Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlen von Urteilsgründen
Leitsatz (NV)
1. Die von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO geforderte Begründung eines Urteils dient vor allem der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, auf welchen Feststellungen und Überlegungen die richterliche Entscheidung beruht.
2. Hat das FG eine Klage wegen Berichtigung eines Steuerbescheids nach § 129 AO 1977 abgewiesen, ohne festzustellen, dass der Bescheid materiell-rechtlich umstritten ist, fehlt es an Entscheidungsgründen i.S. von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO.
Normenkette
AO 1977 § 129; FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 119 Nr. 6
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 19.08.2004; Aktenzeichen VII 386/1999) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Ehegatten und werden im Streitjahr 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1996 vom 22. Juli 1997 wurde eine Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung nach § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 5 124 DM (= 6 v.H. aus nachträglichen Herstellungskosten von insgesamt 85 377 DM) berücksichtigt. Der Bescheid, der insoweit keinen Vorläufigkeitsvermerk enthielt, wurde bestandskräftig.
Dem Steuerbescheid vom 22. Juli 1997 war ein Schreiben des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) vom 17. Juni 1997 an den damaligen steuerlichen Berater vorausgegangen, in dem das FA darauf hinwies, dass nachträgliche Herstellungskosten nicht berücksichtigt werden könnten. Zur Begründung verwies das FA auf die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1995, in der festgestellt worden war, dass die geltend gemachten Aufwendungen größtenteils nicht begünstigte Umbauarbeiten betroffen hätten, die nicht zur Schaffung neuen Wohnraums führten. Auch bei den nun eingereichten Aufwendungen handle es sich offensichtlich um nicht begünstigte Erhaltungsaufwendungen. Abziehbar seien in Anlehnung an die einvernehmliche Regelung bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1995 die Kosten für den Einbau eines Badezimmers und den Umbau des Balkons zu einem Abstellraum in Höhe von insgesamt 6 v.H. aus 25 830 DM, was zu einem Abzugsbetrag von 1 550 DM führe. Der steuerliche Berater der Kläger teilte daraufhin dem FA mit Schreiben vom 19. Juni 1997 mit, nach nochmaliger Überprüfung werde daran festgehalten, dass 1996 die gesamten nachträglichen Herstellungskosten nach § 10e EStG begünstigt seien. Zur Begründung seiner Rechtsauffassung verwies der Berater auf die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Nürnberg vom 19. Oktober 1993 II 97/93 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1994, 348). Auf diesem Schreiben befindet sich ein Vermerk des zuständigen Sachbearbeiters am FA, wonach dem Berater telefonisch mitgeteilt worden sei, dass das angeführte Urteil des FG Nürnberg auf den Streitfall nicht zutreffe. Außerdem sei auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen verwiesen worden. Der steuerliche Berater der Kläger teilte daraufhin dem FA mit Schreiben vom 1. Juli 1997 erneut mit, dass nach seiner Ansicht ein nach § 10e Abs. 2 EStG begünstigter Ausbau vorliege.
Der Einkommensteuerbescheid vom 22. Juli 1997, in dem die Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 2 EStG in Höhe von 5 124 DM berücksichtigt worden ist, enthält den Zusatz, dass die Einwendungen vom 1. Juli 1997 geprüft worden seien. Ein Ausbau i.S. des § 17 Abs. 1 des Zweiten Wohnbaugesetzes liege vor, wenn eine Wohnung, die infolge Änderung der Wohngewohnheiten nicht mehr für Wohnzwecke geeignet gewesen sei, umgebaut werde. Durch den Umbau müsse jedoch die Bausubstanz durchgreifend umgestaltet werden. Als zusätzliches Kriterium gelte der wesentliche Bauaufwand. Auch wenn dieses Kriterium erfüllt sei, lägen die beiden ersten Voraussetzungen nicht vor. Nach dem Bauplan von 1971 sei damals eine grundlegende Umgestaltung des "Nachkriegshauses" erfolgt. Mit Ausnahme der als begünstigt angesehenen Maßnahmen (Anbau eines Vorratsraumes und Einbau eines Bades) lägen nach dem Plan aus dem Jahr 1996 keine Veränderungen im Grundriss und dergleichen vor. Neben einer etwaigen Funktionsänderung von Räumen handle es sich im Wesentlichen um Aufwendungen, die nicht durch Änderung der Wohngewohnheiten, sondern durch Altersabnutzung (z.B. neue Fenster, Türen und Böden) oder wegen Modernisierung (Heizungseinbau) entstanden seien.
