Leitsatz (amtlich)
Es ist ernsthaft zweifelhaft, ob die Übertragung von Verwaltungsaufgaben der Bundesfinanzbehörden auf die Finanzämter als Landesbehörden durch § 9 Abs. 2 FVG in Verbindung mit § 304 AO in der Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 13. Juli 1961 (Bundesgesetzblatt I S. 981) mit Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 2 S. 2; FVG § 9 Abs. 2; AO § 304 i.d.F. des StÄndG 1961; GG Art. 108 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Unter dem 7. Januar 1959 erteilte der Beklagte und Antragsgegner der Klägerin und Antragstellerin auf Grund des § 223 AO für die Zeit vom 6. Januar bis 31. Dezember 1955 einen Beförderungsteuernachforderungsbescheid über 16 618,20 DM. Der Bescheid enthält einen unter anderem wie folgt lautenden Erläuterungsvermerk: "... der Nachforderung liegt das Ergebnis der Prüfung der Firma X. vom 6.8. und 15.9.1958 zugrunde. Die Güterbeförderungen mit dem Lastkraftwagen 118-561 stellen nicht genehmigten Güterfernverkehr dar, der mit 3 DPfg. je Tonnen-km zu versteuern ist. Auszug aus dem Prüfungsbericht ist Ihnen zugegangen."
Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung vom 19. März 1963 den gegen den Bescheid eingelegten Einspruch der Firma Y als unbegründet zurück.
Im Berufungsverfahren hiergegen war weiterhin streitig, ob es sich bei den besteuerten Beförderungen um genehmigten Güterfernverkehr im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2a BefStG oder um ungenehmigten Güterfernverkehr im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2b BefStG gehandelt hat. Das FG sah die Heranziehung zur Beförderungsteuer wegen vorliegenden nichtgenehmigten Güterfernverkehrs als dem Grunde nach für gerechtfertigt an.
Das FG gab der Berufung insoweit statt, als anstelle der Eisenbahntarifentfernungen die tatsächlich durchfahrenen Straßenstrecken der Steuerberechnung hätten zugrunde gelegt werden müssen.
Mit der Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil wird beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den Beförderungsteuernachforderungsbescheid vom 7. Januar 1959 ersatzlos aufzuheben.
In Verfolg der Revision stellte die Klägerin am 9. Oktober 1967 den Antrag, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids des Beklagten vom 17. Januar 1959 bis zur Entscheidung über die Revision gemäß § 69 Abs. 3 FGO wegen ernsthafter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auszusetzen.
Der Beklagte beantragt, den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO zurückzuweisen bzw. die Aussetzung von der Leistung einer ausreichenden Sicherheit abhängig zu machen (§ 69 Abs. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Vollziehung des angefochtenen Bescheids des Beklagten vom 7. Januar 1959 wegen Nachforderung von Beförderungsteuer 1955 war bis zur Entscheidung über die Revision der Klägerin ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel bestehen, ob er rechtmäßig ist. Ernstliche Zweifel sind dann zu bejahen, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Bewertung der Tatsachen bewirken (Beschlüsse des III. Senats III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182, und III B 21/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 92, BStBl III 1967, 533).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, weil der Bescheid von einer örtlichen Landesfinanzbehörde im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) erlassen wurde, obwohl die Beförderungsteuer nach dem Grundgesetz (GG) durch Bundesfinanzbehörden zu verwalten ist.
Nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG wird die Beförderungsteuer durch Bundesfinanzbehörden verwaltet; Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG sieht für die Bundesfinanzverwaltung eine bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau vor. § 9 Abs. 1 FVG bestimmt, daß die Beförderungsteuer durch die Oberfinanzdirektionen (OFD) verwaltet wird und zwar durch Verwaltungsangehörige des Bundes, die der Besitz- und Verkehrsteuerabteilung zugeteilt sind und dem Oberfinanzpräsidenten unmittelbar unterstehen. § 9 Abs. 2 FVG sieht für die OFD die Möglichkeit vor, bei der Bearbeitung der Beförderungsteuer die Hilfe der FÄ in Anspruch zu nehmen. Diese Hilfeleistung ist durch Nr. 4 der inzwischen zum Teil überholten Ersten Verwaltungsanordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzverwaltung (1. DAFVG) der Art und dem Umfang nach in der Weise geregelt, daß die FÄ hinsichtlich der Beförderungsteuer dieselbe Verwaltungstätigkeit entfalten, wie sie ihnen hinsichtlich der Steuern obliegt, die von ihnen als Landesfinanzbehörden verwaltet werden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob durch eine von einem Organ des Bundes erlassene Verwaltungsanordnung für eine dem Bund zufließende und von ihm nach dem GG zu verwaltende Abgabe Landesfinanzbehörden mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben betraut werden können, die nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG und § 9 Abs. 1 FVG Bundesfinanzbehörden obliegen. Denn die in Nr. 4 der 1. DAFVG enthaltenen Anordnungen sind durch Art. 17 Nr. 15 des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1961 - Neufassung des § 304 AO - insoweit rezipiert und damit sanktioniert worden, als örtliche Landesfinanzbehörden als Hilfsstellen der OFD bezeichnet werden; die Bezeichnung der FÄ als Hilfsstellen der OFD ist inzwischen durch § 63 Abs. 2, § 110 Abs. 1 Satz 2, § 122 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 57 Nr. 2, 63 Abs. 2 (1. Alternative) FGO und §§ 248 Abs. 3 Satz 2, 249 Abs. 2 Satz 2, 256 Abs. 1 Satz 2 AO in der Fassung des § 162 Nr. 40 FGO übernommen worden. Die bisher durch eine Verwaltungsanordnung den FÄ übertragenen Verwaltungsaufgaben als sogenannte Hilfsstellen der OFD obliegen ihnen in Vollzug des § 9 Abs. 2 FVG nun auf Grund eines Gesetzes.
Dies führt zu der Frage, ob die Übertragung von Verwaltungsaufgaben der Bundesfinanzbehörden auf die FA als Landesfinanzbehörden durch § 9 Abs. 2 FVG in Verbindung mit § 304 AO in der Fassung des StÄndG 1961 mit Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist. Das GG sieht eine Hilfstätigkeit von Landesfinanzbehörden für die Verwaltung einer Steuer durch Bundesfinanzbehörden nicht vor. Die an der Verfassungsmäßigkeit bestehenden Zweifel werden durch den Umstand verstärkt, daß die als Hilfeleistung der FÄ bezeichnete Tätigkeit in Wirklichkeit eine vollständige Verwaltung auf der Behördenunterstufe ist und der Tätigkeit entspricht, die die FÄ z. B. bei der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer usw. entfalten. Ein sachlicher Unterschied besteht nur insoweit, als ihnen bei den zuletzt bezeichneten Steuern die OFD nicht als Bundes-, sondern als Landesbehörde vorgesetzt ist, und daß das FA im einen Falle als Hilfsstelle der OFD (§ 9 Abs. 2 FVG in Verbindung mit § 304 AO in der Fassung des StÄndG 1961) und im anderen Falle als örtliche Landesfinanzbehörde (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 FVG) bezeichnet wird. Die gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 2 FVG sprechenden Umstände sind gewichtig. Im summarischen Aussetzungsverfahren ist eine eingehendere Auseinandersetzung mit den für und gegen die Wirksamkeit sprechenden Umständen nicht erforderlich. Dem Senat erscheint die Aussetzung der Vollziehung geboten.
Es sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, eine Sicherheitsleistung zu fordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 67722 |
BStBl II 1968, 491 |
BFHE 1968, 547 |