Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bei mehrfach begründetem Urteil
Leitsatz (NV)
1. Die Zulassung der Revision setzt voraus, daß der mit der Beschwerde geltend gemachte Zulassungsgrund für die Entscheidung des FG tragend war. Ist das Urteil des FG auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann Erfolg haben, wenn bezüglich jeden Grundes ein Zulassungsgrund vorgebracht wird.
2. Die Revision kann nur wegen eines vom FG, nicht dagegen wegen eines vom FA begangenen Verfahrensmangels zugelassen werden.
3. Das Recht auf Gehör ist nicht verletzt, wenn das FG den Vortrag des Klägers zur Kenntnis genommen, ihn aber für unbeachtlich gehalten hat.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt den Erlaß von Umsatzsteuern in Höhe von nahezu . . . DM. Er ist Eigentümer eines Geschäftsgrundstücks, dessen Verkehrswert der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) zum 31. August 1979 auf . . . DM geschätzt hat. Die darauf ruhenden Belastungen zugunsten des FA betragen rund . . . DM.
Das Gebäude enthält einen Gewerbebetrieb sowie eine vermietete Wohnung und dient dem Kläger zu eigenen Wohnzwecken. In den gewerblichen Räumen betrieb der Kläger bis 31. August 1979 einen . . . handel; seither ist der Gewerbebetrieb verpachtet. Neben den Einnahmen hieraus - ausweislich der Steuerakten und vom Kläger auch nicht bestritten im Jahre 1979 monatlich . . . DM - bezieht der Kläger nach eigenen Angaben eine monatliche Rente in Höhe von . . . DM sowie Einkünfte aus der vermieteten Wohnung von jährlich . . . DM, monatlich also insgesamt rund . . . DM.Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erließ das FA für die Jahre 1973 bis 1979 Umsatzsteueränderungs- bzw. -erstbescheide über insgesamt rund . . . DM. Mit Schreiben vom 6. November 1980 beantragte der Kläger den Erlaß der Umsatzsteuerschulden aus Billigkeitsgründen. Er trug vor, die Rückstände seien durch betrügerische Manipulationen eines Angestellten entstanden; dieser habe die angewiesenen Beträge nicht abgeführt, sondern auf sein Privatkonto umgeleitet.
Das FA lehnte den Erlaßantrag ab. Auch die dagegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Die Oberfinanzdirektion (OFD) verneinte eine sachliche und eine persönliche Unbilligkeit. Der Petitionsausschuß des Landtages von . . ., bei dem der Kläger ebenfalls um Erlaß nachgesucht hatte, sah keine Ermessensfehler darin, daß die Finanzbehörden die Steuern nicht erlassen hatten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Ablehnung des Umsatzsteuererlasses ab. Es führte, soweit hier von Interesse, aus: Die OFD habe den Erlaßantrag ermessensfehlerfrei abgewiesen. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Umsatzsteuerveranlagungen nach so langer Zeit verstießen gegen Treu und Glauben. ,,Unabhängig davon, daß ein Verstoß gegen diese Grundsätze nicht erkennbar" sei, könnten Rechtsgründe, die im Verfahren gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung hätten geltend gemacht werden können, im Erlaßverfahren nicht berücksichtigt werden (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Juli 1976 VIII R 236/72, BFHE 119, 443, BStBl II 1977, 125). Das gelte auch, wenn der Kläger - wie hier - die Klage gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung zurückgenommen habe.
