Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlange Prozeßdauer; Kürzung der Umsatzsteuer wegen Herstellung eines Gegenstands in Berlin (West)
Leitsatz (NV)
1. Wenn in einer Nichtzulassungsbeschwerde Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage beantragt wird, ob überlange Prozeßdauer zu einer Verwirkung des Steueranspruchs führt, müssen der Prozeßverlauf und seine Dauer genau geschildert werden.
2. Das Sortieren von Därmen kann als geringfügige Bearbeitung nicht als Herstellung eines Gegenstands in Berlin (West) beurteilt werden.
Normenkette
BerlinFG 1970 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 6 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) zuzulassen, ob überlange Prozeßdauer zu einer Verwirkung des Steueranspruchs führen kann. Der Kläger hat nicht dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), ob und weshalb diese Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärbar und klärungsbedürftig ist. Dazu hätte er sich substantiiert mit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. September 1991 IV B 105/90 (BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148) und der späteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auseinandersetzen müssen. Er hätte auf die Prozeßdauer im Streitfall (Klageerhebung im April 1986, Nichtbetreiben des Prozesses durch den Kläger von der Klageerhebung bis Juli 1990 und Entscheidung des Finanzgerichts - FG - vom April 1992) eingehen und darlegen müssen, weshalb die bezeichnete Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625).
2. Die Revision ist nicht wegen Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des BFH zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), weil der Kläger keine Entscheidungen des BFH bezeichnet hat, von denen die Vorentscheidung abweicht. Die Abweichung der Vorentscheidung von Entscheidungen des BVerfG rechtfertigt die Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 115 FGO Rz. 57).
3. Die Revision ist auch nicht wegen geltend gemachter Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
Das FG hat der Klage z.T. stattgegeben. Es hat die begehrten Ansprüche auf Kürzung der Umsatzsteuer nach § 2 Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) 1970 im Umfang von 1/3 bei den Steuerfestsetzungen für 1972 bis 1974 berücksichtigt. Das FG ist davon ausgegangen, daß die von dem Kläger aus Berlin (West) von einem Berliner Unternehmer erworbenen Gegenstände nur in dem bezeichneten Umfang in Berlin (West) hergestellt (vgl. § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970) worden sind. Die übrigen von diesem Berliner Unternehmer erworbenen Gegenstände seien, so hat das FG weiter ausgeführt, von diesem nur geringfügig behandelt worden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG 1970). Sie seien damit nicht als in Berlin (West) hergestellte Gegenstände zu beurteilen. Zu dieser Würdigung ist das FG aufgrund von Feststellungen des FG Berlin gekommen. Dieses FG hatte in einem Verfahren des Berliner Unternehmers, der den Kläger beliefert hatte, ermittelt, daß dieser Unternehmer die an westdeutsche Unternehmer gelieferten Waren nur zu 1/3 in Berlin (West) hergestellt hatte. Da sich das FG außerstande sah, den Sachverhalt aus den Streitjahren mit einem höheren Maß an Genauigkeit aufzuklären, verwertete es diese Feststellungen, ohne daß die Beteiligten dagegen, wie das FG ausführt, substantiierte Einwände erhoben hätten.
Soweit das FG die Klage abgewiesen hatte, war dafür maßgebend, daß der Kläger nicht bewiesen hatte, daß er in höherem Umfang als 1/3 in Berlin (West) - durch Sortieren von Därmen - hergestellte Gegenstände von dem Berliner Unternehmer erworben hatte. Das FG schloß nicht aus, daß die an den Kläger aus Berlin (West) gelieferte Ware bereits von einem Drittunternehmer (und nicht von dem Berliner Unternehmer) sortiert und kalibriert worden war. Diese Möglichkeit habe der als Zeuge vernommene Prokurist des Klägers nicht endgültig ausschließen können.
Einen Verfahrensfehler sieht der Kläger darin, daß ihm rechtliches Gehör versagt worden sei; denn es sei für ihn unvorhersehbar gewesen, daß das FG von der Möglichkeit ausgegangen sei, der Berliner Unternehmer habe ihm, dem Kläger, bereits durch andere Unternehmer sortierte (und damit nicht mehr als nur geringfügig behandelte) Ware geliefert. Er hätte durch Zeugen und Sachverständige unter Beweis gestellt, daß sich der Bezug bereits (außerhalb von Berlin - West -) sortierter Ware für den Berliner Lieferer nicht gelohnt hätte und deshalb nicht erfolgt sei.
Der bezeichnete Verfahrensfehler ist dem FG jedoch nicht vorzuwerfen. Die Niederschrift über die Beweisaufnahme vor dem FG enthält folgende Bekundungen: Dem Berliner Unternehmer sei sowohl sortierte als auch unsortierte Ware geliefert worden und es sei nicht feststellbar gewesen, ob die von dem Berliner Unternehmer zurückgelieferte Ware sortiert oder unsortiert nach Berlin (West) gelangt sei. Es sei nahezu auszuschließen, daß bereits sortierte Ware nach Berlin (West) geliefert und nahezu unbearbeitet wieder zurückgekommen sei. Ein solches Verfahren hätte sich nicht rentiert und wäre recht umständlich gewesen.
Die von dem Kläger für erheblich gehaltenen Tatsachen sind somit in der mündlichen Verhandlung erörtert worden, ohne daß der Kläger die in der Beschwerdebegründung gerügte Sachverhaltsaufklärung beantragt hätte. Da er dazu Gelegenheit gehabt hatte, kann von einer Überraschungsentscheidung und einer Verletzung des rechtlichen Gehörs keine Rede sein. Er wendet sich im Kern seiner Darlegungen gegen die Beweiswürdigung des FG, ohne damit einen Verfahrensfehler nachzuweisen.
Fundstellen