Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
- Die Besorgnis der Befangenheit ist objektiv nicht gerechtfertigt, wenn der abgelehnte Richter trotz beantragter Akteneinsicht eine weitere Begründung der Klage anfordert, weil die erhobene Klage teilweise nicht den Mußerfordernissen des § 65 FGO entspricht.
- Der Vorsitzende oder der von ihm bestimmte Richter ist auch im Interesse des Bürgers an einer möglichst wirksamen Kontrolle der öffentlichen Gewalt nach § 65 Abs. 2 FGO verpflichtet, zur Ergänzung einer unvollständigen der Klageschrift aufzufordern.
- Daß der Kläger vorbringt, das FA habe nur einen Teilbetrag der geltend gemachten Betriebsausgaben berücksichtigt, reicht nicht aus, wenn der Kläger in seiner Klagebegründung nicht angibt, in welchem Steuerbescheid höhere Betriebsausgaben anzusetzen sind.
- Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das FG die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters dem Kläger nicht zur Kenntnis gibt, wenn sich das FG bei der Ablehnung des Befangenheitsantrags nur auf den Akteninhalt und unstreitige Tatsachen stützt.
Normenkette
FGO §§ 51, 65, 96 Abs. 2; ZPO § 41
Tatbestand
In seinem Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1988 bis 1993 und Umsatzsteuer 1991 bis 1993 lehnte der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) den Vorsitzenden Richter des … Senats des Finanzgerichts (FG) zunächst mit der Begründung als befangen ab, er sei ihm als wenig korrekt arbeitender Richter bekannt. Sein Befangenheitsgesuch präzisierte er später dahin, der Vorsitzende Richter habe von ihm nach Klageerhebung unter Fristsetzung eine detaillierte Klagebegründung verlangt, obwohl er diese nach Einsicht in die Akten des Beklagten, Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) angekündigt habe. Der Vorsitzende Richter habe sich böswillig über die leicht zu erlangende Kenntnis hinweggesetzt, daß sich die Klage gegen überhöhte Steuerfestsetzungen richte. Auch habe er einen Klageantrag verlangt, obwohl er erst in der mündlichen Verhandlung zu stellen sei. Weiter habe dieser die Vorlage der angefochtenen Bescheide verlangt, obwohl sie sich in den sofort beizuziehenden Steuerakten befänden. Der Vorsitzende Richter habe "vereinbaren lassen", daß die Steuerakten nur auf Anforderung übersandt würden, statt dessen auf die nicht einschlägige Vorschrift des § 65 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen, um den Kläger zu täuschen und den Sachverhalt zu verfälschen. Er habe damit zu seinem, des Klägers, Schaden das Recht gebeugt.
Der Vorsitzende Richter erklärte sich für nicht befangen.
Das FG wies das Befangenheitsgesuch als unbegründet zurück. Die vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Abgelehnten zu rechtfertigen. Der Kläger könne sich nicht auf die vom Vorsitzenden Richter verfügten Auflagen stützen. Die Klage sei bei Klageeingang weder hinreichend bestimmt noch begründet gewesen. Es entspreche der ständigen Übung, den jeweiligen Kläger in einem solchen Fall zusammen mit der Eingangsbestätigung unter Fristsetzung aufzufordern, im einzelnen darzulegen, in welcher Hinsicht er sich durch die angefochtenen Bescheide des FA beschwert fühle und die Tatsachen anzugeben, die nach seiner Auffassung bei der gerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden müßten, sowie die Tatsachen zu bezeichnen, einen bestimmten Antrag zu stellen, also anzugeben, welchen Inhalt die begehrte Entscheidung haben solle. Diese Maßnahmen fänden ihre Grundlage in § 65 FGO und dienten der Verfahrensökonomie. Der Kläger sei von dem Vorsitzenden Richter nicht anders als andere Kläger behandelt worden.
Das gelte auch für die Aufforderung, die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidungen vorzulegen. Die Aufforderung zur Vorlage der Steuerakten erfolge im Hinblick auf die fast immer gegebene längere Verfahrensdauer meist erst zur mündlichen Verhandlung. Bis dahin seien die Kopien der Bescheide unverzichtbarer Bestandteil ordentlich geführter Streitakten und Grundlage prozeßleitender Verfügungen. Die Klage habe nicht einmal die Mindesterfordernisse (§ 65 FGO) einer Klageschrift erfüllt. Der Kläger habe Klage erhoben "wegen fehlerhafter Festsetzung der Einkommensteuer für die Kalenderjahre 1988 - 93 sowie der Umsatzsteuer". Erst zusammen mit dem Ablehnungsgesuch habe er angegeben, daß seine Klage die Umsatzsteuer 1991 bis 1993 betreffe.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers mit der Begründung, die beiden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden Richters seien ihm niemals zur Kenntnis gegeben worden. Damit sei der Anspruch auf das rechtliche Gehör verletzt worden. Die Akteneinsicht habe ergeben, daß die beiden Stellungnahmen nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprächen (vgl. Aufsatz Dr. Schneider in einer Fachzeitschrift).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet; das FG hat den Ablehnungsantrag zu Recht zurückgewiesen (§ 132 FGO).
