Entscheidungsstichwort (Thema)

TIR-Verfahren, Frist für Mitteilung festgestellter Zuwiderhandlungen an Carnet-Inhaber

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Sache in der Nichtzulassungsbeschwerde.

2. Die Rechtsfrage, ob die Nichteinhaltung der in Art. 455 Abs. 1 ZKDVO vorgeschriebenen Frist für die Mitteilung über im Verlauf oder anläßlich der Beförderung mit Carnet TIR festgestellte Zuwiderhandlungen, dazu führt, daß gegen den Carnet-Inhaber die aufgrund der Zuwiderhandlung entstandenen Abgaben nicht mehr festgesetzt werden dürfen, ist nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig, weil sie nach dem insoweit eindeutigen Gemeinschaftsrecht in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung zu verneinen ist.

 

Normenkette

EGVtr Art. 177 (jetzt Art. 234 EG); EWGV 1593/91 Art. 2; EWGV 1697/79 Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2; EWGV 2144/87 Art. 8; EWGV 2454/93 - ZKDVO - Art. 379; EWGV 2454/93 - ZKDVO - Art. 455; EWGV 2913/92 - ZK - Art. 221 Abs. 3; EWGV 2913/92 - ZK - Art. 233; EWGV 2913/92 - ZK - Art. 234; TIR-Übereinkommen Art. 11 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Inhaberin eines Carnet TIR, mit dem am 25. Juni 1993 vom Zollamt X (Abgangszollstelle) Milchpulver aus Polen zum Versandverfahren nach Belgien abgefertigt wurde. Für die Wiedergestellung der Waren bei der Bestimmungszollstelle wurde ihr eine Frist bis zum 8. Juli 1993 gesetzt. Nachdem bei der Abgangszollstelle keine Erledigungsbescheinigung für das Carnet TIR einging, wurde am 2. Dezember 1993 eine Suchanzeige an die vorgesehene Bestimmungszollstelle gesandt und der bürgende Verband unterrichtet. Da der Verbleib der Ware im Verlaufe des Suchverfahrens nicht geklärt werden konnte, teilte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --) der Klägerin als Carnet-Inhaberin durch Schreiben vom ... September 1995 mit, daß der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden könne und die Zuwiderhandlung deswegen als in der Bundesrepublik Deutschland begangen gelte. Das HZA stellte ihr anheim, die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung bis zum ... Oktober 1995 nachzuweisen. Nach erfolglosem Ablauf der Frist setzte das HZA durch Steuerbescheid vom ... Eingangsabgaben in Höhe von insgesamt ... DM gegen die Klägerin fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Klägerin könne sich insbesondere nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Art. 11 des Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR (TIR-Übereinkommen) vom 14. November 1975 (BGBl II 1979, 446) und Art. 455 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung -- ZKDVO --) der Kommission vom 2. Juli 1993 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 253/1) berufen. Die Art. 6 bis 11 TIR-Übereinkommen regelten ausschließlich die Haftung des bürgenden Verbandes, Art. 11 TIR-Übereinkommen schreibe keine Frist für eine Mitteilung an den Carnet-Inhaber vor. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 455 Abs. 1 ZKDVO. Die Nichteinhaltung der darin vorgeschriebenen Frist für die Mitteilung an den Carnet-Inhaber führe nicht dazu, daß kein Abgabenbescheid mehr an den Carnet-Inhaber ergehen könne.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist jedenfalls unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Zweifelhaft ist bereits, ob die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage hinreichend (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO) dargelegt hat und die Nichtzulassungsbeschwerde damit zulässig ist. Denn die Klägerin hat weder ausdrücklich eine Rechtsfrage formuliert, deren höchstrichterliche Klärung sie für erforderlich hält, noch hat sie dargelegt, daß eine solche in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet wird und deshalb ein allgemeines Interesse an ihrer einheitlichen Beantwortung besteht. Die bisher bekannten einschlägigen Entscheidungen der FG zu diesem Problemkreis liegen auf der Linie der angefochtenen Entscheidung (vgl. FG München, Beschluß vom 12. September 1996 3 V 27/96, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern -- ZfZ -- 1997, 58; vgl. auch zu dem dem Art. 455 entsprechenden Art. 379 ZKDVO FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10. Dezember 1996 1 K 208/95, ZfZ 1997, 238, noch nicht rechtskräftig).

Der Vortrag, daß die angefochtene Entscheidung zu kurz ausgefallen ist, sie (die Klägerin) durch einen hohen Abgabenbetrag beschwert ist, eine Vielzahl von Fällen denkbar ist, in denen neben den Interessen deutscher Staatsbürger auch ausländische Staatsbürger betroffen sein können, und die Klägerin eine andere Auslegung der maßgebenden Vorschriften für geboten hält, als das FG sie vorgenommen hat, vermag die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage nicht zu begründen (vgl. Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §115 FGO Rdnr. 76, m. w. N.). Für eine grundsätzliche Bedeutung der Sache könnte indes sprechen, daß die holländischen Behörden die Vorschriften angeblich im Sinne der Klägerin auslegen.

