Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Überführung einer nicht (mehr) zu aktivierenden ungewissen Forderung in das Privatvermögen; Rückwirkung des Zahlungseingangs nach Betriebsaufgabe auf den Liquidationszeitpunkt
Leitsatz (NV)
1. Eine ungewisse Forderung kann wegen der mit ihrer betrieblichen Entstehung zusammenhängenden Risiken nicht durch Entnahme und auch nicht bei einer Betriebsaufgabe in das Privatvermögen überführt werden.
2. Ein Zahlungseingang nach Betriebsaufgabe stellt ein rückwirkendes Ereignis dar. Der Betriebsaufgabegewinn erhöht sich um den tatsächlich aus der Forderung erlösten Betrag.
Normenkette
EStG §§ 4-5, 16; AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) war bis 1985 einziger Kommanditist einer GmbH & Co. KG (KG) sowie einziger Gesellschafter der Komplementär- GmbH (GmbH).
Im Jahre 1984 führte die KG einen Innenausbau durch. Die Werklohnforderung wurde kreditiert. Als Sicherheit behielt sich die KG das Eigentum an den gelieferten Gegenständen vor. Ferner ließ sie sich etwaige Versicherungsansprüche des Auftraggebers abtreten.
Nach einem Brand im Jahre 1984 stellte der Versicherer die Schadensregulierung zunächst zurück.
Zum ... 1985 wurden die KG und die GmbH liquidiert. Das aufgrund der Liquidationsschlußbilanz errechnete Gesellschaftsvermögen war dem Kläger zuzuweisen. In der Liquidationsschlußbilanz schrieb der Liquidator die Darlehensforderung auf Null DM ab.
1988 zahlte der Versicherer nach einer vergleichsweisen Einigung an den Kläger ... DM.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt X für die Jahre 1983 bis 1985 bei der KG ging dieses Finanzamt davon aus, die Forderung sei zutreffend zum Liquidationszeitpunkt auf Null DM abgeschrieben worden.
Aufgrund einer Kontrollmitteilung erfaßte der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) in dem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1988 (Streitjahr) die Zahlung als nachträgliche Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Über die Klage, die beim Finanzgericht (FG) unter dem Aktenzeichen ... anhängig ist, ist noch nicht entschieden.
Auf den Antrag des Klägers gewährte das FA zuletzt bis zum 31. März 1994 die Aussetzung der Vollziehung. Eine weitere Aussetzung lehnte es ab.
Auch der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung blieb ohne Erfolg. Das FG führte aus: Die zu Recht auf Null DM wertberichtigte Forderung habe weiterhin ihre Betriebsvermögenseigenschaft behalten. Als wertberichtigte Forderung, die nach Grund und Höhe ungewiß gewesen sei, habe sie ebenso wie eine ungewisse Verbindlichkeit nicht entnommen werden können. Forderungen, deren Entstehung und Unsicherheit im betrieblichen Bereich wurzelten, blieben zumindest solange Betriebsver mögen, bis sie eine nach Grund und Höhe gewisse Forderung würden. Nur so werde das Gesamtergebnis der gewerblichen Tätigkeit zutreffend erfaßt.
Die Zahlung sei nicht als Ereignis, das auf den Liquidationszeitpunkt zurückwirke, zu behandeln. Die zur Uneinbringlichkeit der Kaufpreisforderung aus einer Betriebsver äußerung entwickelten Grundsätze seien auf den Streitfall nicht zu übertragen. Denn § 16 Abs. 3 Satz 3 (jetzt Satz 4) des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthalte für den Ansatz des Werts des Betriebsvermögens zur Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns -- anders als für den Veräußerungspreis -- eine Zeitbestimmung. Danach seien die nicht veräußerten Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt der Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) anzusetzen.
Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, trägt der Kläger vor: Die Forderung sei zum Zeitpunkt der Liquidation ins Privatvermögen überführt worden. Spätere Wertänderungen seien weder auf den Zeitpunkt der Liquidation zurückzubeziehen noch dann zu berücksichtigen, wenn sie bekannt würden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1988 vom 19. November 1993 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 1994 in Höhe von ... DM bis zur Entscheidung über die Klage auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Bei der in dem vorliegenden Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 69 FGO Tz. 23) bestehen ernstliche Zweifel i. S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides im Hinblick auf die steuerliche Behandlung der dem Kläger im Streitjahr zugeflossenen Zahlung.
1. FA und FG gehen zunächst zutreffend davon aus, daß der an die Stelle der Werklohnforderung der KG getretene Anspruch gegen den Versicherer als Ausfluß der gewerblichen Betätigung der KG und damit in ihrem Betriebsvermögen entstanden ist. Dem steht nicht entgegen, daß die Forderung, da sie seinerzeit ungewiß war, nicht (mehr) aktiviert werden durfte (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. Februar 1994 IV R 37/92, BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564).
Bei summarischer Prüfung hat sich an der Zugehörigkeit der Forderung zum Betriebsvermögen -- entgegen der Rechtsauffassung des Klägers -- auch bis zum Zeitpunkt der Zahlung im November 1988 nichts geändert. Wie der BFH in dem Urteil in BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564 (m. w. N.), auf das auch das FA hinweist, ausführt, kann eine ungewisse Forderung wegen der mit ihrer betrieblichen Entstehung zusammenhängenden Risiken und Chancen, die sich im betrieblichen Bereich auswirken müssen, nicht durch eine Entnahme und auch nicht bei einer Betriebsaufgabe in das Privatvermögen überführt werden. Sie bleibt grundsätzlich bis zu dem Zeitpunkt eine Betriebsforderung, zu dem sie zu einer dem Grunde und der Höhe nach gewissen Forderung wird.
2. Das FG und das FA vertreten indes -- bei summarischer Prüfung -- zu Unrecht den Standpunkt, die Zahlung wirke nicht auf den Zeitpunkt der Liquidation zurück. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 (BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) wirken nachträgliche Änderungen des Veräußerungspreises steuerrechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung des Betriebs zurück. Die gleichen Grundsätze gelten nach dem Beschluß des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 1/92 (BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894) auch hinsichtlich der für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns maßgeblichen Höhe des Betriebsvermögens. Entsprechendes gilt bei der Ermittlung des Gewinns aus der Aufgabe eines Betriebs (BFH-Urteil in BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564). Bei einer ungewissen Forderung, die nicht zu aktivieren ist, zeigt es sich erst in der Zukunft, ob und in welcher Höhe sie zu einem Gewinn führt. Für Zweke der Besteuerung tritt der später tatsächlich vereinnahmte Betrag aus der Forderung an die Stelle ihres gemeinen Werts im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe. Der Betriebsaufgabegewinn wird entsprechend dem tatsächlich aus der Forderung erlösten Betrag angesetzt. Der vereinnahmte Betrag, der an die Stelle des sonst anzusetzenden gemeinen Werts der Forderung im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe tritt, gehört sachlich zum Betriebsaufgabegewinn. Der Zahlungseingang stellt ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 dar (BFH-Urteil in BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564).
Hiervon ausgehend führt -- bei summarischer Prüfung -- die Versicherungszahlung nicht zu nachträglichen Einkünften aus Gewerbebetrieb im Streitjahr. Sie ist dem für das Jahr 1984 zu ermittelnden Betriebsaufgabegewinn bzw. -verlust zuzuordnen. Der Gewinnfeststellungsbescheid für dieses Jahr ist, falls nicht Festsetzungsverjährung eingetreten ist, ggf. nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern.
Fundstellen
Haufe-Index 420591 |
BFH/NV 1995, 1060 |