Darüber hinaus könne auch das Vorbringen, der Kläger habe seinem Mitarbeiter vertraut, den Erlaß nicht rechtfertigen. Eine Gefährdung des notwendigen Lebensunterhalts des Klägers sei ebenfalls ermessensfehlerfrei verneint worden, da diese nur vorliege, wenn der Kläger nicht mehr ausreichend Mittel für Nahrung, Wohnung, Bekleidung, ärztliche Behandlung usw. habe. Das sei in Anbetracht der regelmäßigen monatlichen Einkünfte des Klägers von rund . . . DM und freier Wohnung nicht der Fall. Dem Kläger sei es auch möglich und zumutbar, unter Einschränkung seiner Bedürfnisse monatliche Teilzahlungen von . . . DM aufzubringen. ,,Ferner ist zu berücksichtigen, daß der Kläger Eigentümer eines Geschäftsgrundstücks im Wert von . . . DM ist, das überwiegend schuldenfrei ist, da insoweit die zugunsten des FA eingetragenen Sicherungshypotheken von rund . . . DM nicht zu berücksichtigen sind." Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vorgetragen habe, der Wert des Grundvermögens belaufe sich nur auf rund . . . DM, führe das zu keinem anderen Ergebnis. Denn er habe die Richtigkeit der Wertermittlung erstmals im finanzgerichtlichen Verfahren bestritten. Bei der gerichtlichen Nachprüfung der Ermessensentscheidung seien aber die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Kläger einen Verfahrensmangel und grundsätzliche Bedeutung geltend. Im einzelnen trägt er dazu vor: Das FG habe übersehen, daß er mit der Klagebegründung bereits ausgeführt habe, daß der vom FA zugrunde gelegte Wert des Grundbesitzes unrealistisch sei und daß er deshalb dem FA eine Besichtigung des Grundbesitzes angeboten habe, um sich vom tatsächlichen Zustand des Grundstücks zu überzeugen. Das FA sei dieser Aufforderung aber nicht nachgekommen. Er habe bereits auf Seite 4 des Erlaßantrages vom 6. November 1980 um Besichtigung des Grundstücks gebeten. Da das FG dies nicht berücksichtigt habe, habe es den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Das FG habe sein tatsächliches Vorbringen ersichtlich nicht in Erwägung gezogen. Auf diesem Verfahrensmangel beruhe das FG-Urteil auch. Denn ihm liege die Erwägung zugrunde, daß ihm, dem Kläger, zur Bestreitung einer bescheidenen Lebensführung ein Kapital von rund . . . DM zur Verfügung stehen müsse. Das ergebe sich aus den Erwägungen des FG, daß das Grundstück einen Wert von . . . DM habe und daß es mit etwa . . . DM belastet sei. Da das Grundstück tatsächlich nur einen Wert von . . . DM gehabt habe und die Schulden hierauf zutreffend mit . . . DM angenommen worden seien, habe ihm insoweit überhaupt kein Mindestkapital zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden.
Das FG-Urteil beruhe auf diesem Verfahrensmangel auch deswegen, weil eine fehlerfreie Ermessensentscheidung des FA eine einwandfreie Sachverhaltserforschung vorausgesetzt hätte, die aber eindeutig nicht gegeben sei.
Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob Rechtsgründe, die im Verfahren gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung hätten geltend gemacht werden können, im Erlaßverfahren nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Soweit der BFH im Urteil in BFHE 119, 443, BStBl II 1977, 125 entschieden habe, daß solche Rechtsgründe im Erlaßverfahren nicht berücksichtigt werden dürften, stehe dem ein neueres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 9. März 1984 8 C 43/82 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 227, Rechtsspruch 25) entgegen. Die Klärung dieser gegensätzlichen Rechtsprechung zweier oberster Bundesgerichte sei von grundsätzlicher Bedeutung.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
Ist eine Entscheidung eines FG auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, muß bezüglich jeden Grundes ein Zulassungsgrund vorgebracht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524; Klein / Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, 1986, Rdnr. 153). Selbst wenn nämlich ein geltend gemachter Zulassungsgrund für sich betrachtet die Zulassung rechtfertigen würde, könnte eine spätere Revision keinen Erfolg haben, wenn das FG-Urteil noch auf einem anderen tragenden Grund beruhen würde.
a) Im Streitfall hat das FG - vom Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde auch unbeanstandet - ausgeführt, daß es dem Kläger in Anbetracht der regelmäßigen Einkünfte zumutbar wäre, monatlich jedenfalls . . . DM für die Tilgung der rückständigen Umsatzsteuern aufzubringen. Es hat, wie zuvor wörtlich wiedergegeben, danach dargelegt, es sei ,,ferner" zu berücksichtigen, daß das Grundstück des Klägers einen Verkehrswert von . . . DM habe. Damit kommt zum Ausdruck, daß das FG bereits aufgrund der monatlichen Einkünfte des Klägers eine Unbilligkeit der Zahlungsverpflichtung verneint hat. Es hat sodann nur zusätzlich (ergänzend) erwogen, daß neben den Einkünften auch das vorhandene Vermögen des Klägers für die Tilgung der Umsatzsteuerschulden eingesetzt werden könnte. Es hat insofern insbesondere zum Ausdruck gebracht, daß die ,,Verwertung des vorhandenen Grundvermögens zu einem späteren Zeitpunkt möglich und zumutbar" sei.
