Leitsatz (amtlich)
1. Der Große Senat entscheidet in der Besetzung des § 11 Abs. 2 Satz 1 FGO, ob bei Anrufung durch einen Senat auf Grund des § 11 Abs. 4 FGO ein anderer Senat wegen einer von ihm behaupteten Divergenz (§ 11 Absatz 3 FGO) einen weiteren Richter nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO entsenden kann.
2. Bei der Entscheidung, ob ein weiterer Richter in den Großen Senat entsendet werden kann, kann der Große Senat von dem Anrufungsgrund des vorlegenden Senats nur dann abweichen, wenn der gewählte Anrufungsgrund auf sachfremden Erwägungen beruht, nicht mehr verständlich und willkürlich ist.
3. Eine Bindung im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG besteht nicht für solche Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht einfaches Recht ausgelegt hat.
4. Die vorschriftsmäßige Besetzung der Finanzgerichte im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO wird nicht dadurch berührt, daß die Besoldung der Richter nach dem Inkrafttreten der FGO nicht erhöht worden ist.
Normenkette
FGO § 11 Abs. 2-4, § 119 Nr. 1; BVerfGG § 31
Tatbestand
Der VI. Senat des BFH hat mit Beschluß VI R 219/66 vom 15. März 1968 (BFH 91, 234, BStBl II 1968, 284) dem Großen Senat des BFH folgende Rechtsfrage zur Entscheidung gemäß § 11 Abs. 4 FGO vorgelegt:
Ist das FG Düsseldorf, das das angefochtene Urteil vom 26. Mai 1966 erlassen hat, ordnungsmäßig besetzt gewesen, obwohl die Finanzgerichtsräte, die an dieser Entscheidung mitgewirkt haben, zu dieser Zeit wie vor dem Inkrafttreten der FGO in die Besoldungsgruppe A 14 eingestuft waren?
In dem Rechtsstreit, in dem es um die Festsetzung der Gewerbesteuer-Meßbeträge für die Jahre 1956 bis 1959 geht, rügte die Revisionsklägerin, daß der II. Senat des FG Düsseldorf, der die Vorentscheidung erlassen hatte, nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 119 Nr. 1 FGO), weil das Land Nordrhein-Westfalen bei der Erichtung der FG nach Inkrafttreten der FGO die Finanzrichter besoldungsmäßig nicht in den Rang eingestuft habe, den sie als Richter an einem oberen Landesgericht haben müßten. Die an der Vorentscheidung mitwirkenden Finanzrichter seien in der Besoldungsgruppe A 14, in der sie sich schon vor dem 1. Januar 1966 befunden hätten, nach dem 1. Januar 1966 verblieben.
Der IV. Senat des BFH hat am 5. April 1968 beschlossen, zu der Sitzung des Großen Senats, in der über den Vorlagebeschluß des VI. Senats entschieden werden soll, einen weiteren Richter gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO zu entsenden. Der IV. Senat hat dies damit begründet, daß der VI. Senat mit seinem Beschluß VI R 219/66, a. a. O., von der Entscheidung IV R 124/67 vom 14. März 1968 (BFH 91, 228, BStBl II 1968, 282) in einer Rechtsfrage abgewichen sei und den Großen Senat deshalb nach § 11 Abs. 3 FGO wegen Divergenz hätte anrufen müssen.
Der VI. Senat hat von seinem Recht, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 FGO einen weiteren Richter in den Großen Senat zu entsenden, keinen Gebrauch gemacht.
Nach der Anrufung des Großen Senats durch den VI. Senat hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß 2 BvL 9, 10, 11/68 vom 14. Mai 1968 (BStBl II 1968, 467; HFR 1968, 322) entschieden, daß die Vorlagebeschlüsse des Hessischen FG B III 26/68 vom 22. April 1968 (EFG 1968, 238), B I 114/67 vom 26. April 1968 (EFG 1968, 236) und IV 2115-2120/66 vom 29. April 1968 unzulässig sind.
Das BVerfG hat die Vorlagen unter zwei verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft, nämlich
a) ob die vorliegenden Spruckörper "gesetzlicher Richter" im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind,
b) ob eine landesrechtliche Regelung mit einfachem Bundesrecht, nämlich die gegenwärtige hessische Besoldungsregelung der Finanzrichter, mit § 2 FGO und mit den Rahmenvorschriften des Bundesbesoldungsgesetzes vereinbar ist.
Das BVerfG hat eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verneint, weil das Hessische FG zweifelsfrei ein Gericht sei, die Mitwirkung der einzelnen Richter an den Verfahren durch Gesetz und Geschäftsverteilungsplan so genau wie möglich im voraus bestimmt sei, die Richter persönlich und sachlich unabhängig seien, eine unrichtige besoldungsrechtliche Einstufung den gesetzlichen Richter nicht in Frage stellen könne und auch eine unrichtige besoldungsrechtliche Einstufung der hessischen Finanzrichter den Rang des FG als eines oberen Landesgerichts und dadurch die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzen könne.
