Leitsatz (amtlich)
1. Die Revision ist auf Beschwerde, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird, auch dann zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil in einem tragenden Grund von einer neuen Entscheidung des BFH abweicht, die der Beschwerdeführer bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nicht kennen konnte (im Anschluß an den Beschluß des BFH vom 20. Juni 1974 VI B 15/74, BFHE 112, 342, BStBl II 1974, 583).
2. Im Beschluß, mit dem der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben wird, kann über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht entschieden werden.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2-3, § 143 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der in G seit vielen Jahren eine Fremdenpension betreibt, erwarb gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Grundstück und errichtete zur Erweiterung seines Unternehmens darauf in den Jahren 1968 und 1969 ein Gebäude, das er im Jahre 1969 in Betrieb nahm.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger die ihm in den Veranlagungszeiträumen 1968 und 1969 von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Umsatzsteuer für die zur Errichtung des Gebäudes ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen als Vorsteuerbeträge gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 abziehen kann und ob im Veranlagungszeitraum 1969 durch die Zuführung des Gebäudes zur Verwendung und Nutzung als Anlagevermögen Selbstverbrauchsteuer entstanden ist.
In dieser Sache hat der BFH durch Urteil vom 24. Oktober 1974 V R 29/74 (BFHE 114, 512, BStBl II 1975, 396) das der Klage stattgebende erste Urteil des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
Nunmehr hat das FG auf Grund mündlicher Verhandlung die Klage abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung hat es entsprechend den im Revisionsurteil empfohlenen Ermittlungen den Kläger dazu gehört und dessen Ehefrau als Zeugin darüber vernommen, ob und ggf. mit welchem Inhalt die Ehegatten Vereinbarungen über die Nutzung des gemeinsamen Grundstücks für das Unternehmen des Ehemanns getroffen haben. Zur Begründung des Urteils, dessen Gegenstand den für die Statthaftigkeit der Revision grundsätzlich erforderlichen Wert von 10 000 DM (Art. 1 Nr. 5 BFH-EntlastG) nicht erreicht, hat das FG ausgeführt:
"Eindeutige" Vereinbarungen zwischen den Ehegatten, nach denen dem Kläger (Ehemann) nach den Grundsätzen der BFH-Urteile vom 1. Oktober 1970 V R 49/70 (BFHE 100, 272, BStBl II 1971, 34 - Leasingurteil -) und vom 19. Mai 1971 I R 18/70 (BFHE 102, 396, BStBl II 1971, 643) das wirtschaftliche Eigentum am rechtlichen Miteigentum der Ehefrau zustehe, hätten sich nicht feststellen lassen. Die Ehegatten hätten sich vielmehr nach ihren Aussagen über ihre Rechtsstellung keine Gedanken gemacht, geschweige denn ausdrückliche rechtliche Vereinbarungen getroffen. Die Ehefrau sei zwar konkludent ("quasi als selbstverständlich") mit allen geschäftlichen Dispositionen des Klägers, insbesondere auch hinsichtlich des gemeinsamen Grundstücks, einverstanden gewesen. Ein solches Einverständnis könne aber kraft der Bindungswirkung des Revisionsurteils (§ 126 Abs. 5 FGO) nicht als eindeutige Vereinbarung i. S. dieses Urteils gewertet werden, da der BFH diese rechtliche Beurteilung ausdrücklich ausgeschlossen habe. Unter diesen Umständen könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger wirtschaftlicher Eigentümer i. S. der Urteile V R 49/70 und I R 18/70 geworden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde erhoben. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluß vom 19. Februar 1976). Der Kläger macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und das angefochtene Urteil weiche von den Entscheidungen des BFH V R 49/70 und I R 18/70 ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
1. Zur Frage der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache legt der Kläger dar: Es sei bisher nicht entschieden, aber klärungsbedürftig, wie geartet - wenn Ehegatten eine Gemeinschaft als Miteigentümer eines Grundstücks bildeten - die Vereinbarungen zwischen ihnen sein müßten, damit der eine Ehegatte das wirtschaftliche Eigentum am gesamten Grundstück erlange. Die für die Erlangung wirtschaftlichen Eigentums in den Urteilen V R 49/70 und I R 18/70 aufgestellten Grundsätze hätten Geltung für bewegliche Sachen; für Grundstükke müßten andere Maßstäbe angewendet werden.
