Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Gemeinden haben im Gewerbesteuermeßbetragsverfahren außer der Vertretung im Steuerausschuß (ß 25 Abs. 1 Ziff. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung) die Mitwirkungsbefugnisse der §§ 36 Abs. 2 bis 4 und 100 Abs. 3 AO. Ein Rechtsmittel gegen Gewerbesteuermeßbescheide steht ihnen nicht zu; eine Rechtsmittelbefugnis kann insoweit auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleitet werden. Dies gilt auch für Lohnsummensteuermeßbescheide nach § 27 GewStG.
Das Finanzamt hat, wenn die formellen Voraussetzungen des § 27 GewStG erfüllt sind, dem dort vorgesehenen Antrag durch Erlaß eines förmlichen Lohnsummensteuermeßbescheids zu entsprechen.
Der Gemeinde steht gegen die Ablehnung eines von ihr nach § 27 GewStG gestellten Antrags auf Festsetzung des Steuermeßbetrags nach Lohnsumme die Beschwerde nach § 237 AO zu.
Eine Zerlegung des Steuermeßbetrags im Falle des Vorhandenseins von Betriebstätten eines Unternehmens in mehreren Gemeinden scheidet bei der Lohnsummensteuer aus, da sich diese nach den Lohnsummen in den einzelnen Betriebstätten bemißt. Insoweit ist deshalb auch kein Raum für das für die Zerlegung von Steuerbeträgen oder Steuermeßbeträgen in der AO (§§ 382 u. f. ) besonders vorgesehene Zerlegungsverfahren.
GewStG §§ 27, 35; AO §§ 36 Abs. 2 bis 4, 100 Abs. 3, 237, 238 Satz 1, 382 u. f.; Gesetz über die
Normenkette
GewStG §§ 27, 35; AO §§ 36, 100 Abs. 3, § 382; GG Art. 19 Abs. 4; AO § 229/3
Tatbestand
Die Firma X in A. betreibt ein Baugeschäft. In der Zeit vom 21. Mai bis 23. Dezember 1953 hat sie unstreitig in der Stadt B. eine Bauausführung unterhalten. Die bei dieser anfallenden Löhne hat sie in den Lohnsummensteuererklärungen für die Stadt A. mit berücksichtigt, weil sie angenommen hatte, die Bauausführung werde im Laufe des Oktober 1953 abgeschlossen sein, so daß wegen Nichtüberschreitens der 6-Monatsfrist eine Betriebstätte im Sinne des § 16 Abs. 2 Ziff. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) nicht gegeben sei. Als die Firma später feststellte, daß die Bauausführung in B. doch länger als 6 Monate gedauert hatte, hat sie dies der Stadt B. mitgeteilt und an sie entsprechende Lohnsummensteuer für die Monate Mai bis Dezember 1953 gezahlt. Soweit die Firma die Lohnsummensteuer für die Bauausführung schon an die Stadt A. gezahlt hatte, hat sie diesen Betrag in der Lohnsummensteuererklärung für Dezember 1953 an die Stadt A. in Abzug gebracht.
Mit Schreiben vom 18. August 1954 hat die Stadt A. beim Betriebsfinanzamt gemäß § 27 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) Festsetzung des Steuermeßbetrags nach der Lohnsumme der GmbH für das Rechnungsjahr 1953 beantragt. Das nach § 27 Abs. 1 Satz 1 GewStG erforderliche Interesse an der Festsetzung des Steuermeßbetrags hat sie damit dargetan, daß die Firma X zu Unrecht der Stadt B. für die Monate Mai bis November 1953 für die dortige Baustelle Lohnsummensteuer überwiesen habe, da die Lohnsummensteuer insoweit ihr zustehe. Weil nicht vorauszusehen gewesen sei, daß die Bauausführung in B. länger als 6 Monate bestehen werde, habe nicht vom Beginn der Bauausführung (Mai 1953) an eine Betriebstätte vorgelegen, sondern erst ab Dezember 1953, als die Frist von 6 Monaten tatsächlich überschritten gewesen sei.