1. Ein Richter kann von den Beteiligten als befangen abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―). Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind vorhanden, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Ob ein solcher Grund wirklich vorliegt, ist unerheblich (Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Mai 1997 VII B 253/96, BFH/NV 1997, 872). Andererseits ergeben sich aus einer etwaigen Fehlerhaftigkeit des von dem abgelehnten Richter gewählten Verfahrens oder einer Entscheidung nicht ohne weitere Umstände auch Ablehnungsgründe (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; zuletzt BFH-Beschlüsse vom 22. Juni 1998 VI B 228/97, BFH/NV 1999, 58, und vom 10. September 1997 V B 59/97, BFH/NV 1998, 338, m.w.N.).
2. Bei vernünftiger objektiver Betrachtung rechtfertigen die vom Kläger vorgebrachten Gründe nicht die Besorgnis, der Vorsitzende Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Allerdings hat der als befangen abgelehnte Richter dem Kläger mitgeteilt, die Akten des Beklagten würden erst nach Begründung der Klage angefordert werden (Hinweis auf § 65 FGO), obwohl der Kläger eine eingehende Klagebegründung nach erfolgter Akteneinsicht angekündigt und gebeten hatte, ihm den Eingang der Akten mitzuteilen. Ein objektiver und vernünftiger Rechtsuchender müßte aber den Hinweis auf § 65 FGO beachten und berücksichtigen, daß der Kläger in der Klageschrift zwar die fehlerhafte Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 1988 bis 1993 angegriffen, aber offengelassen hatte, für welchen Zeitraum die Festsetzung der Umsatzsteuer rechtswidrig sein soll. Insoweit entsprach die Klageschrift nicht den Mußerfordernissen von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, wonach bei Anfechtungsklagen auch der Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf angegeben werden muß. Der Vorsitzende mußte daher darauf hinwirken, daß der Kläger die Angaben in der Klageschrift vervollständigte. Ohne Angabe der Streitjahre kann das FA die den Streitfall betreffenden Akten nicht übersenden (§ 71 Abs. 2 FGO) und das FG diese nicht anfordern. Objektiv diente auch die Anforderung der angefochtenen Bescheide und Einspruchsentscheidungen dem Ziel, die Klageschrift hinsichtlich der Mußerfordernisse zu vervollständigen. Obwohl der Kläger für die Einkommensteuer die Streitjahre angegeben hatte, mußte er bei verständiger Betrachtung dieses Punktes nicht befürchten, der abgelehnte Richter werde nicht oder nicht mehr unparteiisch entscheiden. Als Rechtsanwalt hätte er vor allem den Hinweis auf § 65 FGO so aufnehmen müssen, wie er bei vernünftiger Betrachtung zu verstehen ist. § 65 Abs. 2 FGO legt dem Vorsitzenden Richter oder dem von ihm bestimmten Richter die Pflicht auf, zur Ergänzung der Klageschrift aufzufordern, wenn dieselbe nicht den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO genügt. Diese Pflicht dient nicht nur der Verfahrensökonomie, sondern auch dem Anspruch des Bürgers auf eine möglichst wirksame Kontrolle der Akte der öffentlichen Gewalt (Senatsurteil vom 27. Juni 1995 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232).
