Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung aller verfügbaren Geldmittel bei der Ermittlung der anteiligen Tilgungsquote
Leitsatz (NV)
1. Der Geschäftsführer einer Gesellschaft haftet für rückständige Umsatzsteuer und Säumniszuschläge im Umfang auf den Betrag, mit dem die Gesellschaft bei unzureichender Liquidität im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen das FA gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat (“anteilige Tilgungsquote”).
2. Unabhängig davon, woher die finanziellen Mittel stammen, die dem Geschäftsführer in der Krise der Gesellschaft noch zur Verfügung stehen ‐ seien es Gelder aus dem eigenen Vermögen oder durch eine Bank oder andere Gesellschafter zur Verfügung gestellte Fremdmittel -, muss er sie mit der gleichen Quote zur Tilgung der Steuerschulden wie zur Befriedigung anderer Gläubiger der GmbH verwenden.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69; FGO § 126 Abs. 4
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Urteil vom 06.09.2005; Aktenzeichen 2 K 71/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, deren alleinige Gesellschafterin seine Ehefrau war. Aufgrund der unter Mitwirkung des Steuerberaters L im März 1992 erstellten, vom Kläger selbst unterzeichneten Umsatzsteuer-Erklärung 1990, die zunächst einen Vorsteuer-Überschuss und Erstattungsanspruch, nach der ein Jahr später eingereichten Berichtigung aber eine Umsatzsteuer-Schuld und Zahllast ergab, und aufgrund der im Juli 1993 --ebenfalls ein Jahr nach Einreichung-- berichtigten Umsatzsteuer-Erklärung 1991 errechnete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Zahllast für 1990 mit Bescheid vom 15. Oktober 1993 auf 21 026,40 DM und für 1991 mit Bescheid vom 3. Dezember 1993 auf 23 250 DM. Aufgrund der vom Kläger eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1992 setzte das FA die Umsatzsteuer fest, was zu einer Zahllast von insgesamt 54 193,30 DM führte. Zahlungen leistete die GmbH nicht.
Am 18. Dezember 1992 wurden sämtliche Geschäftsanteile an eine Domizilgesellschaft mit Sitz in Panama (S.A.) zum Preis von 1 DM und unter Übernahme sämtlicher Verbindlichkeiten, auch gegenüber dem FA, veräußert. Gleichzeitig wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen. Für die Vermittlung dieses Geschäfts wurde der GmbH eine Provision in Höhe von 46 000 DM zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt und am 21. Dezember 1992 bar bezahlt.
Mit Beschluss vom 12. März 1994 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgewiesen und die GmbH daraufhin von Amts wegen im Handelsregister gelöscht.
Nachdem der Kläger auf Anfrage des FA vom 18. November 1993 insbesondere zu Art und Umfang vorhandener Mittel und der Zahlungsein- und -ausgänge im Haftungszeitraum 1. Januar 1991 bis 18. Dezember 1992 unter Hinweis auf den Verkauf der GmbH keine näheren Angaben machte, erließ das FA ihm gegenüber den Haftungsbescheid vom 20. September 1994, den es in der Einspruchsentscheidung unter Beschränkung des Haftungszeitraums und zwischenzeitlich geleisteter Zahlungen und Umbuchungen auf 37 189,44 € ermäßigte.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage des Klägers insoweit statt, als darin eine über 60 % der Steuerschulden hinausgehende Haftungsquote zu Grunde gelegt und mit der Einspruchsentscheidung höhere Säumniszuschläge als im Ausgangsbescheid geltend gemacht geworden sind. Es begründet die Haftung des Klägers dem Grunde nach im Wesentlichen damit, dass es dem Kläger als Geschäftsführer oblegen habe, für eine zutreffende und rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuer-Erklärungen und damit für eine zeitnahe Festsetzung in zutreffender Höhe zu sorgen. Auch der beauftragte Steuerberater habe die Erklärungen nur nach den Angaben des Klägers --"zur Zuordnung der Umsätze zu den beiden in Rede stehenden Gesellschaften"-- anfertigen können. Auch habe die Veräußerung der Geschäftsanteile seiner Ehefrau an eine bloße Servicegesellschaft, auf welche inländische Finanzbehörden keinen Zugriff hätten, zu der verspäteten Festsetzung beigetragen. Zur Schätzung der Haftungsquote auf 60 % der Steuerschulden sah sich das FG aufgrund der Erwägung veranlasst, dass das FA mangels Mitwirkung des Klägers an der Sachverhaltsermittlung zwar grundsätzlich vom Vorhandensein ausreichender liquider Mittel und von der Nichtverwendung dieser Mittel zur vollen oder anteiligen Befriedigung des FA habe ausgehen dürfen, dass jedoch aufgrund der bekannten Umstände im konkreten Fall unterstellt werden könne, dass bei Fälligkeit der Umsatzsteuerschulden die übrigen Gläubiger der GmbH schon nicht mehr in vollem Umfang befriedigt worden seien.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verfahrensfehler und schwerwiegende materielle Fehler des FG. Er macht geltend, das FG habe bei zutreffender Berücksichtigung seines, des Klägers, Vorbringens und des Inhalts der beigezogenen Akten nicht ohne Durchführung der beantragten Vernehmung des Steuerberaters L davon ausgehen dürfen, dass im fraglichen Zeitraum ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld zur Verfügung gestanden hätten und Zahlungen an andere Gläubiger geleistet worden seien.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Unabhängig davon, ob der Kläger die behaupteten Zulassungsgründe in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Weise dargelegt hat, kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht, weil das FG im Ergebnis zutreffend entschieden hat (§ 126 Abs. 4 FGO).
Gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) kann das FA den Geschäftsführer einer Gesellschaft wegen rückständiger Umsatzsteuer und Säumniszuschläge durch Haftungsbescheid nach § 191 AO 1977 in Haftung nehmen, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm auferlegten steuerlichen Verpflichtungen nicht erfüllt und insbesondere nicht dafür gesorgt hat, dass die Steuern aus den Mitteln, die er verwaltete, entrichtet wurden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beschränkt sich die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für die Umsatzsteuer sowie die Säumniszuschläge im Umfang auf den Betrag, mit dem die Gesellschaft bei unzureichender Liquidität im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen das FA gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat ("anteilige Tilgungsquote"). Zur Feststellung des Haftungsumfangs kann das FA die notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung verlangen, und der Geschäftsführer einer GmbH ist zur uneingeschränkten Mitwirkung verpflichtet (Senatsbeschluss vom 3. Mai 1999 VII S 1/99, BFH/NV 2000, 1, m.w.N.).
Nach den mit der Beschwerde insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des FG ist jedenfalls die vom FG geschätzte Tilgungsquote von 60 % der unbestrittenen, in der Einspruchsentscheidung aufgelisteten Abgabenrückstände nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die im Beschwerdeverfahren im Gegensatz zum früheren Vorbringen aufgestellte Behauptung des Klägers, im Zeitpunkt der Fälligkeit der Umsatzsteuer 1990 und 1991 sowie aus den monatlichen Voranmeldungen des Jahres 1992 hätten dem Kläger keine Mittel zur Befriedigung anderer Gläubiger der GmbH zur Verfügung gestanden und es seien auch keine Zahlungen erfolgt, durch die --unbestrittene-- Feststellung des FG widerlegt, dass die der GmbH in Rechnung gestellte Vermittlungsprovision im Zusammenhang mit der Veräußerung der Geschäftsanteile an die S.A. in Höhe von 46 000 DM zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer am 21. Dezember 1992 in voller Höhe bar beglichen worden sei.
Aber auch dann, wenn die nach Auffassung des Klägers durch Zeugnis des Steuerberaters L zu belegende Behauptung, dass die GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht mehr über die erforderlichen Mittel verfügt habe, so zu verstehen sein sollte, dass die Vermittlungsprovision nicht aus eigenen Mitteln der GmbH gezahlt worden sei, würde dies an der Benachteiligung des Fiskus durch den Kläger nichts ändern. Denn unabhängig, woher die finanziellen Mittel stammen, die dem Geschäftsführer in der Krise der Gesellschaft noch zur Verfügung stehen, muss er sie mit der gleichen Quote zur Tilgung der Steuerschulden wie zur Befriedigung anderer Gläubiger der GmbH verwenden.
Der Senat hat diese Überlegungen bereits in seiner Rechtsprechung zur Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer in den Fällen entwickelt, in denen der Geschäftsführer ihm zur Verfügung stehende Mittel --seien es Gelder aus dem eigenem Vermögen oder durch eine Bank zur Verfügung gestellte Fremdmittel-- ausschließlich zur Lohnzahlung an die Arbeitnehmer der GmbH verwendet hatte. Er hat die Geschäftsführerhaftung bejaht, wenn der Geschäftsführer über die Mittel, die er für die Lohnzahlungen verwandt hat, verfügen konnte, von diesen also die für die Begleichung der Lohnsteuer benötigten Beträge hätte einbehalten und der GmbH zuführen oder an deren Stelle unmittelbar an das FA abführen können (BFH-Urteil vom 22. November 2005 VII R 21/05, BFHE 211, 407, BStBl II 2006, 397; BFH-Beschluss vom 12. Juli 1983 VII B 19/83, BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655).
Nach alledem kommt es auf die Verfahrensrüge der Nichterhebung des angebotenen Zeugenbeweises nicht an. Da dem Kläger im Dezember 1992 ausreichende Mittel zur Verfügung standen, um über 50 000 DM bar einem Gläubiger der GmbH zu bezahlen, ist die Benachteiligung des FA bei der Begleichung der in diesem Zeitpunkt selbst ausgewiesenen, offenen Umsatzsteuer offensichtlich. Die vom FG im Schätzungswege für richtig erachtete Beschränkung der Haftungsquote auf 60 % dieser Forderungen ist wegen des Verbotes der reformatio in peius (Verböserungsverbot) einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich.
Fundstellen
Haufe-Index 1560798 |
BFH/NV 2006, 1792 |