Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über Befangenheitsrüge - Ablehnungsgründe
Leitsatz (NV)
1. Lehnt das FG eine Befangenheitsrüge durch in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß ab, so kann es diesen im anschließend ergangenen Urteil begründen.
2. Die Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers oder sämtlicher Berufsrichter eines Senats wegen Befangenheit ist nicht rechtsmißbräuchlich, wenn dies im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Entscheidung dieses Richterkollegiums geschieht.
3. Ein Befangenheitsgesuch, das auf Rechtsverstöße des Gerichts in einem früheren Verfahrensabschnitt oder Parallelverfahren gestützt wird, ist nur ausnahmsweise und zwar dann begründet, wenn Umstände dargetan werden, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richter gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein. Das ist nicht der Fall, wenn es das FG unterläßt, in einem von einem Rechtsanwalt und Steuerberater in eigener Sache betriebenen Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids auf das Erfordernis der Antragstellung nach § 68 FGO hinzuweisen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 69 Abs. 3 S. 5, § 76 Abs. 2, §§ 105, 113 Abs. 2; ZPO § 41 ff.; AO 1977 § 155 Abs. 5
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute, haben in dem von ihnen angestrengten Klageverfahren wegen der Einkommensteuer 1982 mit Schriftsatz vom 2. März 1991 drei von ihnen benannte Berufsrichter des . . .Senats des Finanzgerichts (FG) als befangen abgelehnt, nachdem dieser Senat in einem Parallelverfahren den Antrag der Kläger auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1982 wiederholt abgelehnt hatte. Das FG hatte zunächst mit Beschluß vom 6.August 1990 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unzulässig zurückgewiesen, da der mit dem Antrag angegriffene Einkommensteuerbescheid durch wiederholte Änderungsbescheide, zuletzt vom 3. Mai 1990, ersetzt worden sei, den die Kläger jedoch nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hätten. Auch die daraufhin von den Klägern beantragte Änderung des Beschlusses gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lehnte das FG mit Beschluß vom 6.Februar 1991 ab, ohne die Beschwerde hiergegen zuzulassen. Denn es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuer-Änderungsbescheids. Dieser sei gemäß § 155 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Zustellung eines Bescheids wirksam bekanntgegeben worden; dem von den Klägern genannten Urteil des FG München vom 1. August 1989 12 K 3451/89 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1990, 46) habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen, im übrigen träfen die Schlußfolgerungen der Kläger aus diesem Urteil nicht zu. Mit ihrem Ablehnungsgesuch machten die Kläger geltend, daß aufgrund dieser Beschlüsse des FG die Besorgnis der Befangenheit gegenüber den hieran beteiligten Richtern bestehe. Das FG habe nämlich vor Erlaß des Beschlusses vom 6.August 1990 seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs durch Hinweis auf die Möglichkeit der Antragstellung nach § 68 FGO nicht genügt. Auch die Begründung des Beschlusses vom 6.Februar 1991 sei eindeutig falsch und weiche von dem Urteil in EFG 1990, 46 ab.
Das FG hat in der mündlichen Verhandlung vom 10. April 1991 nach Beratung den Beschluß verkündet, daß der Befangenheitsantrag abgelehnt werde. Mit dem nach Durchführung der mündlichen Verhandlung ergangenen Urteil wurde die Klage abgewiesen. In dem Urteil führte das FG aus, das Ablehnungsgesuch sei unzulässig, weil die Kläger keine Gründe gegen die Unparteilichkeit der einzelnen Richter dargelegt hätten. Hierüber könnten auch die abgelehnten Richter befinden.
Mit der Beschwerde gegen diesen Beschluß, der das FG nicht abgeholfen hat, machen die Kläger unter Wiederholung ihrer Ablehnungsgründe geltend: Über den Befangenheitsantrag habe nicht in der mündlichen Verhandlung und der dortigen Besetzung mit fünf Richtern befunden werden dürfen. Der Beschluß sei ohne die nach § 113 Abs. 2 FGO notwendige Begründung ergangen. Ein Nachschieben der Begründung im Urteil sei unzulässig. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei dadurch verletzt, daß das FG über die Nichtabhilfe gegen die Beschwerde entschieden habe, obwohl die Kläger ihre Beschwerde mangels Kenntnis der Beschlußgründe noch nicht hätten begründen können.