2. Wenn die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen dieser Frage verneint werde, so sei die Revision wegen Divergenz mit den vorbezeichneten Urteilen zuzulassen. Nach dem übereinstimmenden Willen der Ehegatten habe der Kläger die Ehefrau für dauernd von der Einwirkung auf das Grundstück ausschließen können. Er habe davon Gebrauch gemacht und durch Errichtung des Hotelgebäudes und dessen betrieblicher Nutzung dem Herausgabeanspruch seiner Frau die wirtschaftliche Bedeutung entzogen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Das auf die Zulassung der Revision gerichtete Begehren läßt sich allerdings nicht allein aus dem Beschwerdevorbringen rechtfertigen; denn weder ist eine Divergenz des angefochtenen Urteils zu den bezeichneten Entscheidungen des BFH erkennbar, noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, weil der BFH die entscheidungserhebliche, mit der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage inzwischen durch Urteil vom 26. Februar 1976 V R 132/73 (BFHE 118, 104, BStBl II 1976, 309) geklärt hat.
Trotzdem kann der Beschwerde der Erfolg nicht versagt werden.
1. Die Entscheidung des FG weicht nämlich von diesem Urteil V R 132/73 ab und beruht auf dieser Abweichung, so daß dem Kläger der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugute kommt. Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, daß das Urteil des BFH erst nach dem Erlaß des angefochtenen Urteils ergangen ist (Beschlüsse des BVerwG vom 24. Mai 1965 III B 10/65, HFR 1966, 196, sowie vom 11. Mai 1966 VIII B 109/64, BVerwGE 24, 91, und Beschluß des BFH vom 20. Juni 1974 VI B 15/74, BFHE 112, 342, BStBl II 1974, 583).
Der BFH hat im Urteil V R 132/73 folgenden Rechtsgrundsatz aufgestellt:
"Läßt ein Unternehmer ein Hausgrundstück, das zu gleichen Teilen in seinem und seiner Ehefrau Miteigentum steht und das ihm die Ehefrau gemäß § 743 Abs. 2 BGB zum alleinigen Gebrauch überlassen hat, für seine unternehmerischen Zwecke umbauen, so kann er die ihm von den Bauunternehmern im Rahmen der erbrachten Werklieferungen gesondert in Rechnung gestellten Umsatzsteuern als Vorsteuerbeträge gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 abziehen."
Außerdem wird in diesem Urteil die in der Entscheidung V R 29/74 vertretene Auffassung ausdrücklich aufgegeben, daß für den Vorsteuerabzug des Unternehmer-Ehegatten das durch besondere und eindeutige Vereinbarungen zwischen den Ehegatten erlangte wirtschaftliche Eigentum des Unternehmer-Ehegatten am Grundstücksanteil des anderen, hier der Ehefrau, Voraussetzung sei. Entsprechend dieser (früheren) Rechtsauffassung, an die das FG gemäß § 126 Abs. 5 FGO gebunden war, hat das FG die Klage abgewiesen, weil es auf Grund der Beweisaufnahme zwar eine Gebrauchsbefugnis des Ehemanns gemäß § 743 Abs. 2 BGB festgestellt, diese jedoch gemäß dem Urteil V R 29/74 für rechtlich unerheblich angesehen hat.
Es ist deshalb offensichtlich, daß das angefochtene Urteil zu der später ergangenen Entscheidung des BFH V R 132/73 im Widerspruch steht und auf dieser Divergenz beruht.
