Leitsatz (amtlich)
Bei der einheitlichen Gewinnfeststellung ist in einer für das Veranlagungsverfahren der Gesellschafter bindenden Weise auch darüber zu befinden, ob und in welcher Höhe ein Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils steuerpflichtig oder gemäß § 16 Abs. 4 EStG steuerfrei ist. Fehlt eine solche Feststellung, so ist diese in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen (§ 216 Abs. 2 AO). Dieser rechtfertigt eine Änderung des Einkommensteuerbescheids eines Gesellschafters jedenfalls in dem Punkte, der Gegenstand der Ergänzung war, also der Frage, ob der Veräußerungsgewinn steuerfrei oder steuerpflichtig ist.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4; AO §§ 215, 216 Abs. 2, § 218 Abs. 4
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Inhaber einer Fabrik und bezieht als solcher Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er war außerdem Kommanditist der Firma X-KG. 1966 veräußerte er seine Kommanditbeteiligung und erzielte daraus einen Gewinn. In seiner Einkommensteuererklärung für 1966 gab der Antragsteller diesen Gewinn mit 23 608 DM an; er beantragte hierfür "nach Abzug des Freibetrags" die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 2 EStG.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) setzte bei der Einkommensteuerveranlagung für 1966 mit Bescheid vom 10. Mai 1968, der gemäß § 100 Abs. 2 AO für vorläufig erklärt war, den Veräußerungsgewinn in der erklärten Höhe an und gewährte hierfür eine Tarifermäßigung, jedoch keinen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG.
Am 25. Juli 1969 ging beim FA eine Mitteilung des FA F. über die einheitliche Feststellung für 1966 der Einkünfte der KG (§ 215 Abs. 2 AO) ein. Darin war vermerkt, daß das FA F. die Einkünfte des Antragstellers aus seiner Beteiligung an der KG mit nach § 100 Abs. 2 AO vorläufigem Feststellungsbescheid vom 24. Juli 1969 wie folgt festgestellt hatte: Veräußerungsgewinn 24 892 DM.
Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Beschluß des FG enthielt die Mitteilung keine ausdrücklichen Angaben darüber, ob der Veräußerungsgewinn in voller Höhe steuerpflichtig oder ganz oder teilweise gemäß § 16 Abs. 4 EStG steuerfrei ist.
Das FA erließ daraufhin am 27. Mai 1971 einen neuen Einkommensteuerbescheid für 1966, der als vorläufig nach § 100 Abs. 2 AO und als berichtigt nach § 218 Abs. 4 AO bezeichnet war. Darin war ein "Freibetrag für Veräußerungsgewinn" in Höhe von 24 892 DM angesetzt, der Gewinn aus der Veräußerung der Kommanditbeteiligung also in voller Höhe steuerfrei belassen.
Im Sommer 1971 fand beim Antragsteller eine Betriebsprüfung statt. In seinem Bericht erwähnte der Betriebsprüfer, daß der im Rahmen der vorläufigen Veranlagung für 1966 gewährte Freibetrag für den Gewinn aus der Veräußerung der Kommanditbeteiligung entfalle. Der Veräußerungsgewinn sei nur nach § 34 EStG tarifbegünstigt. Am 23. November 1971 erließ das FA einen neuen Einkommensteuerbescheid für 1966, der als endgültig nach § 225 AO bezeichnet war und dem die Ergebnisse der Betriebsprüfung zugrunde lagen. Darin war aber wieder ein "Freibetrag für Veräußerungsgewinn" in Höhe von 24 892 DM angesetzt.
Schließlich erließ das FA am 27. April 1972 einen weiteren Einkommensteuerbescheid für 1966, der als endgültig nach § 225 AO und als berichtigt nach § 92 Abs. 2 AO bezeichnet war. Darin setzte das FA den Gewinn aus der Veräußerung der Kommanditbeteiligung mit 24 892 DM an, ließ aber einen Betrag von 20 000 DM steuerfrei und gewährte für den Restbetrag die Tarifermäßigung nach § 34 EStG. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 30. Mai 1972 Einspruch ein mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO lägen nicht vor.