In der Frage der Vereinbarkeit von Landesrecht und Bundesrecht hat das BVerfG seine Entscheidung damit begründet, daß die Beantwortung dieser Frage für die Entscheidung der vorlegenden Senate offensichtlich nicht entscheidungserheblich sei. Sei die Regelung mit § 2 FGO und den Rahmenvorschriften des Bundesbesoldungsgesetzes vereinbar, so könne die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung der Senate in keinem Fall berührt sein. Sei die Regelung nicht vereinbar, verblieben die Finanzrichter im Genuß ihrer bisherigen Bezüge. Ihre richterliche Unabhängigkeit würde dadurch nicht berührt. Würde aber die richterliche Unabhängigkeit nicht berührt, so sei ein Gericht auch dann im Sinne der Prozeßordnung ordnungsgemäß besetzt, wenn die landesrechtliche Besoldungsregelung tatsächlich mit Bundesrecht unvereinbar wäre. Abschließend hat das BVerfG ausgeführt, daß die unrichtige besoldungsrechtliche Einstufung der Richter hier nicht nur mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern auch mit der ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts nichts zu tun habe.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Großen Senat hat die Revisionsklägerin vorgetragen, die Besetzung, in der der Große Senat zu entscheiden habe, sei eine Frage des gesetzlichen Richters. In Wirklichkeit weiche der VI. Senat in seinem Vorlagebeschluß von der Entscheidung des IV. Senats IV R 124/67, a. a. O., ab. Der Große Senat hätte daher nach § 11 Abs. 3 FGO angerufen werden müssen. Da aber die Besetzung durch den Antrag des vorlegenden Senats bestimmt werde, der VI. Senat aber von dem IV. Senat abweiche, sei die Vorlage unzulässig.
Im übrigen sei der Beschluß des BVerfG 2 BvL 9, 10, 11/68, a. a. O., für den Großen Senat nicht bindend. § 31 Abs. 1 BVerfGG, der eine Bindung aller Gerichte an die verfassungsrechtlichen Entscheidungen des BVerfG vorschreibe, verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil den gebundenen Gerichten ein rechtliches Gehör nicht gewährt worden sei und ein einfaches Gesetz wie § 31 Absatz 1 BVerfGG eine Ausnahme von Art. 103 Abs. 1 nicht statuieren könne.
Der Beschluß des BVerfG stelle überdies eine reine Prozeßentscheidung dar. Seine Bindungswirkung beschränke sich auf die entschiedene Prozeßfrage, nämlich auf die nach § 80 Abs. 2 BVerfGG geforderte Begründung. Schließlich binde der Beschluß auch deshalb nicht, weil er nur einfaches Recht auslege, nämlich § 119 und § 2 FGO. Zur Auslegung einfachen Rechts sei aber das BVerfG nicht zuständig.
In der Sache selbst beruft sich die Revisionsklägerin vor allem auf den Beschluß des BVerfG 2 BvR 49/60 vom 9. Mai 1961 (BVerfGE 12, 326 [333]), wonach das GG die in Art. 96 Abs. 1 GG genannten fünf Gerichtszweige als gleichwertig, gleichrangig und gleich bedeutsam anerkenne. Daraus ergebe sich, daß auch geringfügige Einstufungsunterschiede vom Gesetzgeber vermieden werden müßten. Der Status der Richter am Oberlandesgericht sei bekannt. Die Finanzrichter müßten deshalb den gleichen Status erhalten. Die Revisionsklägerin beantragt, die Vorlage des VI. Senats als unzulässig zu erklären, hilfsweise, der Große Senat möge die Anfrage dahingehend beantworten, daß das FG Düsseldorf nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei.
Der dem Verfahren beigetretene Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen ist der Meinung, daß für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Besetzung eines Gerichts die besoldungsmäßige Einstufung der Richter keine Rolle spiele. Bei der Besoldung komme es nicht auf den Rang an. Seit 1920 gingen die Besoldungsgesetze davon aus, daß sich die Besoldung nach der Art und dem Inhalt des Amtes richte. Eine zu geringe Besoldung könne von den Betroffenen nur über Art. 33 oder Art. 3 Abs. 1 GG angegriffen werden. Der Weg über Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei nicht gangbar.
Hilfsweise wird hierzu noch vorgetragen, daß nach Auffassung des Landes der Gesetzgeber die Besoldung der Finanzrichter im Rahmen seines legitimen Ermessensspielraums rechtsgültig in § 8 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung im Lande Nordrhein-Westfalen - AGFGO - Nordrhein-Westfalen - vom 1. Februar 1966 (GVBI Nordrhein-Westfalen 1966 S. 23) geregelt habe. Im Hinblick auf die damals schon zu erwartende bundeseinheitliche Regelung der Finanzrichterbesoldung sei überdies § 8 AGFGO-Nordrhein-Westfalen nur vorläufiger Charakter zuzumessen gewesen. Da die Zweistufigkeit der Finanzgerichtsbarkeit erhalten geblieben sei, sei der Wesensgehalt der Aufgaben des FG unverändert geblieben. Die Einführung der Senatsverfassung bei den FG habe nicht den Amtsinhalt der Richterfunktion des Finanzgerichtsrates berührt. Da trotz Hebung der FG zu oberen Landesgerichten im Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Finanzgerichtsräte keine Änderung eingetreten sei, könnten die Finanzgerichtsräte nicht voll mit Richtern an echten Berufungsgerichten gleichgestellt werden. Die richtige Einstufung liege vielmehr zwischen der der Richter an erstinstanzlichen Gerichten und der der Richter an Gerichten zweiter Instanz. Dieser Einstufung entspreche die Einreihung in die Besoldungsgruppe A 14.