Das Finanzamt hat mit Bescheid vom 3. September 1954 den Antrag der Stadt A. mit der Begründung abgelehnt, daß die Bauausführung in B. gemäß § 16 Abs. 2 Ziff. 3 StAnpG wegen des tatsächlichen überschreitens der Dauer von 6 Monaten von Beginn an als Betriebstätte anzusehen sei. In dem Bescheid hat das Finanzamt als zulässiges Rechtsmittel die Beschwerde gemäß § 388 der Reichsabgabenordnung (AO) angegeben.
Die Oberfinanzdirektion hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Die für das Zerlegungsverfahren gemäß § 388 AO gegebenen Rechtsmittel (Beschwerde an die Oberfinanzdirektion und weitere Beschwerde an den Bundesfinanzhof) könnten hier nicht Platz greifen; denn bei der Lohnsummensteuer komme nach § 35 GewStG ein Zerlegungsverfahren nur bei mehrgemeindlichen Betriebstätten in Betracht, ein Fall, der hier nicht vorliege. Im übrigen könne das den Gemeinden in § 27 GewStG gegebene Antragsrecht nicht zu einer Durchbrechung des Grundsatzes führen, daß den Gemeinden gegen Steuermeßbescheide kein Rechtsmittel zustehe.
Mit der weiteren Beschwerde bestreitet die Beschwerdeführerin (Bfin.) die Eigenschaft des ablehnenden Bescheides des Finanzamts als Steuermeßbescheid. Durch einen solchen werde ein Steuermeßbetrag festgesetzt. Der Bescheid werde durch die hebeberechtigte Gemeinde dem Steuerpflichtigen, dem gegen den Bescheid das Rechtsmittel des Einspruchs zustehe, zugestellt. Das sei hier nicht geschehen. Es würde auch der rechtsstaatlichen Auffassung widersprechen, wenn das Finanzamt über einen Lohnsummensteueranspruch der Gemeinde selbst entscheiden könnte, wogegen alle Ermessensentscheidungen durch die Steuergerichte nachprüfbar seien. Zur Sache nimmt die Bfin. im wesentlichen auf ihre früheren Ausführungen Bezug.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der weiteren Beschwerde ergibt folgendes: Nach § 23 Abs. 1 GewStG ist bei der Lohnsummensteuer Besteuerungsgrundlage die Lohnsumme, die an die Arbeitnehmer der in der Gemeinde belegenen Betriebstätte gezahlt worden ist. Die Lohnsummensteuer wird also nicht wie die Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital für das ganze Unternehmen, sondern für jede Betriebstätte gesondert errechnet (vgl. Kirmse, Blattei-Kommentar "Gewerbesteuer", XII B I 2). Demgemäß erfolgt auch die Festsetzung des Lohnsummensteuermeßbetrags im Rahmen des § 27 GewStG nicht für das ganze Unternehmen, sondern für die einzelne gemeindliche Betriebstätte (vgl. Kirmse, a. a. O., XII C II 2; Blümich-Boyens-Steinbring, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 5. Aufl., Anm. 1 zu § 27 und Gewerbesteuer-Richtlinien 1951 Abschn. 106 Abs. 2). Die Frage, in welchen Gemeinden ein Unternehmen Betriebstätten unterhält, wird somit bei der Lohnsummensteuer bereits im Verfahren über die Festsetzung des Steuermeßbetrags entschieden. Eine Zerlegung des Steuermeßbetrags, wie sie für die Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und Gewerbekapital im Falle des Vorhandenseins von Betriebstätten eines Unternehmens in mehreren Gemeinden vorzunehmen ist, scheidet hiernach bei der Lohnsummensteuer, die sich nach den Lohnsummen in den einzelnen Betriebstätten bemißt, aus (vgl. Kirmse, a. a. O., XII C VI). Es ist deshalb insoweit auch kein Raum für das für die Zerlegung von Steuerbeträgen oder Steuermeßbeträgen in der AO (§§ 382 ff.) besonders vorgesehene Zerlegungsverfahren. Eine Zerlegung des Steuermeßbetrags und deshalb auch die Anwendung der genannten besonderen Vorschriften über das Zerlegungsverfahren kommen , worauf die Vorbehörde zutreffend hingewiesen hat, bei der Lohnsummensteuer vielmehr nur in den Fällen in Betracht, in denen sich eine Betriebstätte über mehrere Gemeinden erstreckt (ß 35 GewStG). Soweit in dem in der Vorentscheidung angeführten Beschluß des Senats I B 112/51 vom 15. Januar 1952 eine andere Rechtsauffassung vertreten ist, wird sie nicht aufrechterhalten.
