Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenhändige Unterschrift der Revisionsschrift muss vor Ablauf der Revisionsfrist vorliegen; versehentliches Nichtunterschreiben grundsätzlich schuldhaft; Grundsätze des § 56 FGO gelten gleichermaßen für Steuerpflichtigen und Finanzbehörden; Ausgangskontrolle für fristgebundene Schriftsätze
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1 S. 1, § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) richtet sich gegen das der Klage der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) stattgebende Urteil des Finanzgerichts --FG-- (Entscheidungen der Finanzgerichte, 2005, 466), das dem FA am 11. November 2004 zugestellt wurde. Der Schriftsatz des FA vom 3. Dezember 2004, eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) am 13. Dezember 2004, mit dem es seine Revision einlegte und zugleich begründete, endet mit dem maschinenschriftlichen Namen der Sachgebietsleiterin der Rechtsbehelfsstelle; eine Unterschrift fehlt. Dies teilte die zuständige Geschäftsstelle des BFH am 15. Dezember 2004 der Sachgebietsleiterin auf ihren Anruf hin mit. Per Telefax vom 15. Dezember 2004 beantragte das FA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und holte die Einlegung der Revision mit beigelegtem unterschriebenem Revisionsschriftsatz nach. Die Revisionsfrist sei wegen der außergewöhnlich langen Postlaufzeit ohne Verschulden versäumt worden. Die Sachgebietsleiterin habe den gesamten Vorgang bereits am 3. Dezember 2004 zur Poststelle des FA gegeben. Am Montag, 6. Dezember 2004, sei der Auftrag zur Paketbeförderung angenommen worden. Nach der Lebenserfahrung sei mit dem Eingang der Postsendung beim BFH noch in derselben Woche, spätestens am Freitag, 10. Dezember 2004, zu rechnen gewesen. In diesem Fall wäre die Revision zu einem Zeitpunkt eingegangen, in dem der Hinweis auf die fehlende Unterschrift rechtzeitig erfolgt wäre und diese dann auch rechtzeitig bis zum Ablauf des 13. Dezember 2004 hätte nachgeholt werden können. Ergänzend wird vorgetragen, der Umstand der fehlenden Unterschrift könne allenfalls der besonderen Situation geschuldet sein, dass in Abstimmung mit dem Vorsteher am 3. Dezember 2004 wesentliche organisatorische und personelle Entscheidungen zu treffen gewesen seien. Außerdem habe der Vorsteher des FA die Revisionsschrift an diesem Tag vor ihrem Abgang abzeichnen müssen, weil nach diesem Datum ein Treffen der Sachgebietsleiterin erst wieder am 13. Dezember 2004 möglich gewesen sei. Schließlich sei die Poststelle im Hause am 3. Dezember 2004 nur bis 14.00 Uhr besetzt gewesen. Es könne sich bei der fehlenden Unterschrift nur um ein außergewöhnliches Übersehen und Versehen handeln, das allenfalls aus dem Gesamtzusammenhang des besonderen Tagesablaufs erklärlich sei. Dass es sich bei der Revisionsschrift nicht nur um einen Entwurf gehandelt habe, ergebe sich bereits daraus, dass mit der Einlegung der Revision nicht nur die Begründung, sondern auch bereits die den Streitfall betreffenden Steuerakten vorgelegt worden seien. Es liege eine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) vor, bei der es im Besteuerungsverfahren auf ein Verschulden gar nicht ankäme.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen. Das FA hat die gesetzliche Frist zur Einlegung der Revision nicht gewahrt (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen. Die fristgerecht am 13. Dezember 2004 eingegangene Revisionsschrift hatte keine fristwahrende Wirkung, da sie nicht unterschrieben war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Oktober 1992 IX R 46/92, BFH/NV 1993, 186; vom 12. September 1991 X R 38/91, BFH/NV 1992, 50; vom 8. Oktober 1991 IX R 48/91, BFH/NV 1992, 188; vom 24. Januar 1994 V R 137/93, BFH/NV 1995, 312; vom 19. Mai 2000 VIII B 13/00, BFH/NV 2000, 1358; vom 10. Juli 2002 VII B 6/02, BFH/NV 2002, 1597; vom 15. Januar 2002 X B 143/01, BFH/NV 2002, 669). Die eigenhändige Unterschrift muss vor Ablauf der Frist vorliegen. Erst die Unterschrift macht den prozessbestimmenden Schriftsatz zur wirksamen Prozesshandlung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1597).
Durch das Unterschriftserfordernis soll aus Gründen der Rechtssicherheit jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, ob eine für den Gang des Verfahrens wesentliche Prozesserklärung von der nach dem Gesetz befugten Person auch tatsächlich abgegeben worden ist und der Erklärende dafür die Verantwortung trägt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1597, 1598, m.w.N.). Vorliegend ist das gerade im Hinblick darauf, dass noch eine Abstimmung mit dem FA-Vorsteher erforderlich war, zweifelhaft. Durch das Unterschriftserfordernis sollen etwaige Zweifel darüber, ob es sich bei dem Schriftsatz ggf. nur um einen Entwurf handelt, vermieden werden. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Umstand, dass mit der Revisionsschrift bereits die Begründung der Revision und die Steuerakten übersandt wurden, dafür sprechen könnte, dass es sich nicht lediglich um den Entwurf der Revisionsschrift handelte.