Der BdF, der gleichfalls dem Verfahren beigetreten ist, hält die Anrufung des Gro3sen Senats nach § 11 Abs. 4 FGO für zulässig. Er schließt sich im übrigen den Ausführungen des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen an und führt außerdem aus:
Der Revisionsgrund des § 119 Nr. 1 FGO greife auf diejenigen Vorschriften zurück, welche die Errichtung des Gerichts sowie die Zahl, Auswahl und den Status der mitwirkenden Richter regeln. Nach Wortlaut und systematischer Stellung des § 119 Nr. 1 FGO werde durch diese Vorschrift nicht eine bestimmte Besoldung der einzelnen Mitglieder des Gerichts gewährleistet. Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, daß die besoldungsrechtliche Einstufung der Richter die vorschriftsmäßige Besetzung eines Spruchkörpers berühren könne, wäre die Einstufung der Richter des erkennenden Gerichts in die Besoldungsgruppe A 14 nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Prüfung der Rechtsfragen durch den Großen Senat ergibt folgendes:
1. Bevor über die vorgelegte Frage entschieden werden konnte, hatte der Große Senat im Hinblick auf den Beschluß des IV. Senats vom 5. April 1968 darüber zu befinden, in welcher Besetzung die vorgelegte Frage zu entscheiden ist.
a) Über Meinungsverschiedenheiten der vorliegenden Art liegt bisher keine Rechtsprechung vor. Entschieden ist lediglich ein Fall, in dem die Vorlage auf beide Anrufungsgründe (§ 11 Abs. 3 und 4 FGO), wenn auch auf § 11 Abs. 3 FGO nur hilfsweise, gestützt war (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 4/66 vom 16. Januar 1967, BFH 88, 3, BStBl III 1967, 240). Der Große Senat ist damals davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 FGO gegeben seien. Der Große Senat ist der Auffassung, daß bei Unklarheit darüber, ob seine Anrufung auf § 11 Abs. 3 oder Abs. 4 FGO zu stützen ist, zunächst der Große Senat in der ursprünglichen, vom Gesetz vorgesehenen Besetzung, nämlich mit dem Präsidenten als Vorsitzenden und den sechs auf die Dauer von zwei Jahren bestellten Richtern (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FGO) zu entscheiden hat. Dies ergibt sich daraus, daß die Beurteilung der Frage, ob ein weiterer Richter des anrufenden Senats oder außerdem weitere Richter anderer Senate an der Entscheidung des Großen Senats mitzuwirken berechtigt sind, von sachlichen Entscheidungen abhängt, nämlich davon, ob eine Divergenz im Sinne des § 11 Abs. 3 FGO vorliegt oder ob die Voraussetzungen einer Anrufung nach § 11 Abs. 4 FGO gegeben sind.
b)Es wäre allerdings auch die Annahme denkbar, daß die Besetzung des Großen Senats stets durch den vom vorlegenden Senat gewählten Anrufungsgrund bestimmt wird. Ein solches Verfahren würde dem Prinzip des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ohne weiteres widersprechen. Diese Auffassung läßt sich jedoch dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht eindeutig entnehmen, wenn in dieser Vorschrift lediglich davon die Rede ist, daß in den Fällen des § 11 Abs. 3 oder Abs. 4 FGO Richter entsandt werden können. Läßt sich aber der gesetzlichen Regelung nicht eindeutig entnehmen, daß der von dem anrufenden Senat gewählte Anrufungsgrund die Besetzung des Großen Senats von vornherein bestimmt, so bleibt nichts anderes übrig, als dem Großen Senat die Prüfung, in welcher Besetzung er über die vorgelegte Frage zu entscheiden hat, in der ursprünglichen besetzung selbst zu überlassen. Dies ist um so mehr gerechtfertigt, als die erweiterte Besetzung des Großen Senats jedenfalls dann, wenn Streit darüber besteht, von der Klärung abhängt, ob der gewählte Anrufungsgrund zutreffend ist oder nicht.
c)Hinsichtlich des Verhältnisses der Anrufung nach § 11 Abs. 3 FGO und § 11 Abs. 4 FGO ist der Große Senat der Auffassung, daß die Anrufung auf Grund einer Divergenz grundsätzlich vorgehen muß; denn § 11 Abs. 3 FGO ist gegenüber § 11 Abs. 4 FGO die speziellere Vorschrift. Eine Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 11 Abs. 4 FGO kommt demnach nicht in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 FGO gegeben sind.
d) Der Große Senat ist jedoch der Auffassung, dß aus Verfahrensgründen seine Anrufung durch den erkennenden Senat nach § 11 Abs. 4 FGO, auch wenn objektiv eine Divergenz vorliegt, nicht ohne weiteres für unzulässig angesehen werden kann, sondern nur dann, wenn sie auf Willkür oder sachfremden Erwägungen beruht. Er ist dabei auf verwandten Gebieten angewandten Erwägungen und ergangenen Entscheidungen gefolgt:
Nach der Rechtsprechung des BVerfG verletzt eine unterlassene Anrufung des Großen Senats dann Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Unterlassung willkürlich war, weil die ihr zugrunde liegende Auslegung nicht mehr verständlich ist oder auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG-Beschluß 2 BvR 259/63 vom 11. Mai 1965, BVerf-GE 19, 38 [43]). Zwar betreffen diese Grundsätze unmittelbar nur die Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Unterlassung der Vorlage. Der gesetzliche Richter wird aber auch durch die Entscheidung des Großen Senats darüber berührt, ob eine Divergenz vorliegt oder nicht.