Entscheidungsgründe
Die nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 46 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) statthafte Beschwerde ist unbegründet.
Die Beschwerde ist nicht deshalb unzulässig geworden, weil das FG bereits zur Hauptsache entschieden hat (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).
Das FG hat den Ablehnungsantrag im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen. Das Ablehnungsgesuch war entgegen der Vorentscheidung zulässig, ist jedoch unbegründet.
Soweit sich das Ablehnungsgesuch auf das Verfahren des FG bis zum Beschluß vom 6.August 1990 über die Aussetzung der Vollziehung stützt, haben die Kläger ihr Ablehnungsrecht nicht dadurch eingebüßt (vgl. § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO), daß sie den Antrag nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO gestellt haben, ohne Befangenheitsgründe geltend zu machen. Denn ihr Ablehnungsantrag stützt sich - anders als in den vom BFH bereits entschiedenen Fällen (vgl. Beschlüsse vom 13. Mai 1987 II B 134/86, BFH/NV 1988, 160, und vom 16.Dezember 1987 I B 130/87, BFH/NV 1988, 788) - auf die Bescheide beider Anträge auf Aussetzung der Vollziehung durch das FG, also auf den Gesamtsachverhalt dieses Verfahrens (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., § 43 Tz.8).
Die Kläger rügen zu Unrecht, daß das FG über das Ablehnungsgesuch ohne die nach § 113 Abs. 2 FGO gebotene Begründung entschieden habe. Denn diese Begründung ist im gleichzeitig zur Hauptsache ergangenen Urteil enthalten. Diese Handhabung war hinsichtlich des Begründungserfordernisses ebenso zulässig wie eine Bezugnahme auf gleichzeitig zwischen denselben Beteiligten ergangene Entscheidung (vgl. Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 105 Tz.21).
Das FG hat jedoch das Ablehnungsgesuch zu Unrecht als rechtsmißbräuchlich verworfen.
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO). Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, ständige Rechtsprechung).
Das Ablehnungsgesuch muß sich grundsätzlich auf bestimmte Richter beziehen. Wegen Rechtsmißbrauchs ist es im allgemeinen unzulässig, pauschal den ganzen Spruchkörper oder alle Berufsrichter eines Spruchkörpers ohne Angabe ernstlicher Gründe in der Person des einzelnen Richters abzulehnen (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 479, BStBl II 1974, 142, und Senatsbeschluß vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175). Allerdings gilt dies nicht, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden (BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 1986 VII B 118/85, BFH/NV 1986, 415, 416, und vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656, 658 im Anschluß an Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 5. Dezember 1975 VI C 129.74, BVerwG 50, 36, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 51, Rechtsspruch 28). Denn in einem solchen Fall kann der Betroffene wegen des Beratungsgeheimnisses nicht wissen, welcher Richter die Entscheidung mitgetragen hat. Ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts durch Ablehnung des gesamten Spruchkörpers liegt beim Anknüpfen an eine von diesem getroffene Entscheidung daher nur vor, wenn das Gesuch gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, welche die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (Urteil des BVerwG vom 2. Juli 1976 VI C 109. 75, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1976, 747). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Die Kläger haben ihr Ablehnungsgesuch mit konkreten Umständen aus dem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung substantiiert begründet.
Über das somit zulässige Ablehnungsgesuch hätte das FG daher, wie die Kläger zu Recht bemängeln, nicht durch die davon betroffenen Richter befinden dürfen. Die Beschwerde ist gleichwohl zurückzuweisen, weil das Ablehnungsgesuch unbegründet war.
Es ist auch unschädlich, daß die abgelehnten Richter keine dienstliche Äußerung über das Ablehnungsgesuch abgegeben haben, da der zur Entscheidung stehende Sachverhalt unstreitig feststeht (Senatsbeschluß vom 30. September 1986 VIII B 31/86, BFH/NV 1987, 308).
