Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für in der Türkei lebende Kinder
Leitsatz (NV)
Es ist nicht klärungsbedürftig, dass türkische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen und die keine Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen, für Kinder mit Wohnsitz in der Türkei weder nach dem Abkommen mit der Türkei über soziale Sicherheit noch nach dem Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei 3/80 einen Anspruch auf Kindergeld haben.
Normenkette
EWGAssRBes 3/80 Art. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; SozSichAbk TUR Art. 33 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 23.01.2008; Aktenzeichen 3 K 37/06) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein türkischer Staatsangehöriger, bezieht seit dem 1. Dezember 2004 Altersrente. Er ist Vater des 1986 geborenen Sohnes C, der ab September 2001 eine Schule in der Türkei besuchte. Seit dem 5. September 2005 ist C an der E University immatrikuliert, die sich im türkisch besetzten Teil Zyperns befindet.
Der Kläger beantragte im November 2005 Kindergeld für C. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag ab, weil der Kläger als Rentner nicht Arbeitnehmer im Sinne des Abkommenszwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkeiüber soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl II 1965, 1169) i.d.F. des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 (BGBl II 1986, 1040) --SozSichAbk Türkei-- oder des Assoziationsratsbeschlusses EWG/Türkei Nr. 3/80 vom 19. September 1980 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1983, C 110/60) --ARB 3/80-- sei.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, C habe im streitigen Zeitraum in Deutschland keinen Wohnsitz gehabt. Gelegentliche Aufenthalte in Deutschland zu Besuchszwecken seien hierfür nicht ausreichend. Aus Art. 33 Abs. 1 SozSichAbk Türkei ergebe sich für den Kläger kein Anspruch, weil er nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Dies gelte unbeschadet der Tatsache, dass er wegen einer arbeitsbedingten Schwerbehinderung gezwungen gewesen sei, seine Tätigkeit vorzeitig aufzugeben.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob ein Anspruch auf Kindergeld nach dem SozSichAbk Türkei oder nach dem ARB 3/80 auch dann bestehe, wenn ein ehemals sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmer wegen einer Behinderung vorzeitig in Rente habe gehen müssen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung.
1. Die Frage, ob ein Anspruch auf Kindergeld nach dem SozSichAbk Türkei besteht, ist nicht klärungsbedürftig.
a) Nach Art. 33 Abs. 1 Satz 1 SozSichAbk Türkei hat eine Person, die im Gebiet der einen Vertragspartei beschäftigt ist, für Kinder, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet der ersten Vertragspartei auf. Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 2008 III R 79/03, BFHE 220, 439, BFH/NV 2008, 1036, zum Sozialversicherungsabkommen mit Jugoslawien --SozSichAbk YUG--; Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 12. April 2000 B 14 KG 3/99 R, BSGE 86, 115, ebenfalls zum SozSichAbk YUG; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D II Kommentierung SozSichAbk Türkei Rz 7).
b) Außerdem ist nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 SozSichAbk Türkei eine Person kindergeldberechtigt, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung, soweit die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik in Betracht kommen, Arbeitslosengeld erhält und sich im Gebiet der ersten Vertragspartei aufhält.
c) Die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 1 Satz 1 und 2 SozSichAbk Türkei sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Kläger ging keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mehr nach, ebenso wenig bezog er Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Der Umstand, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung nicht mehr als Arbeitnehmer beschäftigt war, muss bei Prüfung der Anspruchsberechtigung nach Art. 33 Abs. 1 SozSichAbk Türkei außer Betracht bleiben. Zum SozSichAbk YUG, das in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 ebenso wie Art. 33 Abs. 1 SozSichAbk Türkei an eine Beschäftigung anknüpft, hat der Senat bereits entschieden, dass eine ehemals als Arbeitnehmer beschäftigte Person, die aufgrund eines Arbeitsunfalls ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, keinen Anspruch auf Abkommenskindergeld hat (Urteil vom 22. November 2007 III R 61/04, BFH/NV 2008, 769). Entsprechendes gilt bei Anwendung des Art. 33 Abs. 1 SozSichAbk Türkei. Die vom Kläger thematisierte Rechtsfrage ist somit bereits geklärt.
2. Ebenso wenig klärungsbedürftig ist die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob aus dem ARB 3/80 ein Anspruch auf Kindergeld für in der Türkei lebende Kinder abzuleiten ist. Die Gleichstellungsklausel des Art. 3 ARB 3/80 begründet keinen derartigen Anspruch, sondern verbietet es lediglich, die Gewährung von Kindergeld an türkische Staatsangehörige, die unter den Anwendungsbereich des ARB 3/80 fallen, von Voraussetzungen abhängig zu machen, die für deutsche Staatsangehörige nicht gelten. Eine solche Ungleichbehandlung liegt hier jedoch nicht vor (vgl. auch BSG-Urteil vom 29. Januar 2002 B 10/14 EG 8/99 R, Sozialrecht 3-7833 § 1 Nr. 27, zum Anspruch auf Erziehungsgeld).
Fundstellen