Darüber hinaus legt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung bei Beurteilung der Frage, ob es für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt, die Rechtsauffassung dieses Gerichts zugrunde, es sei denn, daß dessen Ansicht offenbar unhaltbar ist (BVerfG-Beschluß 2 BvL 5/59 vom 7. Juli 1959, BVerfGE 10, 1 [3]). Ähnlich hält sich auch der BFH für gebunden, wenn ein FG die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache bejaht und aus diesem Grunde die Revision zugelassen hat, es sei denn, daß das FG offensichtlich willkürlich verfahren ist (BFH-Urteil VI R 297/66 vom 7. August 1967, BFH 90, 29, BStBl III 1967, 789). Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Verletzung des gesetzlichen Richters und die Bindung eines angerufenen Gerichts an die Auffassung des anrufenden Gerichts hält der Große Senat auch für den vorliegenden Fall entsprechend anwendbar. Da sich nicht feststellen läßt, daß die Verneinung der Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 FGO durch den VI. Senat und seine Beschränkung auf den Anrufungsgrund des § 11 Abs. 4 FGO offensichtlich unhaltbar und willkürlich ist oder auf sachfremden Erwägungen beruht, hat der Große Senat die vom IV. Senat behauptete Divergenz nicht bejaht.
Es bedarf unter diesen Umständen nicht mehr der Entscheidung, ob der Auffassung der Revisionsklägerin entsprechend die Vorlage des VI. Senats als unzulässig hätte verworfen werden müssen oder ob sie dem Antrag des IV. Senats folgend nach § 11 Abs. 3 FGO zu behandeln gewesen wäre.
2. Die Anrufung des Großen Senats durch den VI. Senat nach § 11 Abs. 4 FGO setzt voraus, daß die Entscheidung in einer grundsätzlichen Rechtsfrage verlangt wird.
Dem Großen Senat wäre hiernach eine Prüfung von vornherein verwehrt, wenn die vorgelegte Frage etwa nicht eine Rechtsfrage wäre, sondern sich als Sachverhalt darstellte, dessen Entscheidung von ihm verlangt wird. Der Wortlaut der Anrufung ist insofern nicht ganz zweifelsfrei. Aus der Begründung des Vorlagebeschlusses ergibt sich jedoch, daß der VI. Senat die Entscheidung der abstrakten Rechtsfrage begehrt, ob ein FG vorschriftsmäßig im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO besetzt ist, obwohl die besoldungsmäßige Einstufung der Richter nach Inkrafttreten der FGO nicht erhöht worden ist.
Die vorgelegte Rechtsfrage ist auch von grundsätzlicher Bedeutung. Sie betrifft an sich nur die ordnungsmäßige Besetzung eines Senats des FG Düsseldorf. Sie ist aber darüber hinaus für alle Senate der FG in Nordrhein-Westfalen und letzten Endes für die FG in all den Ländern der Bundesrepublik von Bedeutung, die die Finanzgerichtsräte mit dem Inkrafttreten der FGO besoldungsmäßig nicht höhergestuft haben. Das Problem ist im übrigen mit der Einführung der FGO neu aufgetreten und bisher nicht geklärt. Die Frage ist für die Auslegung des Begriffes "vorschriftsmäßig besetzt" von erheblicher präjudizieller Bedeutung. Diese Umstände rechtfertigen auf jeden Fall die Annahme, daß die vom VI. Senat vorgelegte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Beschluß des BFH Gr. S. 3/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 213, BStBl II 1968, 285) und die Vorlage daher zulässig ist.
Der VI. Senat hat im übrigen auch dargetan, daß die vorgelegte Frage für die von ihm zu treffende Entscheidung erheblich ist.
Unter diesen Umständen bestehen gegen die Zulässigkeit der Vorlage keine Bedenken.
3. Bei Beantwortung der vorgelegten Anfrage ist der Große Senat nicht an den Beschluß des BVerfG 2 BvL 9, 10, 11/68 gebunden.
Zwar binden nach § 31 Abs. 1 BVerfGG die Entscheidungen des BVerfG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
a) Was unter der Bindung im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist, kommt im Gesetz selbst nicht zum Ausdruck. Im Schrifttum besteht Einigkeit darüber, daß Bindung mehr bedeutet als formelle und materielle Rechtskraft. Nach Geiger (Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, Kommentar, Anm. 4 zu § 31) haben die gebundenen Organe in all ihrem Tun und Lassen von der Entscheidung des BVerfG auszugehen, ihr Rechnung zu tragen, sich auf sie einzurichten. Lechner (Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 31 - zu Abs. 1 -) sieht das Wesen der Bindung in einer "Feststellungswirkung", die sich nicht gegen eine neue oder eine abweichende Entscheidung in der Hauptsache wendet, sondern Berücksichtigung in den Gründen der Entscheidungen der Gerichte verlangt.