Das FG hat folglich die finanziellen Möglichkeiten des Klägers zur (Teil-)Tilgung der Umsatzsteuerschulden auf ,,zwei Beine gestellt", zuvorderst aber damit begründet, daß die wiederkehrenden Einkünfte des Klägers einen Erlaß nicht rechtfertigten. Demnach ist die Entscheidung des FG insoweit unabhängig davon, ob der Wert des Grundvermögens des Klägers mit . . . DM zutreffend angenommen worden ist.
Es kommt hinzu, daß das FG ,,die Ermittlung des Wertes des Grundvermögens durch die Bewertungsstelle" des FA ausdrücklich als ,,nicht ermessensfehlerhaft" beurteilt hat. Es hat die Wertermittlung des FA demnach für möglich erachtet, wenn es dies auch nicht im einzelnen begründet hat. Das FG hat in diesem Zusammenhang nicht zum Ausdruck gebracht, daß es die Wertermittlung für richtig halte, weil der Kläger sie erst im finanzgerichtlichen Verfahren angezweifelt habe; es hat vielmehr ausgeführt, daß es die Wertermittlung als ermessensgerecht ansehe, ,,zumal" der Kläger die Richtigkeit im behördlichen Verfahren nicht beanstandet habe.
Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich bereits im behördlichen Erlaßverfahren die Wertermittlung des FA angezweifelt hat. Indessen wird (ergänzend) darauf hingewiesen, daß er mit der Klage (Seite 21 der Klageschrift) zwar zum Ausdruck brachte, daß er dem FA eine Ortsbesichtigung angeboten habe, damit es sich über den Wert des Grundstücks zutreffende Vorstellungen machen könne. Tatsächlich hat der Kläger auf Seite 4 des Erlaßbegehrens vom 6. November 1980 aber keine eigenen Wertvorstellungen hinsichtlich des Grundvermögens entwickelt. Er hat lediglich kundgetan, daß das Gebäude sehr veraltet sei und daß in das Haus seit langem kein nennenswerter Betrag mehr hineingesteckt worden sei. Damit ist aber nicht behauptet worden, daß der Wert von . . . DM unzutreffend und welcher Wert nach Auffassung des Klägers anzusetzen sei.
Demnach hat das FG dem Kläger auch nicht das rechtliche Gehör versagt. Es hat seinen Vortrag, wie ausgeführt, zur Kenntnis genommen, ihn indessen im vorliegenden Verfahren für unbeachtlich gehalten. Es kann somit keine Rede davon sein, daß das FG das Vorbringen des Klägers nicht in seine Erwägungen einbezogen habe.
b) Der Kläger sieht auch darin einen Verfahrensmangel, daß das FA den Sachverhalt nicht einwandfrei erforscht habe. Dies ist unrichtig.
Nach dem BFH-Urteil vom 15. Juni 1983 I R 76/82 (BFHE 139, 146, BStBl II 1983, 672), auf das der Kläger verweist, setzt eine fehlerfreie Ermessensausübung der Finanzbehörde voraus, daß sie den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt. Hätte das FA, was der Kläger behauptet, seine Einwendungen ignoriert, so wäre darin aber kein Verfahrensfehler des FG, sondern ein solcher des FA zu sehen. Die Revision kann aber nur wegen eines vom FG, nicht dagegen wegen eines vom FA begangenen Verfahrensmangels zugelassen werden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 19).
2. Auch die dargelegte (siehe BFH-Beschluß vom 6. August 1986 II B 53/86, BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858) grundsätzliche Bedeutung kann nicht zur Zulassung der Revision führen.
Sollte die behauptete Divergenz zwischen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung bestehen, so wäre deren Klärung zwar ein Grund für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Indessen ist auch insoweit erforderlich, daß die angesprochene - unterschiedlich entschiedene - Rechtsfrage für die Entscheidung des FG tragend war (vgl. zuvor 1.). Das ist insoweit aber nicht der Fall.
Das FG hat ausgeführt, daß der Kläger sich nach so langer Zeit nicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben bzw. auf Verwirkung berufen könne. Ein Verstoß hiergegen sei nicht erkennbar. Allein diese, wenn auch nicht näher begründeten Erwägungen tragen die Vorentscheidung insoweit. Soweit das FG ,,unabhängig davon" meinte, daß das Vorbringen im Erlaßverfahren nicht mehr berücksichtigt werden könne, handelt es sich um eine zusätzliche Begründung, die nichts daran ändert, daß die vorhergehenden Erwägungen des FG seine Entscheidung insoweit bereits tragen, ohne daß bezüglich dieser Erwägungen auch ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht worden ist.
Fundstellen