2. Unter den besonderen Umständen des Falles kann die Zulassung der Revision auf Grund der Beschwerde auch nicht an dem formalen Gesichtspunkt scheitern, daß abweichend von § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO die Bezeichnung der Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, in der Beschwerdeschrift des Klägers fehlt. Denn der Kläger, für den die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 20. Februar 1976 abgelaufen ist, konnte das Urteil V R 132/76 in der Beschwerdebegründung nicht angeben, da diese Entscheidung erst am 26. Februar 1976 ergangen ist. Da die Divergenzrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO lediglich ein besonderer Fall der Grundsatzrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist (vgl. BVerwG-Entscheidung VII B 109/64), genügt der Bewerdeführer in diesen Fällen seinen formellen Pflichten nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wenn er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegt. Für einen solchen Fall ist nach den bereits genannten Beschlüssen des BVerwG III B 10/65 und des BFH VI B 15/74 die Entscheidung des obersten Bundesgerichts von Amts wegen zu berücksichtigen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
3. Schließlich kann gegen die Anwendung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO auch nicht eingewendet werden, das angefochtene Urteil beruhe nicht auf der Abweichung vom Urteil V R 132/73, weil im zweiten Rechtsgang sowohl das FG gemäß § 126 Abs. 5 FGO an die rechtliche Beurteilung des BFH-Urteils V R 29/74 gebunden gewesen sei als auch der BFH aus dem in dieser Vorschrift enthaltenen Leitgedanken einer Selbstbindung an seine in derselben Sache getroffene Entscheidung unterliege. Denn jedenfalls hinsichtlich der Selbstbindung des Revisionsgerichts wird dieser Grundsatz dann durchbrochen, wenn dieses Gericht, bevor es in derselben Sache im zweiten Rechtsgang zu entscheiden hat, seine im ersten Rechtsgang vertretene Rechtsauffassung geändert hat (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Februar 1973 GmS-OGB 1/72, BFHE 109, 206).
Dieser Ausnahmefall von der Regel der Selbstbindung ist hier gegeben, so daß der BFH, wenn er mit der Revision gegen das nunmehrige Urteil des FG befaßt wird, den Rechtsstreit auf der Grundlage der im Urteil V R 132/73 vertretenen Rechtsauffassung prüfen kann. Das mit der Beschwerde angefochtene Urteil des FG beruht deshalb auf der Abweichung von der neuerlichen Rechtsprechung des BFH.
4. Die Kosten des Verfahrens können, obgleich der Kläger mit der Beschwerde Erfolg hat, nicht gemäß § 135 Abs. 1 FGO dem Beklagten und Beschwerdegegner (FA) auferlegt werden. Denn nach dem allgemein anerkannten Grundsatz, daß die Kostenentscheidung "für die Kosten des ganzen Prozesses in allen Phasen" (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, § 79 III, 5) einheitlich ergeht, entspricht es dem Sinn dieser Vorschrift, die Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens der Entscheidung über die Revision vorzubehalten (so auch BVerwG-Beschluß vom 14. Juli 1959 II B 81/57, Monatsschrift für Deutsches Recht 1960 S. 69, Die Öffentliche Verwaltung 1959 S. 758). Für den Fall, daß die Revision nicht eingelegt wird, muß die Kostenentscheidung gemäß § 143 Abs. 1 FGO durch gesonderten Beschluß getroffen werden. Dabei ist die Nichteinlegung der Revision nach erfolgreicher Durchführung des Beschwerdeverfahrens entsprechend der Entscheidung des BVerwG vom 4. Mai 1971 VIII B 44 und 45/70 (BVerwGE 38, 104) "der Rücknahme der zugelassenen Revision gleichzuerachten, weil hier wie dort von der zunächst betriebenen Aufhebung einer Endentscheidung später freiwillig Abstand genommen wird".
Fundstellen
BStBl II 1976, 684 |
BFHE 1977, 380 |