Es braucht aber auf diese Frage nicht näher eingegangen zu werden, weil der Große Senat im vorliegenden Fall weder in dem einen noch in dem anderen Sinne gebunden ist.
Nach § 31 Abs. 1 BVerfGG kommt nämlich eine Bindung nur in den Fällen in Betracht, in denen das BVerfG über Verfassungsfragen entscheidet. In dieser Hinsicht besitzt das BVerfG eine besondere Zuständigkeit. Die Auslegung einfachen Rechts durch das BVerfG kann den Gesetzgeber nicht binden, weil dieser jederzeit in der Lage ist, das Gesetz zu ändern. Ist der Gesetzgeber nicht gebunden, so können auch andere Organe nicht gebunden sein (vgl. Maunz-Sigloch-Schmidt-Bleibtreu-Klein, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Anm. 13 zu § 31).
Das BVerfG hat jedenfalls im Zusammenhang mit der von ihm vorgenommenen verfassungsrechtlichen Prüfung, inwieweit Landesrecht mit Bundesrecht vereinbar ist, auch einfaches Recht, nämlich § 119 Nr. 1 FGO (vorschriftsmäßige Besetzung eines Gerichts) ausgelegt, wenn es entschieden hat, daß die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung der Senate in keinem Fall durch die besoldungsmäßige Einstufung der hessischen Finanzrichter berührt sein kann.
b) Ist der Senat an die Auslegung des BVerfG, soweit sie einfaches Recht zum Gegenstand hat, nicht gebunden, kann dahingestellt bleiben, ob, wie von der Revisionsklägerin behauptet, § 31 Abs. 1 BVerfGG gegen § 103 Abs. 1 GG verstößt oder nicht, ferner ob die Entscheidung des BVerfG 2 BvL 9, 10, 11/68, a. a. O., eine prozessuale Entscheidung darstellt und ob bei solchen Entscheidungen eine Bindung nicht eintritt (vgl. Geiger, a. a. O., Anm. 2 zu § 31).
4. Der Große Senat bejaht die vom VI. Senat vorgelegte Frage.
a) Allerdings hat der IV. Senat des BFH in dem Urteil IV R 124/67, a. a. O., entschieden, daß ein Senat des Schleswig-Holsteinischen FG deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei, weil die Richter dieses Senats rangmäßig nicht als Richter eines oberen Landesgerichts im Sinne des § 2 FGO eingestuft gewesen seien. Der IV. Senat ging dabei davon aus, daß dafür, ob die Vorsitzenden der Spruchkörper tatsächlich als Senatspräsidenten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 und des § 7 Absatz 1 Satz 1 FGO und die übrigen Mitglieder der Senate als Richter an einem oberen Landesgericht anzusehen seien, weniger ihre Amtsbezeichnung als ihre rangmäßige Einstufung maßgebend sei. Denn aus der Einstufung der Richter in den Besoldungsgesetzen ergebe sich die rangmäßige Stellung und - abgesehen von der Kammer- oder Senatsverfassung - die Eigenschaften der Gerichte als Landgerichte oder Oberlandesgerichte.
Der Große Senat teilt nicht die vom BVerfG ohne nähere Begründung in dem Beschluß 2 BvL 9, 10, 11/68, a. a. O., vertretene Ansicht, daß die von den vorlegenden Senaten des Hessischen FG übernommene Auffassung des IV. Senats des BFH in dem Urteil IV R 124/67, a. a. O., "unhaltbar" sei. Der Auffassung des IV. Senats lag die jedenfalls in der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf Grund jahrelanger Tradition bestehende Praxis zugrunde, daß Oberlandesgerichte grundsätzlich mit entsprechend eingestuften Oberlandesgerichtsräten besetzt sind. Die u. a. hierauf sich gründende Auffassung, daß die vorschriftsmäßige Besetzung eines Gerichts auch durch die besoldungsmäßige Einstufung der an ihm tätigen Richter, worin deren Rang zum Ausdruck komme, bestimmt werde, kann nicht als offensichtlich unbegründet abgetan werden. Sie ist durchaus vertretbar.