b) Der Senat braucht diesen Zweifeln jedoch nicht weiter nachzugehen. Denn die Rechtsfrage, um deren Klärung es der Klägerin geht, ist nicht klärungsbedürftig, so daß die Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet ist. Der Senat entnimmt dem Beschwerdevortrag, daß die Klägerin die Klärung der Rechtsfrage wünscht, ob die Nichteinhaltung der in Art. 455 Abs. 1 ZKDVO vorgeschriebenen Frist für die Mitteilung an den Carnet-Inhaber dazu führt, daß gegen ihn die aufgrund der Zuwiderhandlung entstandenen Abgaben nicht mehr festgesetzt werden dürfen. Die Entscheidung der Rechtsfrage im angefochtenen Urteil entspricht im Ergebnis der eindeutigen Rechtslage nach dem hier geltenden Gemeinschaftsrecht, so daß im Revisionsverfahren auch keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zwecks Klärung etwaiger Zweifel bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht in Betracht käme.

Art. 455 Abs. 1 ZKDVO, der zum 1. Januar 1994 an die Stelle des zum Zeitpunkt der Eröffnung des Versandverfahrens noch geltenden, inhaltsgleichen Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1593/91 der Kommission vom 12. Juni 1991 (ABlEG Nr. L 148/11) getreten ist, bestimmt, daß dem Inhaber des Carnets und dem bürgenden Verband innerhalb der in Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen festgelegten Frist etwaige im Verlauf oder anläßlich einer Beförderung mit Carnet TIR festgestellte Zuwiderhandlungen mitzuteilen sind. Daraus folgt in bezug auf den Carnet-Inhaber zwar eine Verpflichtung der Zollbehörde zur fristgemäßen Mtiteilung etwaiger Zuwiderhandlungen im Versandverfahren mit Carnet TIR. Eine Ausschlußfrist mit der Folge, daß der gegen ihn im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung entstandene Abgabenanspruch bei nicht fristgemäßer Mitteilung erlischt, ergibt sich daraus in bezug auf den Carnet-Inhaber jedoch nicht.

Der Verweis auf Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen bezieht sich ausdrücklich nur auf die dort vorgeschriebene Frist für die Mitteilung, nicht aber auf den in dieser Vorschrift allein in bezug auf den bürgenden Verband geregelten Ausschluß der Möglichkeit, ihn als Haftenden in Anspruch zu nehmen, wenn die Mitteilungsfrist nicht eingehalten wird. Die in Art. 455 Abs. 1 ZKDVO geregelte Frist ist daher nur eine Ordnungsfrist und soll dazu dienen, daß der Carnet-Inhaber und der bürgende Verband innerhalb angemessener Frist die Möglichkeit erhalten, den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung der Beförderung mit dem Carnet TIR nach Art. 455 Abs. 2 ZKDVO zu erbringen. Dagegen ist der Ausschluß der Inanspruchnahme allein für den bürgenden Verband in Art. 11 Abs. 1 TIR- Übereinkommen geregelt. Hätte der Verordnungsgeber eine solche Regelung auch für den Carnet-Inhaber gewollt, so hätte er dies, sofern er überhaupt zu einer solchen Regelung ermächtigt gewesen wäre, deutlich zum Ausdruck bringen müssen.

Das Erlöschen der Zollschuld ist im Gemeinschaftsrecht allgemein und abschließend in Art. 233, 234 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex -- ZK --) des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 (ABlEG Nr. L 302/1) -- davor Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld (ABlEG Nr. L 201/15) -- geregelt. Die Verjährungsfrist für die Inanspruchnahme des Zollschuldners ist in Art. 221 Abs. 3 ZK -- davor Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung ... (ABlEG Nr. L 197/1) -- auf drei Jahre festgesetzt. Innerhalb dieser Frist sind die Zollbehörden gehalten, die infolge einer Zuwiderhandlung entstandenen Abgaben beim Zollschuldner zu erheben unabhängig davon, ob sie ihrer Verpflichtung zur rechtzeitigen Benachrichtigung des als Zollschuldner in Betracht kommenden Carnet- Inhabers nachgekommen sind (vgl. auch Antwort der Kommission vom 25. November 1996 auf eine schriftliche Anfrage, ABlEG 1997 Nr. C 83/52). Diesen Vorschriften geht nur die völkerrechtliche Regelung des Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen in bezug auf den bürgenden Verband vor, in bezug auf den allein die Mitteilungsfrist als Ausschlußfrist geregelt ist.

Der Senat hat keine Zweifel an der im Ergebnis richtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch das FG, so daß auch die Revision nicht zuzulassen ist, um die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Klärung dieser Frage zu ermöglichen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415--3442). Er sieht sich in dieser Auffassung bestärkt durch die oben genannte Antwort der Kommission auf eine entsprechende Anfrage zur Auslegung des Art. 379 ZKDVO, einer dem Art. 455 ZKDVO für das gemeinschaftliche Versandverfahren entsprechenden Bestimmung. Allein die unsubstantiierte Behauptung der Klägerin, daß die holländischen Finanzbehörden Art. 455 Abs. 1 ZKDVO i. V. m. Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen für den Carnet-Inhaber so anwenden wie für den bürgenden Verband, kann die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu dieser Frage in einem Revisionsverfahren nicht rechtfertigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66403

BFH/NV 1998, 755

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