Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH und Beiordnung eines Notanwalts; Akteneinsicht durch Konkursverwalterin
Leitsatz (NV)
- Für Anträge auf PKH und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten gilt nicht der Vertretungszwang i.S. von Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG.
- Der Konkursverwalterin steht in einem durch den Konkurs unterbrochenen FG-Verfahren des Gemeinschuldners bereits vor der Aufnahme des Prozesses das Recht zur Akteneinsicht i.S. von § 78 FGO zu.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO §§ 57, 78, 128 Abs. 2, § 142 Abs. 1; ZPO §§ 78b, 114, 240
Tatbestand
I. Der Kläger und Antragsteller (Antragsteller) führt gemeinsam mit seiner ―mit ihm zur Einkommensteuer zusammen veranlagten― Ehefrau vor dem Finanzgericht (FG) einen Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1983 bis 1985, in dem zu entscheiden ist, ob der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt ―FA―) zutreffend Zahlungen des Bruders des Antragstellers als sonstige Einkünfte der Ehefrau des Antragstellers i.S. von § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beurteilt hat. Während des Klageverfahrens ist im Jahre 1998 über das Vermögen des Antragstellers das Konkursverfahren eröffnet worden. Das FA hat die im FG-Verfahren streitige Steuerforderung zur Konkurstabelle angemeldet. Die Konkursverwalterin hat die Steuerforderung im Prüfungstermin bestritten.
Die Konkursverwalterin hat im FG-Verfahren Akteneinsicht beantragt. Das FA hat die Erteilung der Zustimmung abgelehnt, weil die Akteneinsicht wegen des gegenüber der Ehefrau des Antragstellers zu wahrenden Steuergeheimnisses unzulässig sei. Der Antragsteller und seine Ehefrau haben sich im FG-Verfahren zur Frage der Akteneinsicht nicht geäußert.
In einem Zwischenstreit hat das FG daraufhin durch Beschluss … entschieden, der Konkursverwalterin stehe das Akteneinsichtsrecht zu. Gegen den Beschluss hat die Ehefrau des Antragstellers Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.
Mit Schriftsatz vom 5. Januar 2000 hat der Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines beim Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Rechtanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers beantragt.
Entscheidungsgründe
II. Die Anträge auf Gewährung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers sind abzulehnen.
1. Die vom Antragsteller selbst gestellten Anträge sind zulässig; für sie gilt nicht der Vertretungszwang i.S. von Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ―BFHEntlG― (z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1996 V S 11/95, V B 122/95, BFH/NV 1996, 633, unter II. 1., und vom 18. Dezember 1998 III S 7/98, BFH/NV 1999, 945). PKH kann darüber hinaus für jedes Verfahren nach der Finanzgerichtsordnung (FGO) bewilligt werden, auch für Zwischenverfahren (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 142 Anm. 3).
2. Die Anträge sind jedoch unbegründet. Gemäß § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) setzt die Bewilligung von PKH voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das Gleiche gilt für die Beiordnung eines Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers gemäß § 155 FGO i.V.m. § 78b ZPO. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (z.B. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1999 V S 6/99, BFH/NV 2000, 193). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
Die hinreichende Aussicht auf Erfolg fehlt zwar nicht schon deshalb, weil während des Laufs der Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 129 FGO) keine Beschwerde eingelegt worden ist. Dem Antragsteller könnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden (§ 56 FGO), falls nach Bewilligung von PKH ein Prozessbevollmächtigter Beschwerde einlegen und gleichzeitig einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag stellen würde. Die Entscheidung des FG ist auch mit der Beschwerde anfechtbar (§ 128 Abs. 1 FGO); sie gehört nicht zu den prozessleitenden Verfügungen i.S. von § 128 Abs. 2 FGO (BFH-Beschluss vom 29. April 1988 IX B 152/86, BFH/NV 1989, 173, m.w.N.).
3. Der PKH-Antrag ist jedoch mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen, weil selbst eine zulässige Beschwerde des Antragstellers nicht begründet wäre. Das FG hat zu Recht entschieden, der Konkursverwalterin sei Akteneinsicht zu gewähren.
