Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Richterablehnung wegen Hinweises auf Saldierung
Leitsatz (NV)
Das Gericht hat auch diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu überprüfen, die zwischen den Beteiligten nicht streitig sind. Dies kann sich zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Der Hinweis des Berichterstatters, daß bestimmte, bisher nicht streitige Besteuerungsgrundlagen in die Beurteilung mit einzubeziehen sind, kann daher in keinem Fall als partei liches Verhalten eines Richters gewertet werden.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42-44
Tatbestand
In dem beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahren begehren die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Herabsetzung ihrer Einkommensteuerschuld für 1988 von ... DM auf 0 DM. Sie machen u. a. einen niedrigeren Gewinn des Klägers aus freiberuf licher Tätigkeit, höhere Absetzung für Ab nutzung (AfA) im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie höhere außergewöhnliche Belastungen geltend. Berichterstatter des Verfahrens beim FG ist Richter am Finanzgericht A. In seinem Auftrag richtete die Geschäftsstelle des zuständigen Senats am 2. Mai 1994 folgendes Schreiben an die Kläger:"
Die Beteiligten werden auf folgendes hingewiesen: Unter Berücksichtigung des BFH- Urteils vom 22. 1. 1991 X R 97/89, BStBl II 1991, 686, dürfte die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin zu Unrecht bisher nicht der Besteuerung unterworfen worden sein.
Die Kläger werden aufgefordert mitzuteilen, wann der Versicherungsfall eingetreten ist, und gebeten, entsprechende Bewilligungsbescheide vorzulegen.
Auf richterliche Anordnung.
... "
Die Kläger lehnten daraufhin den Vorsitzenden Richter, den Berichterstatter bzw. den gesamten ... Senat wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie machten geltend, durch das vorgenannte Schreiben werde der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) ermuntert, alle Einkommensteuerveranlagungen seit 1987 wieder aufzurollen und entsprechende Nachversteuerungen in Gang zu setzen, obwohl die Besteuerung dieser Minimalrente nie Gegenstand der bisherigen Veranlagungs- und Einspruchsverfahren gewesen sei. Ein solcher Hinweis, der eine einseitige Bevorteilung einer Prozeßpartei darstelle, verstoße gegen die Pflicht zur richterlichen Neutralität und lasse befürchten, daß der Senat den klägerischen Gegenrügen nicht mehr neutral und unvoreingenommen gegenüberstehen werde. Der Hinweis auf diese, bisher zwischen den Beteiligten nie strei tige steuerliche Behandlung der Rentenzahlungen, sprenge den Rahmen richterlicher Hinweismöglichkeiten und bedeute eine "voreingenommene Gegner-Beratung".
Das FG legte das Ablehnungsgesuch dahingehend aus, daß damit der Urheber des Schriftsatzes vom 2. Mai 1994, Richter am Finanzgericht A, abgelehnt werden solle. Es wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Gründe, die geeignet wären, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, seien weder vorgetragen worden noch nach Lage der Akten ersichtlich. Nach der herrschenden und vom Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung (seit dem Beschluß des Großen Senats vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) vertretenen Auffassung zum Streitgegenstand sei von den FG zu prüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt im Ergebnis rechtmäßig sei. Das Gericht habe deshalb nicht nur über das ihm zur Entscheidung unterbreitete einzelne Rechtsproblem zu befinden, sondern die Steuerveranlagung im vollem Umfang zu überprüfen, wobei es bis zur Grenze des Verböserungsverbots auch andere Besteuerungsgrundlagen in diese Überprüfung einzubeziehen habe und bei einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung insoweit eine Saldierung vorzunehmen sei. Im Verhalten des Berichterstatters liege weder eine einseitige Bevorzugung eines Prozeßbeteiligten noch eine Voreingenommenheit, sondern die zutreffende und gebotene Art und Weise der Bearbeitung des Klageverfahrens.
Mit der Beschwerde machen die Kläger geltend, daß sich ihr Ablehnungsgesuch gegen Berichterstatter A richte und so aufrechterhalten bleibe. Die Äußerung des Berichterstatters vom 2. Mai 1994 verstoße gegen den Grundsatz der richterlichen Unvoreingenommenheit. Sie stelle ein offensichtlich verwaltungsfreundliches Verhalten dar. Die Saldierungsfrage stelle sich im vorliegenden Fall überhaupt nicht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Das auf Anordnung von Richter A gefertigte Schreiben vom 2. Mai 1994 ist bei Würdigung aller Umstände nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung nicht geeignet, an der Unvoreingenommenheit des Richters gegenüber den Klägern zu zweifeln.
Abgesehen davon, daß grundsätzlich nicht einmal fehlerhafte Sachentscheidungen oder unrichtige Entscheidungen in Verfahrensfragen einen Ablehnungsgrund darstellen (vgl. BFH-Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 110/92, BFH/NV 1993, 174), war der Hinweis im Schreiben vom 2. Mai 1994 rechtlich geboten. Wie in dem angefochtenen Beschluß des FG zutreffend dargelegt ist, hat das Gericht bei der Überprüfung des angefochtenen Steuerbescheids innerhalb der durch das Klagebegehren und das Verböserungsverbot gezogenen Grenzen, Fehler des FA zugunsten des Steuerpflichtigen mit Fehlern zu seinen Lasten zu saldieren und umgekehrt; denn Streitgegenstand einer Anfechtungsklage ist nicht ein einzelnes Besteuerungsmerkmal oder eine bestimmte zugrundeliegende Rechtsfrage, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFH-Urteil vom 24. März 1987 X R 27/81, BFH/NV 1987, 473 unter 4). Das bedeutet, daß das Gericht auch diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu überprüfen hat, die zwischen den Beteiligten nicht streitig sind. Dies kann sich zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Der Hinweis des Berichterstatters, daß bestimmte, bisher nicht streitige Besteuerungsgrundlagen in die Beurteilung mit einzubeziehen sind, kann aber in keinem Fall als parteiliches Verhalten eines Richters gewertet werden.
Fundstellen
Haufe-Index 420664 |
BFH/NV 1995, 998 |