Daß der Kläger in der Klageschrift vorgetragen hatte, das FA habe nur 284,50 DM der in Höhe von 6 217,50 DM geltend gemachten Betriebsausgaben berücksichtigt, ändert nichts daran, daß das FG allein aufgrund dieser Angaben nicht wußte, in welchem Steuerbescheid nach Auffassung des Klägers höhere Betriebsausgaben anzusetzen sein sollten. Das gilt auch für den Vortrag des Klägers, er sei neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt journalistisch tätig gewesen. In diesen Punkten mußte die Klageschrift ergänzt werden, um das Ziel der Klage erkennbar zu machen. Die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gehört ebenfalls zu den Mußerfordernissen einer Klage (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Vorsitzende Richter oder der von ihm bestimmte Richter muß dafür sorgen, daß ein Kläger substantiiert darlegt, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1997, 232; BFH-Beschluß vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886, m.w.N., sowie Urteil vom 8. Juli 1998 I R 23/97, BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628). Dementsprechend hatte der Vorsitzende den Kläger zu Recht aufgefordert, 1) im einzelnen darzulegen, in welcher Hinsicht/in welchen Punkten er sich durch die angefochtenen Bescheide beschwert fühle, 2) die Tatsachen anzugeben, die nach seiner Auffassung bei der gerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden müßten, 3) die ihm bekannten Beweismittel zu bezeichnen und 4) einen bestimmten Antrag zu stellen. Daß ein bestimmter Antrag nicht gestellt werden muß, sondern soll (§ 65 Abs. 1 Satz 2 FGO), ändert nichts daran, daß der Vorsitzende den Kläger gemäß § 65 Abs. 2 FGO zur Ergänzung auffordern durfte.
3. Der angefochtene Beschluß beruht auf keiner Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO). Das FG stützte sich bei der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs nicht auf Tatsachen oder Beweisergebnisse, die der abgelehnte Richter in seinen dienstlichen Äußerungen mitgeteilt hätte, sondern auf den unstreitigen Inhalt der Akten sowie auf die beim FG übliche Gepflogenheit, die Steuerakten grundsätzlich erst zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung anzufordern, und auf die ständige Übung, bei unbestimmten Klagen entsprechend § 65 FGO vorzugehen.
Den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör hat das FG nicht dadurch verletzt, daß es die beiden dienstlichen Äußerungen des abgelehnten Richters dem Kläger nicht zur Kenntnis gebracht hat. Es hat nämlich die Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs nicht auf diese Äußerungen gestützt. Allerdings ist es durch die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich geboten, die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters den Beteiligten mitzuteilen. Das beruht darauf, daß Tatsachen und Beweisergebnisse, die sich aus der Äußerung ergeben, nur verwertet werden dürfen, wenn sie dem Antragsteller mitgeteilt werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56, 62; BFH-Beschlüsse vom 11. März 1986 VII B 54/85, BFH/NV 1986, 543; vom 12. Juli 1991 III B 151/87, BFH/NV 1992, 122; vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414, und vom 4. November 1993 X B 120/93, BFH/NV 1994, 190). Das FG ist jedoch im Einzelfall nicht gehindert, die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs ―wie hier― auf den Akteninhalt oder auf unstreitige Tatsachen zu stützen. Da sich die dienstlichen Äußerungen des hier abgelehnten Vorsitzenden Richters auf die Aussage beschränken, er fühle sich nicht befangen und eine sofortige Aktenanforderung sei schon wegen der unvollständigen Angaben in der Klageschrift untunlich gewesen, hat das FG diese nicht zu Lasten des Klägers verwertet. Sie enthalten keine Tatsachen oder Beweisergebnisse, zu denen der Kläger nicht gehört worden wäre. Sinn der dienstlichen Äußerung ist es, den Sachverhalt zu klären (BFH-Beschluß vom 30. September 1986 VIII B 31/86, BFH/NV 1987, 308); diese ist daher grundsätzlich auf die für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen zu beschränken (BFH-Beschlüsse vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653, und in BFH/NV 1995, 414). Soweit der abgelehnte Richter darauf hingewiesen hat, die sofortige Aktenanforderung sei wegen der unvollständigen Angaben in der Klageschrift untunlich gewesen, liegt darin keine unzulässige Beeinflussung der zur Entscheidung berufenen Richter (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1995, 414). Einerseits gibt er hinsichtlich des Inhalts der Klageschrift nur den auch dem Kläger bekannten Sachverhalt wieder. Andererseits spricht er die nach seiner Ansicht daraus folgende rechtliche Konsequenz an. Der Kläger, der die beiden Äußerungen inzwischen eingesehen hat, macht auch nicht geltend, daß sich der angefochtene Beschluß auf darin wiedergegebene Tatsachen und Beweisergebnisse stütze. Insoweit geht der Hinweis auf den Aufsatz von E. Schneider in Monatsschrift für Deutsches Recht ―MDR― 1998, 454 ff. zur dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters fehl (vgl. auch Fleischer in MDR 1998, 757 f.).
Fundstellen
Haufe-Index 302432 |
BFH/NV 1999, 1466 |