verfahrens sei für die Entscheidung des Rechtsstreits vorgreiflich.
Mit der Beschwerde rügt das FA, die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Ver fahrens seien nicht erfüllt; es sei nicht zu erwarten, daß die Streitfrage in dem anderen Verfahren entschieden werde.
Das FA beantragt, den Beschluß über die Aussetzung des Verfahrens aufzuheben.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt. Nach seiner Auffassung erscheint es aus prozeßökonomischen Gründen sinnvoll, zunächst die Entscheidung in dem anderen Verfahren abzuwarten, auch wenn diese für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht vorgreiflich sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das FG hat das Verfahren zu Unrecht ausgesetzt.
1. Gemäß § 74 FGO kann das Gericht die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet. Voraussetzung einer Verfahrensaussetzung ist mithin die Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 21. August 1986 VI B 91/85, BFH/NV 1987, 43). Zwar muß die vorgreifliche Entscheidung nicht bindend für das auszusetzende Verfahren sein (BFH- Urteil vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986). Für eine Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit genügt es, wenn die in dem anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung einen rechtlich erheblichen Einfluß auf die Entscheidung in dem auszusetzenden Verfahren hat (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1987 I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600, und in BFHE 161, 409, BStBl II 190, 986), z. B. weil dasselbe Rechtsverhältnis betroffen ist und die Entscheidung in dem auszusetzenden Verfahren kraft Gesetzes oder rechtslogisch vom Bestehen oder Nichtbestehen des in dem anderen Verfahren anhängigen Rechtsverhältnis abhängt (BFH-Beschluß in BFH/NV 1987, 43, m. w. N.). Eine solche Vorgreiflichkeit liegt indessen dann nicht vor, wenn in dem anderen Rechtsstreit lediglich dieselbe Rechtsfrage streitig ist (Urteil in BFH/NV 1987, 43; vgl. auch BFH-Beschluß vom 24. Juni 1987 IV R 228/84, BFH/NV 1989, 25).
2. Hiernach sind im Streitfall die Voraussetzungen für die vom FG angeordnete Aussetzung des Verfahrens nicht erfüllt, da in dem anderen Verfahren lediglich dieselbe Rechtsfrage streitig ist. Der angefochtene Beschluß ist daher aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 421933 |
BFH/NV 1997, 365 |