2. Die hiernach eingetretene Fristversäumnis kann nicht im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden. Die Frist zur Revisionsbegründung wurde nicht ohne Verschulden versäumt (§ 56 Abs. 1 FGO).
a) Die Grundsätze der FGO über Fristversäumnis und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten für die Finanzbehörden in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (BFH-Beschluss vom 10. März 2000 VII R 2/00, BFH/NV 2000, 1117, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch eine einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschluss vom 6. November 1997 VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709). Eine Fristversäumung des FA ist dann entschuldigt, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BFH-Beschluss vom 23. April 1991 IX R 110/89, BFH/NV 1991, 616, 617, m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.
aa) Das Vorbringen des FA ist nicht geeignet, ein Verschulden der für die Bearbeitung, Absendung und Weiterleitung der Revision zuständigen Bediensteten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen. Ein versehentliches Nichtunterschreiben ist grundsätzlich schuldhaft (BFH-Beschluss in BFH/NV 1991, 616, 617). Versehentliche Nichtunterschrift begründet auch kein unschädliches Büroversehen, das der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegenstünde (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 10. Juni 1999 V R 33/97, BFHE 189, 573, BStBl II 2000, 235, 236).
Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, dass durch organisatorische Vorkehrungen beim FA eine zuverlässige Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftstücke auch hinsichtlich des Vorhandenseins der Unterschrift gewährleistet war. Auch insoweit gelten die Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in gleicher Weise für das FA wie für den Steuerpflichtigen (BFH-Beschluss vom 17. Februar 1993 VIII R 61/91, BFH/NV 1993, 614). Wie der Prozessbevollmächtigte eines Steuerpflichtigen, so ist auch der Vorsteher des FA bzw. an dessen Stelle der zuständige Sachgebietsleiter oder Sachbearbeiter verpflichtet, ein Fristenkontrollbuch zu führen, mit dem die Erledigung fristwahrender Schriftsätze bis zu ihrer Absendung überwacht werden kann (BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1117). Die Fristnotierung darf frühestens dann gelöscht werden, wenn die Rechtsmittelschrift unterzeichnet und postfertig gemacht worden ist (BFH-Beschluss vom 14. Dezember 1994 X R 176/93, BFH/NV 1995, 798). Die Erledigung eines fristwahrenden Schriftsatzes muss bis zu seiner Absendung (Ausgangskontrolle) überwacht werden. Die Ausgangskontrolle ist so zu organisieren, dass in allen --auch außergewöhnlichen-- Fällen Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift vermieden werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 798, 799, m.w.N.).
Die Ausgangskontrolle muss einer Person übertragen sein, die den gesamten Vorgang der Absendung überwacht, z.B. demjenigen, der den Fristenkalender führt oder zumindest demjenigen, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1117). Dies war im Streitfall die Sachgebietsleiterin und Vertreterin des Vorstehers. Dass keine hinreichende Ausgangskontrolle stattgefunden hat, erweist sich gerade darin, dass in der vorgetragenen besonderen Situation des 3. Dezember 2004 im FA (wesentliche organisatorische und personelle Entscheidung in Abstimmung mit dem Vorsteher, letzter möglicher Termin für diese Abstimmung sowie Besetzung der Poststelle nur bis 14.00 Uhr) die ordnungsgemäße Versendung mit Unterschrift nicht gewährleistet wurde. Es ist nicht ersichtlich, dass, abgesehen von der zuständigen Sachgebietsleiterin und Vertreterin des Vorstehers, andere Personen in eine Organisation einer entsprechenden Ausgangskontrolle eingeschaltet gewesen wären. Insoweit kann nicht von einem unschädlichen bloßen Büroversehen ausgegangen werden. Sollte der Anruf beim BFH Bestandteil einer solchen Fristenkontrolle gewesen sein, so wäre er am 15. Dezember 2004 jedenfalls verspätet gewesen.
bb) Fehlendes Verschulden des FA ergibt sich auch nicht aus der Dauer der Postbeförderung vom 3. bis 13. Dezember 2004. Insoweit begründet schon die Paketbeförderung des schriftwahrenden Schriftsatzes in der Vorweihnachtszeit eine Sorgfaltswidrigkeit. Zudem ist die lange Postbeförderung allenfalls kausal dafür, dass der Hinweis der Geschäftsstelle des BFH nicht innerhalb der Revisionsfrist gegeben werden konnte. Dies unterbricht den Kausalzusammenhang des versehentlichen Nichtunterzeichnens der Revisionsschrift für die Fristversäumnis jedoch nicht. Denn dieser Hinweis ist nicht als Element einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle seitens des FA zu betrachten.
b) Ob es sich bei dem Versehen der Vertreterin des Vorstehers, wäre es in entsprechender Weise im Besteuerungsverfahren vorgekommen, um einen Fall des § 129 AO 1977 gehandelt hätte, ist unerheblich. § 129 AO 1977 ist weder direkt noch analog anzuwenden. Eine § 107 FGO entsprechende Regelung ist für fristwahrende Schriftsätze gerade nicht vorgesehen.
Fundstellen