Am 15. Juni 1972 ging beim FA eine Mitteilung des FA F. über die einheitliche Feststellung der Einkünfte der KG (§ 215 Abs. 2 AO) ein. Darin war vermerkt, daß das FA F. die Einkünfte des Antragstellers "durch nach § 225 AO am 17. Dezember 1970 für endgültig erklärten Feststellungsbescheid vom 28. Juli 1969" wie folgt festgestellt habe:
"Anteile
b) an Veräußerungsgewinnen (einschließlich der
steuerfreien Veräußerungsgewinne oder der
steuerfreien Teile von Veräußerungsgewinnen) 24 892 DM
c) an Veräußerungsgewinnen, soweit steuerfrei 0 DM."
In der Einspruchsentscheidung vom 4. August 1972 änderte das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1966 vom 27. April 1972 dahin ab, daß es den Gewinn aus der Veräußerung der Kommanditbeteiligung mit 24 892 DM ansetzte und dafür keinen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG, sondern lediglich die Tarifermäßigung nach § 34 EStG gewährte. Das FA war der Meinung, daß die endgültigen Einkommensteuerbescheide 1966 vom 23. November 1971 und vom 27. April 1972, was die Gewährung eines Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG anlange, offenbar unrichtig und deshalb nach § 92 Abs. 2 AO zu berichtigen seien.
Der Antragsteller erhob Klage mit dem Antrag, den Einkommensteuerbescheid vom 27. April 1972 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Er machte geltend, der Einkommensteuerbescheid vom 23. November 1971, den das FA ändern wolle, enthalte keine offenbaren Unrichtigkeiten im Sinne des § 92 Abs. 2 AO, sondern beruhe auf bestimmten rechtlichen Überlegungen zur Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Der Antragsteller beantragte des weiteren beim FG, die Vollziehung "für den streitigen Betrag der Einkommensteuernachzahlung 1966 in Höhe von 6 018 DM" auszusetzen.
Mit Beschluß vom 15. Januar 1973 lehnte das FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Das FG führte insbesondere aus:
a) Im Feststellungsverfahren nach § 215 Abs. 2 AO sei auch darüber zu entscheiden, ob es sich um einen laufenden Gewinn oder um einen Veräußerungsgewinn handle. Die Feststellung des Betriebs-FA sei für das Veranlagungs-FA bindend, und zwar auch hinsichtlich der Feststellung, daß der Anteil des Antragstellers am Veräußerungsgewinn steuerpflichtig sei.
b) Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei den fehlerhaften Eintragungen in den Eingabewertbögen der Bescheide vom 27. Mai 1971, 23. November 1971 und 27. April 1972 um offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des § 92 Abs. 2 AO gehandelt oder ob das FA fahrlässig die schon durch den ersten Feststellungsbescheid eingetretene Bindungswirkung gemäß § 218 Abs. 2 AO nicht beachtet habe. Im Hinblick auf § 218 Abs. 4 AO sei das FA nach Erlaß des zweiten Feststellungsbescheides jedenfalls berechtigt gewesen, den Steuerbescheid vom 27. April 1972 im Sinne der Einspruchsentscheidung vom 4. August 1972 abzuändern.
c) § 218 Abs. 4 AO setze zwar seinem Wortlaut nach einen inhaltlich geänderten Grundlagenbescheid voraus. Die Vorschrift sei ihrem Sinngehalt nach jedoch auch anwendbar, wenn ein neuer endgültiger Grundlagenbescheid ergehe, der inhaltlich mit dem ursprünglichen vorläufigen Grundlagenbescheid übereinstimme, das Veranlagungs-FA aber die Bindungswirkung des ursprünglichen Grundlagenbescheides (§ 218 Abs. 2 AO) nicht beachtet habe.
Gegen diesen Beschluß legte der Antragsteller Beschwerde ein mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß "mangels rechtlichen Gehörs aufzuheben". Der Antragsteller trägt vor, er habe vor der Beschlußfassung des FG Antrag auf Fristverlängerung bis zum 31. Januar 1973 zur Abgabe einer Stellungnahme zum Schriftsatz des FA vom 15. November 1972 gestellt. Die Fristverlängerung sei ihm vom FG mit Schreiben vom 2. Januar 1973 gewährt worden. Das FG habe vor Ablauf dieser Frist um Prüfung der Gegenäußerung Beschluß gefaßt.