Gleichwohl kann der Große Senat der Auffassung des IV. Senats nicht folgen. Der Große Senat ist im Hinblick auf die ihm vorgelegte Anfrage von § 119 Nr. 1 FGO ausgegangen. Bei einer Auslegung nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und einem Vergleich dieser Vorschrift mit gleichlautenden Vorschriften in anderen Verfahrensordnungen kommt der Große Senat zu einem von der Auffassung des IV. Senats abweichenden Ergebnis.
b) Der Wortlaut des § 119 Nr. 1 FGO gibt zwar keinen unmittelbaren Aufschluß darüber, wann ein Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt ist. Die Vorschrift enthält auch keine ausdrückliche Verweisung auf bestimmte andere Vorschriften. § 119 Nr. 1 FGO ist jedoch im Zusammenhang zu sehen mit den übrigen darin aufgeführten Revisionsgründen Nr. 2 bis 6 und mit § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Aus dem Zusammenhang mit § 119 Nr. 2 bis 6 FGO ergibt sich, daß die hier aufgeführten Revisionsgründe die Grundlagen des Verfahrens betreffen. § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO enthält den Grundsatz, daß die Revision nur auf die Verletzung von Bundesrecht gestützt werden kann. Zwischen dem mit der Revision angefochtenen Urteil und der Verletzung von Bundesrecht muß ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Wenn auch die in § 119 Nr. 1 bis 6 FGO aufgeführten Revisionsgründe die Grundlagen des Verfahrens berühren, betreffen sie nicht den materiellen Inhalt des Urteils. Es kann daher zweifelhaft sein, ob das Urteil auf den in § 119 Nr. 1 bis 6 FGO bezeichneten Gründen beruht. Diese Zweifel beseitigt § 119 FGO in dem Sinne, daß für alle in dieser Vorschrift genannten Fälle der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Urteil und der Gesetzesverletzung bejaht wird.
c) Die Vorschrift des § 119 Nr. 1 FGO entspricht im übrigen den gleichlautenden Vorschriften der § 551 Nr. 1 ZPO, § 338 Nr. 1 StPO und § 138 Nr. 1 VwGO. Es kann daher für die Auslegung des § 119 Nr. 1 FGO nicht unbeachtet bleiben, was in jenen Verfahrensordnungen unter der vorschriftsmäßigen Besetzung eines Gerichts verstanden wird.
Nach der Begründung zur ZPO (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislatur-Periode, II. Session 1874/75, Dritter Band, S. 387 [525]) "begreift die Nr. 1 (des dem § 119 Nr. 1 FGO entsprechenden § 489 des Entwurfs) alle Fälle, in denen die Besetzung des Gerichts den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes widerspricht". Im Schrifttum zu den angeführten Verfahrensordnungen werden als Voraussetzungen für die vorschriftsmäßige Besetzung eines Gerichts bezeichnet: Die Fähigkeit der mitwirkenden Richter zum Richteramt, ihre ordnungsmäßige Bestellung, die Besetzung des Gerichts mit einer bestimmten Zahl von Richtern, ferner die Bildung der Kammern und Senate, d. h. die Bestimmung der Vorsitzenden, der Mitglieder, der Vertreter und die Reihenfolge, in der diese hinzuzuziehen sind (vgl. Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anm. II, 1 zu § 551 ZPO). Nach Wieczorek (Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anm. B I b 1 zu § 551) sind die Merkmale einer vorschriftsmäßigen Besetzung, daß die Richter durch die zuständige Verwaltungsbehörde bei einem bestimmten Gericht ernannt worden sind (früher § 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -, nunmehr §§ 8, 10 des Deutschen Richtergesetzes - DRiG -), und zwar unter Wahrung der gesetzlichen Voraussetzungen ihrer Ernennung: Richterfähigkeit (früher §§ 2-5 GVG, nunmehr §§ 5-7 DRiG), Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte und Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter. Allgemein ausgedrückt (vgl. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung, Anm. 7 ff. zu § 338) kann die vorschriftswidrige Besetzung eines Gerichts darauf beruhen, daß die Bestimmungen des GVG, die für die Besetzung der Gerichte mit Richtern einerseits, mit Schöffen und Geschworenen andererseits maßgebend sind, verletzt sind oder auch darauf, daß persönliche Mängel der Mitwirkung eines Gerichtsmitgliedes entgegenstehen. Als solche kommen in Betracht die mangelnde Befähigung zum Richteramt und die mangelnde Verhandlungsfähigkeit. Ähnlich auch Müller-Sax (in Kleinknecht-Müller-Reitberger, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 6. Aufl., Anm. 2 zu § 338). Zusammenfassend läßt sich demnach feststellen, daß die vorschriftsmäßige Besetzung eines Gerichts von gesetzlichen Voraussetzungen abhängt, die sowohl das Gericht als solches als auch dessen einzelne Mitglieder betreffen.
d) Die FGO enthält im Ersten Teil, Abschn. I "Gerichte" die zuerst genannten, in Abschn. II "Richter" die zuletzt genannten Voraussetzungen.
Für die Beantwortung der dem Großen Senat vorgelegten Frage ist insbesondere § 2 FGO von Bedeutung. Danach sind die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit in den Ländern die FG als obere Landesgerichte, im Bund der BFH. Dem Wortlaut nach unterscheidet die Vorschrift zwischen den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit in den Ländern und im Bund. Damit wird die Finanzgerichtsbarkeit zwischen Ländern und Bund aufgeteilt, wie es der verfassungsmäßigen Festlegung in Art. 92, 96 Abs. 1 GG entspricht. Insoweit hat die Vorschrift nur deklaratorischen Charakter.