Der Vorbehörde ist auch darin beizutreten, daß gegen die Festsetzung eines Gewerbesteuerbetrags der Gemeinde grundsätzlich kein Rechtsmittel zusteht. Bis zum Erlaß des StAnpG vom 16. Oktober 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 925) hatten die Länder und Gemeinden als Träger von Hoheitsrechten im Hinblick auf ihre Vertretung im Steuerausschuß eine allgemeine Rechtsmittelbefugnis gegen Bescheide der Finanzämter, an denen der Steuerausschuß mitgewirkt hatte. Dieses Recht ist durch das StAnpG (ß 21 Ziff. 41) im Zusammenhang mit der Ersetzung des Steuerausschusses durch den Beirat beseitigt worden. Gleichzeitig mit dem Erlaß des GewStG vom 1. Dezember 1936 sind durch § 28 Ziff. 13 und Ziff. 23 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom gleichen Tage (Reichsgesetzblatt I S. 961) in die AO Bestimmungen aufgenommen worden, die den Gemeinden gewisse Mitwirkungsrechte im Besteuerungsverfahren, insbesondere bei der Gewerbesteuer, eingeräumt haben. Es handelt sich um die Vorschriften des § 36 Abs. 2 bis 4 und des § 100 Abs. 3 AO. Nach der ersteren Bestimmung hat die Gemeinde im wesentlichen die Befugnis, sich über die Besteuerungsgrundlagen zu unterrichten und dem Finanzamt ihre Auffassung zur Kenntnis zu bringen. Die letztgenannte Vorschrift gewährt der Gemeinde darüber hinaus einen Rechtsbehelf durch Herbeiführung einer dienstaufsichtlichen Entscheidung der Oberfinanzdirektion. Die genannten Vorschriften sind auch nach der Wiedereinführung des Steuerausschusses sowie der Vertretung der Gemeinden darin durch die §§ 23 und f. des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (Bundesgesetzblatt S. 448) unverändert bestehen geblieben. Daraus, daß von der Wiedereinräumung der Rechtsmittelbefugnis an die Gemeinden abgesehen worden ist, muß geschlossen werden, daß der Gesetzgeber die durch das Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen gewährten Mitwirkungsrechte in Verbindung mit der Vertretung im Steuerausschuß (ß 25 Abs. 1 Ziff. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung) als für die Wahrung der Interessen der Gemeinden ausreichend betrachtet hat.
Die Rechtsmittelbefugnis der Gemeinden gegen Gewerbesteuermeßbescheide kann auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) abgeleitet werden. Danach kann "jemand", der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, den Rechtsweg beschreiten. "Jemand" kann zwar nach dem damit verbundenen weiten Begriff außer einer natürlichen Person auch eine juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts sein (vgl. von Mangoldt, Bonner Grundgesetz, S. 122 und Bonner Kommentar, Bem. 4a zu Art. 19). Zu beachten ist jedoch, daß Art. 19 Abs. 4 GG eine Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt voraussetzt. Die Vorschrift will den Rechtsträger dort schützen, wo er als Gewaltunterworfener im Banne der machtüberlegenen Obrigkeit steht (vgl. Bonner Kommentar, Bem. 4 e zu Art. 19). Nach der Auffassung des Senats kann sich deshalb eine Körperschaft des öffentlichen Rechts dort, wo sie in ihrer Eigenschaft als Träger von Hoheitsrechten einem anderen Träger von Hoheitsrechten gegenübertritt, auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht berufen. Hinsichtlich der Gewerbesteuer sind aber wegen der zwischen ihnen aufgeteilten Funktionen der Steuermeßbetragsfestsetzung (ß 212 a AO) einerseits und der Steuerfestsetzung (ß 212 b AO) sowie der Steuererhebung (ß 1 GewStG) andererseits sowohl der Staat als auch die Gemeinden Hoheitsträger. Da es somit an dem in der Vorschrift vorausgesetzten Unterordnungsverhältnis fehlt, kann Art. 19 Abs. 4 GG keine Rechtsmittelbefugnis der Gemeinden gegen Gewerbesteuermeßbescheide begründen.