In der Anlage FW sind vom Bearbeiter die nachträglichen Anschaffungskosten durchgestrichen und der Hinweis "vgl. Einkommensteuer 1995" aufgenommen worden. Unter der Kennziffer 10 ist der Betrag in Höhe von 1 550 DM eingetragen. Die Abzugsbeträge von 5 123 DM (Kennziffer 26) und 3 574 DM (Kennziffer 29) sind durchgestrichen.
Mit Bescheid vom 1. Oktober 1997 berichtigte das FA die Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1996 nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte den Betrag von 1 550 DM als Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung an.
Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab, mit der sich die Kläger nicht nur gegen die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO 1977 wenden, sondern auch vortragen, die Voraussetzungen für den Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 2 EStG lägen hinsichtlich der gesamten geltend gemachten Aufwendungen vor. Ausführungen zur Höhe des Abzugsbetrags nach § 10e EStG finden sich in den Entscheidungsgründen nicht.
Mit der dagegen erhobenen Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen eines Verfahrensfehlers. Eine offenbare Unrichtigkeit ergebe sich weder aus dem Steuerbescheid selbst noch sei sie durch die Hinzuziehung der Akten objektiv erkennbar. Zudem sei das Urteil nicht begründet. Das FG habe lediglich zur Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO 1977 Stellung genommen. Aus dem Urteil ergebe sich jedoch nicht, weshalb die Baukosten nicht im Rahmen der Wohneigentumsförderung nach § 10e EStG anzuerkennen seien.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen. Dem Vortrag, das FG-Urteil sei nicht vollständig begründet, sei entgegen zu halten, dass aufgrund des Urteils wegen Einkommensteuer 1994 auch eine materiell-rechtliche Begründung der Entscheidung zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.
Es liegt ein Verfahrensmangel vor. Denn das angefochtene Urteil ist teilweise nicht mit Gründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO versehen.
1. Die von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO geforderte Begründung eines Urteils dient vor allem der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, auf welchen Feststellungen und Überlegungen die richterliche Entscheidung beruht (BFH-Beschluss vom 9. Februar 2000 VIII R 27/99, BFH/NV 2000, 968, 969; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 47/99, BFH/NV 2001, 46). Dazu muss zwar das Gericht nicht auf jede Einzelheit des Sachverhalts und des Beteiligtenvortrags ausführlich eingehen. Es genügt aber, wenn die Gründe nur zum Teil fehlen, vor allem, wenn das Gericht einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergangen hat. Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (Entscheidungen des BFH vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492; vom 17. Juli 2000 IX R 66/99, BFH/NV 2001, 51).
Im Streitfall ist eine solche Situation gegeben. Zwar hat das FG zu Recht erkannt, dass im Streitfall der bekannt gegebene Inhalt des Einkommensteuerbescheids vom 22. Juli 1997 vom gewollten materiellen Regelungsinhalt abweicht. Zudem ist eine Berichtigung eines Steuerbescheids nach § 129 AO 1977 auch dann möglich, wenn es sich um eine zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage handelt, aber --wie im Streitfall-- eindeutig feststeht, dass die Behörde die getroffene Entscheidung auf Grund eines mechanischen Versehens getroffen hat (FG Hamburg vom 7. August 1995 VII 14/93, EFG 1996, 3; die hiergegen gerichtete Revision wurde mit BFH-Beschluss vom 19. März 1997 I R 106/95 als unbegründet zurückgewiesen; Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, § 129 Rz. 4). Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 setzt aber weiter voraus, dass der Bescheid materiell-rechtlich unrichtig ist. Dies hat das FG nicht --auch nicht durch Verweisung auf die Einspruchsentscheidung oder auf das Urteil vom gleichen Tage wegen Einkommensteuer 1994-- festgestellt.
Der Begründungsmangel ist nach § 119 Nr. 6 FGO ein absoluter Revisionsgrund, d.h. das Urteil als solches ist in einem solchen Fall stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen. Das angefochtene Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben. Dem Einwand des FA, dass das FG-Urteil --wie die Entscheidung wegen Einkommensteuer 1994 vom gleichen Tag zeige-- auch bei vollständiger Begründung zu keinem anderen materiell-rechtlichen Ergebnis geführt hätte, hat deshalb keine Bedeutung.
2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1379192 |
BFH/NV 2005, 1594 |