Das Ablehnungsgesuch war unbegründet, weil die Richterablehnung grundsätzlich nicht auf rechtsfehlerhafte Entscheidungen gestützt werden kann. Dies gilt insbesondere für die Rüge von Rechtsverstößen, die dem Gericht in einem früheren Verfahrensabschnitt oder in einem Parallelverfahren unterlaufen sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653, und vom 30. November 1987 VIII B 7/87, BFH/NV 1989, 639). Denn das Richterablehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsansichten des Richters. Dagegen können sich die Beteiligten mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen wehren. Das Ablehnungsverfahren dient vielmehr allein dazu, den Beteiligten vor der Mitwirkung eines Richters zu bewahren, an dessen Unparteilichkeit Zweifel begründet sind (Beschluß in BFHE 144, 144 BStBl II 1985, 555). Rechtsfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (BFH-Beschluß vom 16.Februar 1989 X B 99/88, BFH/NV 1989, 708; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, § 51 Tz.40; Zöller, a.a.O., § 42 Anm.28). Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschluß vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587, Ziff.II. 3. a der Gründe).
Dies hat die Rechtsprechung z.B. angenommen, wenn der betroffene Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken mißachtet und verfassungsrechtliche Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, daß sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Beschluß des Bayer. Obersten Landesgerichts - BayObLG - vom 12. Mai 1977 1 Z 29/77, Deutsche Richterzeitung - DiRZ - 1977, 244, 245).
So liegt es hier nicht. Von schweren Rechtsverstößen des FG, wie sie die Kläger behaupten, kann keine Rede ein.
Soweit die Kläger Voreingenommenheit der abgelehnten Richter aus dem Beschluß vom 6.August 1990 deshalb folgern, weil zunächst auf die Möglichkeit zur Antragsumstellung nach § 68 FGO hätte hingewiesen werden müssen, bedarf es keiner Entscheidung, ob in der Unterlassung eines solchen Hinweises ein Verstoß gegen § 76 Abs. 2 FGO gesehen werden könnte. obwohl es sich bei der beantragten Aussetzung der Vollziehung um ein von einem Rechtsanwalt und Steuerberater auch in eigener Sache angestrengtes Eilverfahren gehandelt hat. Denn es wäre mindestens kein schwerwiegender Verfahrensverstoß gegeben, da für die Kläger auch nach Ablehnung ihres ersten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung die Möglichkeit erneuter Antragstellung nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO gegeben war, wovon sie denn auch Gebrauch gemacht haben.
Besorgnis der Befangenheit läßt sich ebensowenig aus dem zweiten Beschluß des FG zur Aussetzung der Vollziehung folgern, womit das FG das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuer 1982 verneint hat. Die Kläger behaupten insoweit lediglich, daß die Richter einem schwerwiegenden materiell-rechtlichen Rechtsirrtum unter Abweichung von dem in EFG 1990, 46 veröffentlichten Urteil unterlegen seien, ohne sich mit dem Hinweis in der Vorentscheidung auseinanderzusetzen, daß dieses FG-Urteil die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des § 155 Abs. 5 AO 1977 betreffe. Im übrigen scheidet die Annahme eines schweren Rechtsfehlers aus. Das ergibt sich schon daraus, daß die Rechtsansicht der Vorinstanz auch von gewichtigen Stimmen im Schrifttum vertreten wird (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 8 VwZG Tz.4; anderer Ansicht allerdings Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 2 VwZG Anm.4). Das FG war auch wegen der Umstrittenheit der Rechtsfrage im Schrifttum nicht zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung verpflichtet, wenn es - wie geschehen - die von ihm vertretene Rechtsauffassung für hinreichend begründet erachtete. Eine Zulassung der Beschwerde gegen seine Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung setzte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache voraus. Diese hat das FG zu Recht verneint, wie sich aus dem Beschluß des erkennenden Senats vom gleichen Tage VIII B 84/91 zur Nichtzulassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren ergibt.
Schließlich läßt die Sachbehandlung im Klageverfahren keine Schlüsse darauf zu, daß sich das FG dort vorzeitig auf die im Aussetzungsverfahren vertretene Rechtsansicht festgelegt hätte, so daß die Kläger Grund für die Befürchtung gehabt hätten, die Richter würden Gegengründen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Denn die Kläger hatten in der mündlichen Verhandlung vor dem FG Gelegenheit, zu den streitigen Rechtsfragen Stellung zu nehmen, insbesondere neue rechtliche Gesichtspunkte vorzutragen. Letzeres ist offenbar unterblieben. Weder aus der Sitzungsniederschrift noch aus der Begründung des FG-Urteils sind Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine unsachliche Einstellung der Richter gegenüber den Klägern schließen ließen.
Fundstellen