Der Oberfinanzdirektion ist schließlich darin zuzustimmen, daß der Grundsatz der Nichtanfechtbarkeit der Gewerbesteuermeßbescheide durch die Gemeinden auch für die gemäß § 27 GewStG erlassenen Lohnsummensteuermeßbescheide trotz des darin den Gemeinden gewährten Antragsrechts gelten muß. Antragsrecht und Rechtsmittelbefugnis korrespondieren nicht notwendig miteinander. Dies ergibt sich aus § 238 Abs. 1 AO, wonach derjenige ein Rechtsmittel einzulegen befugt ist, gegen den der Bescheid oder die Verfügung ergangen ist. Ein Gewerbesteuermeßbescheid ist aber lediglich gegen den Steuerpflichtigen ergangen, mag auch neben diesem der Gemeinde ein Antragsrecht auf Erlaß eines solchen Bescheides zustehen. Die Rechtslage ist hier ähnlich wie in den Fällen des § 212 c Abs. 1 und 2 AO und des inzwischen durch die Neuregelung in § 5 Abs. 2 GewStG gegenstandslos gewordenen § 225 b AO. Auch hier hat die Gemeinde neben dem Steuerschuldner ein Antragsrecht an das Finanzamt auf Erlaß eines schriftlichen Bescheides, jedoch weder eine Rechtsmittelbefugnis noch das Recht, als Beteiligte nach § 241 Abs. 2 AO zugezogen zu werden (vgl. für die Fälle des § 212 c Abs. 1 und 2 AO die Urteile des Reichsfinanzhofs VI 385040 vom 30. Oktober 1940, Reichssteuerblatt - RStBl - S. 962, und III 27/41 vom 19. Dezember 1941, RStBl 1942 S. 27).
Im vorliegenden Fall ist aber das Verfahren des Finanzamts insofern zu beanstanden, als es, obwohl unstreitig die formellen Voraussetzungen des § 27 GewStG gegeben waren, keinen Lohnsummensteuermeßbescheid erlassen, sondern den Antrag der Gemeinde auf Erlaß eines solchen abgelehnt hat. Das Finanzamt war zu einer Ablehnung nicht befugt, sondern hätte einen förmlichen Steuermeßbescheid erlassen müssen. Einem solchen kann, wie der Rechtsbeschwerde zuzugeben ist, der ablehnende Bescheid des Finanzamts nicht gleichgestellt werden. Dieser ist vielmehr als eine gegen die Gemeinde gerichtete Verfügung des Finanzamts zu werten, gegen die ihr nach der allgemeinen Vorschrift des § 237 AO die Beschwerde zusteht.
Um den Weg für das ordnungsmäßige Verfahren freizumachen, waren deshalb die Vorentscheidung und der ablehnende Bescheid des Finanzamts vom 3. September 1954 ersatzlos aufzuheben. Andererseits ist, da nach den vorstehenden Darlegungen den Gemeinden gegen Gewerbesteuermeßbescheide einschließlich der Lohnsummensteuermeßbescheide kein Rechtsmittel zusteht, den Interessen der Stadt A mit dem Erlaß eines endgültigen Lohnsummensteuermeßbescheids nicht gedient. Die Stadtgemeinde kann jedoch auf Grund von § 100 Abs. 3 AO gegebenenfalls verlangen, daß das Finanzamt zunächst nur einen vorläufigen Lohnsummensteuermeßbescheid erläßt, damit dadurch eine dienstaufsichtliche Entscheidung der Oberfinanzdirektion zu der sachlichen Streitfrage herbeigeführt werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 408335 |
BStBl III 1956, 44 |
BFHE 1956, 115 |
BFHE 62, 115 |