Das FG beschloß am 7. Februar 1973, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Das FG führte aus, der im Klageverfahren eingereichte Schriftsatz des Antragstellers vom 30. Januar 1973, mit dem dieser auf die Stellungnahme des FA zur Klage eingehend erwidert habe, sei in die Abhilfeprüfung einbezogen worden.
Das FA beantrgt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Zu Unrecht rügt die Beschwerde, das Recht des Antragstellers auf rechtliches Gehör sei verletzt.
a) Der Senat kann dahingestellt lassen, welche rechtliche Bedeutung dem Umstand beizumessen ist, daß das FG den angefochtenen Beschluß erlassen hat, bevor die dem Antragsteller sowohl im Klageverfahren als auch im Aussetzungsverfahren eingeräumte Schriftsatzfrist abgelaufen war. Denn selbst wenn man zugunsten des Antragstellers unterstellt, daß unter dem Gesichtspunkt eines Rechts auf Gehör eine vorzeitige Entscheidung unzulässig war, so wäre der verfahrensrechtliche Mangel, der damit dem Beschluß vom 15. Januar 1973 anhaften würde, doch durch den im Abhilfeverfahren ergangenen Beschluß des FG vom 7. Februar 1973 beseitigt. Der Antragsteller übersieht, daß das FG nach Eingang einer Beschwerde seine eigene angefochtene Entscheidung unter Berücksichtigung auch des nach Erlaß dieser Entscheidung bekanntgewordenen Prozeßstoffs neu zu überprüfen und ggf. der Beschwerde abzuhelfen hat, wenn es die Beschwerde für begründet und damit die angefochtene Entscheidung für unrichtig erachtet (§ 130 FGO). Hilft das FG der Beschwerde nicht ab, so wiederholt es damit im Ergebnis seine ursprüngliche angefochtene Entscheidung.
b) Im Streitfall hat das FG erst nach Eingang des Schriftsatzes, für den dem Antragsteller noch eine Schriftsatzfrist eingeräumt worden war, über die Frage entschieden, ob der Beschwerde abzuhelfen ist, und dabei ausdrücklich auch diesen Schriftsatz in die Abhilfeprüfung einbezogen. Damit ist der Antragsteller verfahrensmäßig ebenso gestellt, wie wenn das FG von vornherein für den Aussetzungsantrag erst nach Eingang dieses Schriftsatzes entschieden hätte.
2. Der Vorentscheidung ist im Ergebnis auch darin beizupflichten, daß keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung vom 4. August 1972 bestehen.
a) Die Vorentscheidung konnte dahingestellt lassen, ob die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 AO erfüllt sind. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, daß die in der Einspruchsentscheidung enthaltene Änderung des endgültigen Einkommensteuerbescheides vom 23. November 1971 ihre verfahrensrechtliche Rechtfertigung in § 218 Abs. 4 AO findet. Dabei ist unerheblich, daß die Einspruchsentscheidung nicht ausdrücklich auf diese Vorschrift, sondern - unterstellt zu Unrecht - auf § 92 Abs. 2 AO gestützt ist (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 18. April 1958 III 165/57 U, BFHE 66, 654, BStBl III 1958, 250).
b) Der Senat kann offenlassen, ob ein Folgebescheid stets und ohne weiteres geändert werden kann, wenn das FA bei seinem Erlaß die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides ganz oder teilweise übersehen hat (so wohl Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 218 AO Anm. 3a Abs. 7), oder ob dies, wie die Vorentscheidung offenbar annimmt, mindestens dann möglich ist, wenn an die Stelle eines vorläufigen Grundlagenbescheides ein endgültiger Grundlagenbescheid tritt, auch wenn beide Bescheide inhaltlich übereinstimmen.