a) Das FG ist zutreffend (stillschweigend) davon ausgegangen, es dürfe über die Gewährung der Akteneinsicht entscheiden, obwohl das den Ehemann der Klägerin betreffende Klageverfahren durch die Eröffnung des Konkurses über dessen Vermögen unterbrochen war (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 240 ZPO). Nach § 155 FGO i.V.m. § 249 ZPO sind zwar die während der Unterbrechung in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der Parteien wirkungslos (vgl. § 249 Abs. 2 ZPO); das Gleiche gilt für nach außen wirkende sachlich- oder verfahrensrechtliche Entscheidungen (Handlungen) des Gerichts, die die Hauptsache betreffen (Feiber in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 249 RdNr. 21 f.; Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl., § 10 Anm. 63; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., S. 737 f.). Die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht ergeht jedoch in einem Zwischenverfahren (z.B. BFH-Beschluss vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; Gräber/Koch, a.a.O., § 78 Anm. 17) und ist damit zulässig. Dementsprechend ist auch der Antragsteller befugt, im vorliegenden Verfahren Anträge zu stellen.
b) Das FG hat zutreffend der Konkursverwalterin das Akteneinsichtsrecht gemäß § 78 FGO zugesprochen. Mit der Konkurseröffnung (im Jahre 1998) ist gemäß § 6 Abs. 1 und 2 der im Streitfall anzuwendenden Konkursordnung ―KO― (vgl. Art. 103 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994, BGBl I 1994, 2911) das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Konkursmasse gehörende Vermögen auf die Konkursverwalterin übergegangen. Das zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung anhängige, eine zur Konkursmasse gehörende Steuerforderung betreffende FG-Verfahren ist unterbrochen (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 240 ZPO; BFH-Urteil vom 7. Oktober 1987 II R 187/80, BFHE 151, 15, BStBl II 1988, 23, m.w.N.), bis es die Konkursverwalterin nach den für den Konkurs geltenden Vorschriften aufnimmt (vgl. § 10 Abs. 1 KO). Die Konkursverwalterin kann zur Feststellung der die Konkursmasse betreffenden Ansprüche unter den gleichen Voraussetzungen und in demselben Umfang die Herausgabe oder die Gewährung von Einsicht in Unterlagen verlangen, wie es ohne den Konkurs der Antragsteller als Gemeinschuldner gekonnt hätte (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 30. November 1989 III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, unter II. 1., betr. Handakten des Rechtsanwalts eines Gemeinschuldners); darüber hinaus ist ab der Konkurseröffnung nur noch sie im Hauptverfahren prozessführungsbefugt (z.B. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1994 VIII R 51/94, BFH/NV 1995, 663, und vom 10. Juni 1970 III R 128/67, BFHE 99, 348, BStBl II 1970, 665; BGH-Urteil vom 16. Januar 1997 IX ZR 220/96, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1997, 1445; Frotscher, Steuern im Konkurs, 4. Aufl., S. 21 f.). Hieraus folgt, dass sie ab diesem Zeitpunkt die einem Beteiligten i.S. von § 57 FGO zustehenden Rechte wahrnehmen und gemäß § 78 FGO Akteneinsicht begehren kann. Dafür spricht auch der Zweck des § 240 ZPO. Die durch die Vorschrift angeordnete Unterbrechung des vom Konkurs betroffenen Prozesses dient u.a. dem Zweck, der Konkursverwalterin genügend Zeit zu geben, sich mit dem Prozessgegenstand zu befassen und zu entscheiden, ob es im Interesse der Konkursmasse und damit der Konkursgläubiger sinnvoll ist, den schwebenden Rechtsstreit zugunsten der Masse fortzuführen (BGH-Urteil vom 29. April 1953 II ZR 132/52, BGHZ 9, 308; Jaeger/ Henckel, a.a.O., § 10 Anm. 1; Feiber, a.a.O., § 240 RdNr. 1). Die hierzu notwendigen Erkenntnisse kann sie ―wie die Vorinstanz zutreffend entschieden hat― am einfachsten und schnellsten durch Einsicht in die den Prozess betreffenden Akten gewinnen. Die Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses (vgl. § 30 der Abgabenordnung ―AO 1977―) steht nicht entgegen. Soweit ihr Verwaltungs- und Verfügungsrecht reicht, kann die Konkursverwalterin als Rechtsnachfolgerin des Antragstellers (Gemeinschuldners) Auskunft über dessen steuerliche Verhältnisse verlangen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 30 AO 1977 Tz. 14; Frotscher, a.a.O., S. 297).
c) Ob der Konkurs ―wie der Antragsteller geltend macht― zu Unrecht eröffnet worden ist, hat der Senat nicht zu prüfen; entscheidend ist die Tatsache der Konkurseröffnung. Der Senat hat im vorliegenden, den Antragsteller betreffenden Verfahren auch nicht darüber zu befinden, ob die Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO 1977) der Ehefrau eine Beschränkung der Akteneinsicht rechtfertigt; denn insoweit fehlt dem Antragsteller die Rechtsbehelfsbefugnis.
4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 425712 |
BFH/NV 2000, 1134 |
DStRE 2000, 946 |