Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Nach § 96 Abs. 2 FGO gebotene Hinweise des Vorsitzenden, die bloße Äußerung einer vorläufigen Meinung über den erwarteten Verfahrensausgang oder eine zweckmäßige Beilegung des Rechtsstreites sind kein Ablehnungsgrund.
2. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters rechtfertigen nur ausnahmsweise die Besorgnis der Befangenheit.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 96 Abs. 2; ZPO § 41 ff.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) lehnte in seinem Rechtsstreit gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) wegen Einkommensteuer 1990 den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht (FG) A und den Berichterstatter, Richter am FG B, der zwischenzeitlich in den Ruhestand getreten ist, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er vor, Vorsitzender Richter am FG A lasse alle Hinweise des Klägers, wie die vom FA nicht zum Abzug zugelassenen Verluste aus dem ... handel ermittelt werden könnten, unberücksichtigt, folge blindlings den Angaben des Beklagten, wolle sich über fundamentale rechtliche Erkenntnisse hinwegsetzen und den Kläger zu Zustimmungen veranlassen, die jedenfalls sachlich nicht begründet seien. Dies folge aus einem Schreiben des Vorsitzenden in dem -- auch das Verfahren wegen Einkommensteuer 1990 berührenden -- Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 1990. Darin habe der Vorsitzende angeregt, nach Erlaß eines Änderungsbescheids durch das FA sollten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären. Obwohl der Kläger in der Einkommensteuersache am 24. August 1995 noch einen Haupt- und einen Hilfsantrag gestellt habe, habe der Vorsitzende, ohne hierauf einzugehen, zur mündlichen Verhandlung geladen.
Das FG hat den Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter als unbegründet abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde, zu deren Begründung sich der Kläger auf sein bisheriges Vorbringen bezieht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die nach § 128 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil das FG bereits zur Hauptsache entschieden hat (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist dabei, ob tatsächlich die Entscheidung durch Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele; ausschlaggebend ist, ob der Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Das Ablehnungsverfahren dient allerdings nicht dazu, die Beteiligten gegen unrichtige -- materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche -- Rechtsauffassungen zu schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung (z. B. BFH in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und BFH-Beschluß vom 20. November 1990 VII B 32/90, BFH/NV 1991, 755, m. w. N.).
a) Ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters kann insbesondere nicht daraus hergeleitet werden, daß sich dieser eine Meinung über die Rechtslage und den Verfahrensausgang gebildet hat (vgl. dazu auch den Senatsbeschluß vom 17. Mai 1995 X R 55/94, BFHE 177, 344, BStBl II 1995, 604) und diese Meinung äußert (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 1955 1 BvR 522/53, BVerfGE 4, 143, 144; BFH-Beschluß vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527, seither ständige Rechtsprechung). Aus der Pflicht des Gerichts zur Prozeßförderung ergibt sich ein Recht des Richters, gegenüber den Beteiligten eine vorläufige Meinung über den zu erwartenden Prozeßausgang zu äußern (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse in BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527; vom 19. April 1994 IV B 33/94, BFH/NV 1995, 123); er hat in jedem Stadium des Verfahrens darauf hinzuwirken, daß der Rechtsstreit gütlich beigelegt wird (§ 155 FGO i. V. m. § 279 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Allein aus der Anregung des Vorsitzenden Richters zu einer nach seiner Auffassung zweckmäßigen Beilegung des Rechtsstreits in dem Verfahren wegen Umsatzsteuer -- nachdem das FA eingeräumt hatte, daß diese Klage zum Teil begründet sei -- kann bei objektiver Betrachtung kein Grund für die Parteilichkeit des abgelehnten Richters abgeleitet werden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, weshalb bei ihm der Eindruck entstehen konnte, dieser Vorschlag beruhe auf einer unsachlichen Einstellung ihm gegenüber, hat der Kläger nicht vorgetragen.
b) Einen Grund zur Annahme der Vorein genommenheit des Vorsitzenden sieht der Kläger weiter darin, daß der Vorsitzende zur mündlichen Verhandlung geladen hat, obwohl zunächst über seine Anträge vom 24. August 1995 auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer und auf Verlängerung der ihm zur Vorlage bestimmter Belege nach § 79 b Abs. 2 FGO gesetzten Frist hätte entschieden werden müssen.
Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters sind jedoch grundsätzlich kein Ablehnungsgrund (vgl. z. B. BFH- Beschlüsse vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308; vom 24. November 1994 X B 146-149/94, BFH/NV 1995, 692, jeweils m. w. N.). Verfahrensverstöße können eine Besorgnis der Befangenheit nur -- ausnahmsweise -- dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Denn durch das Institut der Richterablehnung soll eine unparteiische Rechtspflege gesichert, nicht aber die Möglichkeit der Überprüfung einzelner Verfahrensfehler eröffnet werden (vgl. z. B. Senatsbeschluß in BFH/NV 1995, 692, m. w. N.).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Kläger hat -- abgesehen von der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit der unterlassenen Entscheidung über seine Anträge vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung -- keine besonderen Umstände vorgetragen, die bei vernünftiger Betrachtung die Annahme rechtfertigten, der abgelehnte Richter sei voreingenommen. Unrichtige Rechtsansichten sind in der Verhandlung mit Sachargumenten zu bekämpfen -- hierzu hatte der Kläger in der bevorstehenden mündlichen Verhandlung Gelegenheit -- und ggf. im Rechtsmittelverfahren zu korrigieren (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rz. 40, m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 421604 |
BFH/NV 1997, 122 |