Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlen der Entscheidungsgründe; Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Leitsatz (NV)
1. Eine Entscheidung ist nur dann "nicht mit Gründen versehen", wenn die Gründe überhaupt fehlen oder aus dem Urteil die wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren, nicht erkennbar sind, so dass die Beteiligten die Entscheidung nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können oder wenn das Urteil einen wesentlichen Streitpunkt nicht behandelt. Eine bloß lücken- oder fehlerhafte Urteilsbegründung kann jedoch keinen wesentlichen Verfahrensmangel begründen.
2. Eine Divergenz liegt vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Ein abstrakter Rechtssatz in diesem Sinne muss nicht notwendig nach Art eines Leitsatzes in den Gründen des angefochtenen Urteils formuliert sein; er kann sich auch aus scheinbar nur fallbezogenen Rechtsausführungen des FG ergeben.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2, § 115 Abs. 2, § 119 Nr. 6
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 07.02.2007; Aktenzeichen 13 K 2453/06) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhielt für seine Tochter Kindergeld. Mit Bescheid vom 2. Februar 2004 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2003 auf, da die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Jahr 2003 den maßgeblichen Grenzbetrag in Höhe von 7 188 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2003 geltenden Fassung) überschritten.
Nach erfolglosem Einspruch legte der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren eine Rechnung über "2 500 Stück Kopie DIN A4 s/w - Schulungsunterlagen -" in Höhe von 87 € sowie eine Rechnung über den Kauf eines Druckers in Höhe von 346,84 € vor. Die Familienkasse vertrat in der Klageerwiderung die Auffassung, der Grenzbetrag sei nicht "unterschritten", weil die Anschaffungskosten des Druckers nur zu einem Drittel, d.h. in Höhe von 115,61 €, berücksichtigt werden könnten und die Kopierkosten mangels Erkennbarkeit ihres Verwendungszwecks nicht anzuerkennen seien. Der Kläger nahm daraufhin seine Klage zurück.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 machten die Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber der Familienkasse erneut geltend, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter bei Abzug der Kopierkosten und der Aufwendungen für den Drucker unter dem Grenzbetrag lägen. Zum Nachweis der beruflichen Veranlassung der Kopierkosten legten sie ein Schreiben des damaligen Arbeitgebers der Tochter vor. Die Familienkasse wertete das Schreiben als erneuten Antrag auf Kindergeld für das Jahr 2003, welchen sie mit Bescheid vom 3. April 2006 unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids vom 2. Februar 2004 ablehnte. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und rügt Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, es fehlten die Entscheidungsgründe (§ 119 Nr. 6, § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO). Die Familienkasse habe gegen ihre Aufklärungs- und Untersuchungspflichten gemäß §§ 88, 89 der Abgabenordnung verstoßen, da sie den Kläger darauf hätte hinweisen müssen, dass die vorgelegte Rechnung über die Kopien nicht als Werbungskostennachweis ausreiche, sondern eine Bestätigung der Ausbildungsstätte erforderlich sei. Auch hätte sie den Kläger nach dem Zweck der Kopien fragen müssen. Das Finanzgericht (FG) habe sich in seinen Entscheidungsgründen nicht mit dem Verstoß gegen die Aufklärungs- und Untersuchungspflicht auseinandergesetzt. Es habe lediglich ausgeführt, ein solcher Verstoß sei nicht erkennbar. Dadurch habe das FG zudem stillschweigend den --von der Rechtsprechung des BFH abweichenden-- Rechtssatz aufgestellt, die Finanzbehörde sei nach Vorlage ungeeigneter Belege nicht zu Nachforschungen bzw. dem Hinwirken auf die Vorlage geeigneter Beweismittel verpflichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht vor.
Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO müssen Urteile begründet werden. Der Sinn des Begründungszwangs liegt darin, den Prozessbeteiligten die Kenntnis darüber zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (BFH-Urteil vom 17. April 2002 X R 8/00, BFHE 199, 124, BStBl II 2002, 527, m.w.N.). Eine Entscheidung ist nur dann i.S. von § 119 Nr. 6 FGO "nicht mit Gründen versehen", wenn die Gründe überhaupt fehlen oder aus dem Urteil die wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (§ 96 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO), nicht erkennbar sind, so dass die Beteiligten die Entscheidung nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können, oder wenn das Urteil einen wesentlichen Streitpunkt nicht behandelt (z.B. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2007 III B 165/05, BFH/NV 2007, 954, m.w.N.).
Ein derartiger Begründungsmangel ist im Streitfall nicht gegeben. Das FG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass die Familienkasse aufgrund des Verfahrensablaufs während des vorangegangenen finanzgerichtlichen Verfahrens gegen ihre Aufklärungs- und Untersuchungspflicht --die während des finanzgerichtlichen Verfahrens im Übrigen gemäß § 76 FGO dem Gericht obliege-- verstoßen habe. Insoweit war für das FG maßgebend, dass die Rechnung und der Verwendungszweck in einer gerichtlichen Entscheidung ohne die Klagerücknahme des Klägers berücksichtigt worden wäre. Zu diesem Zweck sei der Kläger ausdrücklich um Stellungnahme zur Klageerwiderung der Familienkasse gebeten worden, in welcher die Familienkasse den Zweck der Kopien als nicht nachgewiesen betrachtet habe. Durch die Klagerücknahme sei der Bescheid vom 2. Februar 2004 bestandskräftig geworden. Erst danach sei die Bescheinigung des Arbeitgebers zu den Kopien gefertigt und vorgelegt worden. Entscheidend war für das FG mithin, dass der Kläger die Klage zurückgenommen hat, obwohl er zum Zweck der Kopien hätte Stellung nehmen können.
Der Kläger wendet sich mit seiner Rüge im Grunde gegen die rechtliche Würdigung des FG, die Familienkasse habe nicht gegen ihre Aufklärungs- und Untersuchungspflicht verstoßen, und macht die Fehlerhaftigkeit der Begründung geltend. Eine bloß lücken- oder fehlerhafte Urteilsbegründung kann jedoch keinen wesentlichen Verfahrensmangel begründen (z.B. BFH-Urteil vom 31. Mai 2001 IV R 93/99, BFH/NV 2001, 1570, m.w.N.). Die Rügen des Klägers betreffen auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung, der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führt (z.B. Senatsbeschluss vom 14. August 2006 III B 171/05, BFH/NV 2006, 2307, m.w.N.).
2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.
Eine Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO liegt vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (BFH-Beschluss vom 18. März 2003 X B 66/02, BFH/NV 2003, 886, m.w.N.). Ein abstrakter Rechtssatz in diesem Sinne muss nicht notwendig nach Art eines Leitsatzes in den Gründen des angefochtenen Urteils formuliert sein; er kann sich auch aus scheinbar nur fallbezogenen Rechtsausführungen des FG ergeben (BFH-Beschluss vom 23. April 1992 VIII B 49/90, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671, m.w.N.).
Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich dem FG-Urteil schon nicht der stillschweigende Rechtssatz entnehmen, die Finanzbehörde sei nach Vorlage ungeeigneter Belege nicht zu Nachforschungen bzw. dem Hinwirken auf die Vorlage geeigneter Beweismittel verpflichtet. Das FG hat --wie bereits ausgeführt-- in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass der Kläger die Klage zurückgenommen hat, obwohl er ausdrücklich um Stellungnahme zur Klageerwiderung der Familienkasse gebeten worden war. Im Übrigen liegen den vom Kläger angeführten Entscheidungen des BFH mit dem Streitfall nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde. Soweit der Kläger die Abweichung von einer Entscheidung des Reichsfinanzhofs rügt, vermag dies von vornherein keine Divergenz zu begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 18. September 1970 III B 21/70, BFHE 100, 184, BStBl II 1971, 4).
Der Kläger wendet sich auch mit seinen Divergenzrügen im Grunde gegen die inhaltliche Richtigkeit des FG-Urteils und setzt seine Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des FG. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision, da damit kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.
Fundstellen