Darüber hinaus wird auch noch dem Umstand Bedeutung beigemessen, daß die FG in den Ländern "obere Landesgerichte" sind. Was es mit dieser Bezeichnung für eine Bewandtnis hat, darüber gibt der Bericht des Abgeordneten Seuffert, des Berichterstatters im Vermittlungsausschuß, in der 198. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 23. Juli 1965 (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, Stenographische Berichte Bd. 59, S. 10084 A) Aufschluß: "Der Vermittlungsausschuß hielt es aber gleichzeitig für notwendig, den Finanzgerichten eine Hebung ihrer Stellung zu gewähren und damit dem Umstand Rechnung zu tragen, daß sie als einzige Mittelinstanz weiter zwischen dem FA und dem Revisionsgericht stehen. Sie erhalten eine Senatsverfassung, wie sie vom Bundestag für die Oberfinanzgerichte vorgesehen war. Der Vermittlungsausschuß meint, daß damit die zweifellos in der Finanzgerichtsbarkeit bestehenden Personal- und auch Laufbahnschwierigkeiten in nicht unerheblichem Umfang gemildert werden können. Er ist sich bewußt, daß sich daraus Stellenhebungen ergeben." In ähnlicher Weise hat sich auch der Berichterstatter des Bundesrats, Finanzminister Dr. Müller (Baden-Württemberg), in der 287. Sitzung des Bundesrats vom 29. Juli 1965 (Stenographischer Bericht S. 221 B) geäußert.
Die Hebung der FG zu oberen Landesgerichten sollte nach der Absicht des Vermittlungsausschusses zwei Folgen nach sich ziehen, eine gerichtsverfassungsrechtliche, nämlich die Einführung der Senatsverfassung, und eine besoldungs- und laufbahnmäßige. Den gerichtsverfassungsrechtlichen Zweck der Hebung hat der Bundesgesetzgeber unmittelbar selbst verwirklicht, nämlich durch Einführung der Senatsverfassung (§ 4 FGO).
Es ist unbestritten, daß das FG Düsseldorf in der dem § 4 FGO entsprechenden Besetzung entschieden hat und insoweit vorschriftsmäßig im Sinn des § 119 Nr. 1 FGO besetzt gewesen ist.
e) Daraus, daß mit der Hebung der FG zu oberen Landesgerichten "die bestehenden Personal- und Laufbahnschwierigkeiten" gemildert werden sollten und der Vermittlungsausschuß sich bewußt gewesen sei, "daß sich daraus Stellenhebungen ergeben", läßt sich eindeutig die Absicht des Bundesgesetzgebers entnehmen, die Länder zu Stellenhebungen und Besoldungsverbesserungen zu verpflichten. Dies erscheint auch mit Rücksicht auf die Auslegung des Art. 96 Abs. 1 GG durch das BVerfG, wonach die in diesem Art. genannten fünf Gerichtszweige gleichwertig, gleichrangig und gleichbedeutsam sind (vgl. BVerfG-Beschluß 2 BvR 49/60, a. a. O.), durchaus gerechtfertigt. Nach Auffassung des Großen Senats können die Länder diese mit der Hebung der FG deutlich bekundete Absicht auf die Dauer nicht unbeachtet lassen.
Den weitergehenden Schluß aus diesen Erklärungen, daß FG, bei denen solche Stellenhebungen nicht vorgenommen worden sind, als obere Landesgerichte nicht vorschriftsmäßig besetzt seien, vermag jedoch der Große Senat nicht zu ziehen.
Denn abgesehen davon, daß der Wortlaut der Erklärung des Abgeordneten Seuffert zu allgemein gehalten ist, um einen sicheren Schluß auch in dieser Richtung zuzulassen, ist die durch die Besoldung bewirkte Einstufung der bei einem FG mitwirkenden Richter jedenfalls nach dem Abschn. I der FGO kein gesetzliches Merkmal der FG. Auch der Zusammenhang der Vorschriften dieses Abschnitts läßt eine solche Auffassung nicht zu. Für die Annahme, daß die besoldungsmäßige Einstufung der Richter gerichtsverfassungsrechtlich Bedeutung habe, findet sich auch im GVG kein Anhalt. Läßt sich aber keine gesetzliche Vorschrift in dem Sinn finden, daß der gerichtsverfassungsrechtliche Charakter eines oberen Landesgerichts durch die besoldungsmäßige Einstufung der Richter bestimmt wird, so kann durch die besoldunsmäßige Einstufung der Richter eines Finanzgerichts § 119 Nr. 1 FGO nicht berührt sein.
Die Tatsache, daß nach den Besoldungsordnungen Richter an den oberen Gerichten höher besoldet sind als an unteren Gerichten, ist für die gerichtsverfassungsrechtliche Frage der Besetzung eines Gerichts ohne Bedeutung.
Diese Auffassung wird auch durch den Sinn des § 119 Nr. 1 FGO bestätigt. Wie dargelegt, beseitigt § 119 FGO den möglichen Zweifel, ob bei Verletzung von Verfahrensrecht in jedem Falle das Urteil für die Verletzung von Bundesrecht ursächlich ist, oder anders ausgedrückt, ob das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift eingehalten worden wäre. Es ist jedoch unvorstellbar, daß die an sich nach Gesetz und Geschäftsverteilungsplan zur Mitwirkung bei einer Entscheidung berufenen Richter anders entschieden hätten, wenn sie besoldungsmäßig anders eingestuft gewesen wären.