Es kann dahinstehen, ob die Rechtsauffassung der Vorentscheidung richtig ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BFH rechtfertigt eine Änderung des Grundlagenbescheides eine Änderung des Folgebescheides nur in dem Punkt, den der Grundlagenbescheid behandelt (vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 1966 VI 363/65, BFHE 87, 595, BStBl III 1967, 271). Man könnte deshalb den Standpunkt vertreten, daß dann, wenn der Grundlagenbescheid lediglich insofern geändert wird, als er für endgültig erklärt wird, der Folgebescheid überhaupt nicht abänderbar ist, weil insoweit eine Änderung vorliegt, die den Folgebescheid inhaltlich nicht berührt. Man könnte aber auch der Ansicht sein, daß dann, wenn ein in vollem Umfange für vorläufig erklärter Grundlagenbescheid für endgültig erklärt wird, die Rechtslage nicht anders sei, wie wenn erstmals ein Grundlagenbescheid erlassen wird. Dies würde bedeuten, daß der Folgebescheid in vollem Umfange dem Inhalt des Grundlagenbescheides angepaßt werden könnte.
Eine nähere Prüfung dieser Frage erübrigt sich jedoch im Streitfall, denn dieser weist, entgegen der Annahme, von der offenbar das FG ausgegangen ist, die Besonderheit auf, daß der vorläufige Grundlagenbescheid nicht die gebotene Feststellung enthielt, ob der Gewinn aus der Veräußerung der Kommanditbeteiligung voll steuerpflichtig oder im Hinblick auf § 16 Abs. 4 EStG ganz oder teilweise steuerfrei ist, also insofern unvollständig war, und daß diese Feststellung erstmals im endgültigen Grundlagenbescheid enthalten war.
Wie die Vorentscheidung zu Recht hervorhebt, ist bei der einheitlichen Gewinnfeststellung in einer für das Veranlagungsverfahren der Gesellschafter bindenden Weise auch darüber zu befinden, ob und in welcher Höhe ein Veräußerungsgewinn, insbesondere auch ein Veräußerungsgewinn im Sinne von § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG (Veräußerung eines Mitunternehmeranteils) entstanden ist (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 10. Juli 1964 VI 328/62 U, BFHE 80, 209, BStBl III 1964, 550). Diese Entscheidung umfaßt auch die Feststellung, ob und in welcher Höhe der Veräußerungsgewinn steuerpflichtig oder steuerfrei ist, denn speziell die Frage, ob und in welcher Höhe bei der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zu gewähren ist, kann am besten von dem für die Gesellschaft zuständigen Betriebs-FA beurteilt werden, weil allein diesem die für die Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG maßgeblichen Verhältnisse (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 16 EStG Anm. 84 e) bekannt sind. Fehlt eine solche Feststellung, so sind damit die Voraussetzungen für den Erlaß eines Ergänzungsbescheides im Sinne des § 216 Abs. 2 AO erfüllt. Erklärt das Betriebs-FA einen vorläufigen Grundlagenbescheid, der keine Feststellung über die Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns enthält, für endgültig und holt es dabei diese Feststellung nach, so hat der endgültige Grundlagenbescheid insoweit den rechtlichen Charakter eines Ergänzungsbescheides im Sinne von § 216 Abs. 2 AO.
Im Streitfall enthielt der vorläufige Grundlagenbescheid vom 24. Juli 1969 laut der beim Wohnsitz-FA eingegangenen Mitteilung lediglich die Feststellung eines Veräußerungsgewinns von 24 892 DM, jedoch keine Aussage darüber, ob und in welcher Höhe dieser Veräußerungsgewinn steuerpflichtig ist. Aus dem Umstand, daß der Betrag in der Rubrik "Anteile b) an Veräußerungsgewinnen" vermerkt ist, kann nicht die Feststellung der vollen Steuerpflicht entnommen werden, weil, wie der Vergleich mit der Mitteilung über den endgültigen Grundlagenbescheid zeigt, in diese Rubrik gerade der Veräußerungsgewinn einschließlich der steuerfreien Teile aufzunehmen ist.
Der endgültige Grundlagenbescheid, der ausweislich der beim Wohnsitz-FA eingegangenen Mitteilung die gebotene Feststellung über die Steuerpflicht des Veräußrungsgewinns enthielt, war deshalb inhaltlich zugleich Ergänzungsbescheid im Sinne von § 216 Abs. 2 AO. Als solcher rechtfertigte er eine Änderung des Einkommensteuerbescheides jedenfalls in dem Punkt, der Gegenstand der Ergänzung war, nämlich der Frage, ob der Veräußerungsgewinn steuerfrei oder steuerpflichtig ist.
Fundstellen
Haufe-Index 70659 |
BStBl II 1974, 459 |
BFHE 1974, 171 |