Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Ist das FG bei der Entscheidung über ein Gesuch auf Richterablehnung nicht ordnungsgemäß besetzt, darf der BFH als Beschwerdegericht wegen der Befugnis zur Ermittlung des Sachverhalts und dessen Würdigung in tatsächlicher Hinsicht gleichwohl in der Sache selbst entscheiden.
2. Die erfolgreiche Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit erfordert, daß der Verfahrensbeteiligte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters hat, wozu Verfahrensverstöße oder andere Fehler eines Richters allein grundsätzlich nicht ausreichen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 2, § 132; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
In dem Rechtsstreit der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) gegen den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzminister) wegen Widerrufs der Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft lehnte die Beschwerdeführerin die ,,Mitglieder des Senats" des Finanzgerichts (FG) wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung ab, ihr Prozeßbevollmächtigter sei in seiner langjährigen Berufspraxis zum ersten Mal als vollmachtloser Vertreter zurückgewiesen worden. Außerdem sei dessen Antrag auf Terminverlegung abgelehnt worden. Die Ablehnung sei ihm von der Geschäftsstelle fernmündlich unter Hinweis auf eine ,,Vielzahl von Fundstellen" mitgeteilt worden mit dem Bemerken, er erhalte noch eine schriftliche Mitteilung. Kurze Zeit später habe die Geschäftsstelle dem Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt, daß eine ,,schriftliche Abfassung vor dem Termin nicht mehr möglich" sei. In beiden Vorgehensweisen des Gerichts werde der Versuch gesehen, den Prozeßbevollmächtigten in seinem Recht, als unabhängiges Organ der Rechtspflege in Rechtsangelegenheiten vor Gericht auftreten zu können, zu beschränken.
Das FG lehnte den Ablehnungsantrag mit der Begründung ab, die Ablehnung aller Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit sei rechtsmißbräuchlich und deshalb unzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG ist nicht begründet.
1. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob das FG bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin ordnungsgemäß besetzt war. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß das nicht zutrifft, ist er nicht gezwungen, die Vorentscheidung deshalb aufzuheben. Als zur Ermittlung des Sachverhalts und dessen Würdigung auch in tatsächlicher Hinsicht befugtes Beschwerdegericht darf der Senat vielmehr in der Sache selbst entscheiden (vgl. Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts - BayObLG - vom 30. Oktober 1979 1 Z 71/79, Deutscher Richterzeitung - DRiZ - 1980, 72, 73; vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 7. November 1973 VIII ARZ 14/73, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1974, 55, und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 20. August 1965 IV C 119/65, NJW 1965, 2317). Er weicht damit nicht von der Entscheidung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Juli 1983 VI B 69/82 (nicht veröffentlicht - NV -) ab, mit der die Entscheidung des FG über einen Antrag auf Richterablehnung auf die Beschwerde gegen diese Entscheidung hin wegen falscher Besetzung des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen worden ist. Diese Entscheidung schließt die Befugnis des BFH zur Entscheidung in der Sache selbst in derartigen Fällen nicht aus.
2. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, daß ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, wozu Verfahrensverstöße oder andere Fehler eines Richters allein grundsätzlich nicht ausreichen (BFH-Beschluß vom 21. Oktober 1987 II B 125/87, BFH / NV 1989, 170; BVerwG-Urteil vom 11. Februar 1982 1 D 2.81, BVerwGE 73, 339, 345). Vielmehr müssen grundsätzlich auch Anhaltspunkte vorhanden sein, die dafür sprechen, daß das Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (BayObLG-Beschluß vom 3. Juli 1986 3 Z 26/86, Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts 1986, 249, 253; Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Zweibrücken vom 2. Juli 1982 2 WF 50/82, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1982, 940). Dabei kommt es darauf an, daß die für die Ablehnung maßgebliche Einstellung des Richters zumindest auch im Verhältnis zu der allein ablehnungsberechtigten Partei und nicht nur gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten in Erscheinung tritt. Denn der Prozeßbevollmächtigte selbst hat aus Gründen seiner Person kein Recht, Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (Beschluß des Senats vom 27. September 1988 VII B 95/88, BFH /NV 1989, 379).
Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob die Darlegungen der Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Ablehnungsantrags ausreichen, um daraus eine Einstellung der Richter des FG der Beschwerdeführerin gegenüber entnehmen zu können. Denn der Ablehnungsantrag kann zumindest deshalb keinen Erfolg haben, weil den Ausführungen der Beschwerdeführerin keine Anhaltspunkte entnommen werden können, die für eine unsachliche Einstellung oder für ein willkürliches Verhalten der Richter des FG sprechen.
Nach den Ausführungen des FG in den Gründen des angefochtenen Beschlusses, gegen die die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren keine Einwendungen erhoben hat, stützt die Beschwerdeführerin ihre Besorgnis der Befangenheit wegen Behandlung ihres Prozeßbevollmächtigten als vollmachtlosen Vertreter auf den Vorbescheid des FG, der in dem genannten Rechtsstreit ergangen und in dem die Klage mit der Begründung abgewiesen worden ist, sie sei unzulässig, weil der Prozeßbevollmächtigte sie ohne Vorlage einer schriftlichen Prozeßvollmacht für die Beschwerdeführerin erhoben habe und weil auch innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist die Vollmacht nicht nachgereicht worden sei. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob diese Entscheidung des FG gerechtfertigt war. Jedenfalls hat die Beschwerdeführerin keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die dafür sprechen, daß die Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung der an ihr beteiligten Richter oder gar auf Willkür beruht. Dem Einwand, daß der Prozeßbevollmächtigte während seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit erstmals als vollmachtloser Vertreter behandelt worden sei, können derartige Anhaltspunkte nicht entnommen werden.
Auch die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung ist für sich allein noch kein Anhaltspunkt für eine unsachliche Einstellung oder für ein willkürliches Verhalten eines Richters und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Richter den Antrag unter Verkennung des für eine Terminverlegung erforderlichen erheblichen Grundes (vgl. dazu Beschluß des Senats in BFH / NV 1989, 379) abgelehnt hat. Auch der fernmündlichen Mitteilung der Ablehnung durch die Geschäftsstelle des FG können Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder für ein willkürliches Verhalten sämtlicher Senatsmitglieder des FG, gegen die das Ablehnungsgesuch gerichtet ist, nicht entnommen werden.
Da der Antrag der Beschwerdeführerin auf Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zumindest deshalb keinen Erfolg haben kann, weil keine Anhaltspunkte vorgebracht worden sind, denen ein unsachliches oder willkürliches Verhalten der Richter des FG entnommen werden kann, braucht nicht geprüft zu werden, unter welchen Voraussetzungen sämtliche Richter eines Spruchkörpers abgelehnt werden können und ob der Ablehnungsantrag im Streitfall als eine Maßnahme anzusehen ist, die die Durchführung des angesetzten Termins verhindern sollte und wegen einer damit verbundenen Prozeßverschleppung mißbräuchlich und deshalb unzulässig ist (vgl. dazu Beschluß des BFH vom 13. April 1988 I R 284/82, BFH / NV 1989, 395).
Fundstellen
Haufe-Index 416671 |
BFH/NV 1990, 514 |