Der Umstand, daß eine bessere Besoldung es etwa ermöglichte, Richter von höherer Qualität zu finden und dadurch eine Entscheidung anders ausfallen könnte als sie tatsächlich ausgefallen ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Denn § 119 Nr. 1 FGO hat das Gericht im Auge, das tatsächlich entschieden, aber in seiner Besetzung nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat.
Würde man im übrigen der Besoldung der Finanzrichter für den Status der FG als obere Landesgerichte eine Bedeutung beimessen, könnte es zweifelhaft sein, ob unbesoldete ehrenamtliche Richter bei einem oberen Landesgericht überhaupt mitwirken könnten.
f) Ein Gericht könnte auch dann nicht vorschriftsmäßig im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO besetzt sein, wenn die an der Entscheidung mitwirkenden Richter die personalen gerichtsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen würden. Diese Voraussetzungen sind zum Teil in §§ 14, 15 PGO und darüber hinaus im DRiG geregelt. Sie betreffen den Status der Richter - Richter auf Lebenszeit, Richter auf Probe oder Richter kraft Auftrags - (§§ 14, 15 FGO in Verbindung mit §§ 8 bis 10, 12 DRiG). Der in diesen Vorschriften geregelte Status der bei den FG tätigen Richter ist von dem durch die Besoldung verliehenen Rang unabhängig. Der Status hängt ausschließlich von den in §§ 9 bis 14 DRiG bezeichneten Voraussetzungen ab. Keine dieser Vorschriften läßt die Annahme zu, daß es für die Statusregelung auf die Besoldung ankommt.
Die Besoldung spielt vielmehr erst eine Rolle im Zusammenhang mit der Verleihung eines sogenannten abstrakten Richteramtes (vgl. § 17 DRiG). Denn das nach dieser Vorschrift dem Richter zu übertragende statusrechtliche, abstrakte Richteramt bestimmt Besoldung, Versorgung und Amtsbezeichnung des Richters (vgl. Gerner-Decker-Kauffmann, Deutsches Richtergesetz, Anm. 3d zu § 17; Schmidt-Räntsch, Kommentar zum Deutschen Richtergesetz, Anm. 5 zu § 27). Richterämter im statusrechtlichen Sinne sind daher in der Besoldungsordnung festgelegt.
Gerichtsverfassungsrechtlich sind aber die besoldungsrechtlichen Folgen der Übertragung eines abstrakten Richteramtes ohne Bedeutung. In diesem Sinne und im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO ist entscheidend überhaupt nur, daß dem Richter ein Richteramt an einem FG übertragen worden ist. Welche Amtsbezeichnung, Besoldungs- und Versorgungsbezüge damit verbunden sind, spielt für die Frage der Beurteilung der vorschriftsmäßigen Besetzung im personalen Sinn keine Rolle. Insofern kann in diesem Zusammenhang nicht untersucht werden, ob dem Finanzrichter infolge der Anhebung der FG zu oberen Landesgerichten ein höherer Rang nach der Besoldungsordnung und deshalb ein höheres Richteramt zugestanden hätte. Entscheidend ist allein, ob alle Richter eines FG die statusrechtliche Stellung eines Finanzrichters innehatten. Im Streitfall kann nach dem Inhalt der Akten kein Zweifel bestehen, daß alle Richter des FG Düsseldorf, die an der Entscheidung vom 26. Mai 1966 mitgewirkt haben, dieser Voraussetzung entsprechen. Die Richtigkeit dieser Überlegung wird bestätigt durch den oben dargestellten Sinn des § 119 Nr. 1 FGO. Auch in diesem Zusammenhang ist es undenkbar, daß ein Gericht in der Besetzung mit Richtern eines höheren Richteramtes anders entschieden hätte als es tatsächlich geschehen ist.
Durch die besoldungsmäßige Einstufung der Richter könnte allenfalls die persönliche Unabhängigkeit der Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG beeinflußt sein. Es ist aber nicht vorgetragen und aus dem Inhalt der Akten auch nicht ersichtlich, daß die derzeitige Einstufung der Finanzrichter beim FG Düsseldorf deren richterliche Unabhängigkeit auch nur gefährdet hätte.
Zusammenfassend läßt sich demnach feststellen, daß die besoldungsmäßige Einstufung der Richter bei den FG für die Frage der vorschriftsmäßigen Besetzung eines Gerichts im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO ohne Bedeutung ist.
g) Bei der vom Großen Senat vertretenen Auffassung bedarf es nicht mehr der Prüfung, ob etwa die besoldungsmäßige Einstufung der Finanzrichter für eine Übergangszeit hingenommen werden muß. Diese Frage ist im Zusammenhang mit der Prüfung der vorgelegten Anfrage ohne Bedeutung.
Die Anfrage des VI. Senats ist demnach wie folgt zu beantworten:
Die vorschriftsmäßige Besetzung der FG im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO wird nicht dadurch berührt, daß die Besoldung der Richter nach dem Inkrafttreten der FGO nicht erhöht worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 412922 |
BStBl II 1968, 473 |
BFHE 92, 188 |