Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß bei Rückbeziehung eines Darlehens die für die Zelt vor Abschluß des Darlehensvertrages und Auszahlung der Darlehensvaluta nachträglich vereinbarten „Zinsen” nicht als Sonderausgaben (Schuldzinsen) berücksichtigt werden dürfen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) schloß im Jahre 1971 bei einer Lebensversicherungs AG zwei Lebensversicherungsverträge mit Versicherungsbeginn ab 1. Januar 1968 und einer Laufzeit bis 1. Januar 1975 ab, und zwar über Versicherungssummen von 1 500 000 DM und 1 000 000 DM. Zur Finanzierung der Prämien gewährte eine Bank dem Antragsteller gegen Abtretung der Rechte aus den Lebensversicherungsverträgen am 28. Dezember 1971 einen Barkredit in Höhe von 2 400 000 DM, der mit einem Betrag von 1 285 000 DM rückwirkend ab 1. Januar 1971 in Anspruch genommen werden sollte. Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1971 berechnete die Bank dem Antragsteller Zinsen in Höhe von 109 225 DM, die dem Konto des Antragstellers am 29. Dezember 1971 belastet wurden.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1971 lehnte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt – FA –) den vom Antragsteller geltend gemachten Abzug des Zinsbetrages von 109 225 DM als Sonderausgaben mit der Begründung ab, die Zinsen für das Darlehen der Bank seien als Versicherungsbeiträge anzusehen und nur im Rahmen der Sonderausgabenhöchstbeträge abzugsfähig. Die Zinsen wirkten sich im Hinblick auf die Ausschöpfung des Sonderausgabenhöchstbetrages aber steuerlich nicht aus. Über den hiergegen eingelegten Einspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden.
Das Finanzgericht (FG) gab dem bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des vorläufigen Einkommensteuerbescheides 1971 in Höhe eines Betrages von 57 876 DM Einkommensteuer und eines weiteren Betrages von 1 737 DM Ergänzungsabgabe auf die Dauer der Anhängigkeit des Einspruchs beim FA statt. Es vertrat die Auffassung, es sei ernstlich zweifelhaft, daß die Zinsen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Versicherungsprämien seien.
Mit der dagegen eingelegten Beschwerde trägt das FA erneut vor, die Darlehensgewährung durch die Bank und die Lebensversicherungsverträge mit der Lebensversicherungs AG seien zwar getrennte Vorgänge, hingen jedoch sachlich und wirtschaftlich eng zusammen. Darüber hinaus ist das FA nunmehr der Auffassung, daß es sich bei dem geltend gemachten Betrag auch nicht um Schuldzinsen handele, weil er kein Nutzungsentgelt für die Überlassung von Kapital darstelle. Eine Rückdatierung der Kapitalüberlassung mit der Folge, daß schon für die Zeit vor der tatsächlichen Hingabe des Darlehens ein Zins als Nutzungsentgelt gezahlt werden muß, sei daher nicht möglich.
Der Antragsteller ist demgegenüber der Meinung, daß Kreditvertrag und Lebensversicherungsverträge nicht als wirtschaftlich notwendigerweise einheitlicher Vorgang betrachtet werden könnten. Auch wenn man von einem steuerrechtlichen Zinsbegriff ausgehe, stellten sich seine Leistungen als Zinsen in diesem Sinne dar. Denn der Betrag von 109 225 DM sei von ihm als Darlehensnehmer für die Überlassung des Kapitals an die Bank zu entrichten und habe die Kapitalschuld nicht verringert. Das FA übersehe, daß die Kapitalüberlassung nicht rückdatiert worden sei. Der Überlassungszeitpunkt stehe fest und sei allseits unbestritten. Lediglich die Höhe der „Zinsen” im Sinne des Entgelts für Kapitalüberlassung werde durch die Parteivereinbarung beeinflußt. Auf Grund besonderer Umstände habe er für einen in 1971 sehr kurzen Überlassungszeitraum sehr hohe „Zinsen” (Gegenleistung für Kapitalüberlassung) entrichten müssen. Das stehe jedoch der Anerkennung als Zinsen nicht entgegen. Der eigenständige steuerrechtliche Zinsbegriff sei insoweit eben umfassender als der bürgerlich-rechtliche, da Provision, Damnum, Disagio etc. als Schuldzinsen abzugsfähig seien, ohne daß sie zwangsläufig auch bürgerlichrechtlich als Zinsen anzusehen wären. Hätte er einen als „Agio” bezeichneten, einmalig zu zahlenden Betrag in Höhe von 108 385 DM an die Bank abzuführen, so könnte ihm die Anerkennung als steuerrechtlicher „Zins” nicht verweigert werden. Nicht anders könne es hier sein, da es auf die Bezeichnung der Gegenleistung für die Kapitalüberlassung nicht ankomme.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist begründet.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides 1971 bestehen, soweit das FA darin die Berücksichtigung des Betrages von 109 225 DM als Schuldzinsen abgelehnt hat, entgegen der Auffassung des FG nicht. Es ist ein anerkannter Grundsatz des Steuerrechts, daß eine Rückbeziehung von Verträgen oder vertraglichen Gestaltungen grundsätzlich nicht anerkannt werden kann (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 15. März 1963 VI 327/60 U, BFHE 76, 815, BStBl III 1963, 297; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG Anm. 34 a/b – Lieferung 93. Dezember 1970 –). Dem Antragsteller ist das Policendarlehen erst am 28. Dezember 1971 gewährt worden. Zinsen konnten im Jahre 1971 daher auch nur noch für die Zeit nach dem 28. Dezember 1971 anfallen. Die Rückbeziehung der Darlehensgewährung auf den 1. Januar 1971 vermag steuerliche Folgerungen nicht zu zeitigen. Der Besteuerung sind stets die tatsächlich gegebenen Verhältnisse zugrunde zu legen, nicht aber Verhältnisse, die von den Steuerpflichtigen erst nachträglich mit Rückwirkung vereinbart worden sind. Eine ernstliche Möglichkeit, daß diese Grundsätze von der Rechtsprechung des BFH aufgegeben werden könnten, sieht der Senat nicht.
Der Senat braucht auch nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Entscheidung anders ausfallen könnte, wenn die Beteiligten in Höhe des streitigen Zinsbetrages keine Zinszahlung, sondern ein Disagio vereinbart hätten oder wenn der Betrag eine noch andere Bezeichnung erfahren hätte. Denn tatsächlich haben die Vertragspartner keine derartigen Vereinbarungen getroffen, sondern vielmehr steuerlich nicht berücksichtigungsfähige Zinszahlungen für ein zurückdatiertes Darlehen vereinbart.
Bei dieser Sachlage erübrigt sich auch eine Stellungnahme zu der Frage, ob, wenn keine rückwirkend vereinbarten Zinszahlungen vorliegen würden, die gezahlten Beträge nur nach Maßgabe der für Versicherungsbeiträge geltenden Höchstbeträge berücksichtigt werden könnten.
Entsprechendes gilt auch für die Ergänzungsabgabe.
Fundstellen
Haufe-Index 514841 |
BFHE 1974, 275 |