Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit wirkt sich nicht bis zur Rechtskraft der Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs aus. Der erfolglos abgelehnte Richter ist vielmehr schon vor Rechtskraft der Entscheidung über die Beschwerde verpflichtet, am weiteren Verfahren mitzuwirken.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2, § 45 Abs. 1
Tatbestand
In der Hauptsache ist zwischen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) die Rechtmäßigkeit des Ergänzungsbescheids vom 18. Juli 1985 des FA A zum Feststellungsbescheid für das Jahr 1981 streitig.
Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom 23. Juni 1987 gegen den Ergänzungsbescheid vom 18. Juli 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 1987 Klage. In dem Schriftsatz war der Streitgegenstand nicht bezeichnet und kein konkreter Antrag gestellt worden. Er enthielt keine Begründung der Klage und ihm war keine schriftliche Prozeßvollmacht beigefügt. Der Berichterstatter - Richter am Finanzgericht (FG) B - forderte die Prozeßbevollmächtigten mit der ihnen am 8. Juli 1987 zugestellten Verfügung vom 1. Juli 1987 auf, die Mängel der Klage zu beseitigen. Die Prozeßbevollmächtigten legten mit Schriftsatz vom 15. Juli 1987 eine schriftliche Prozeßvollmacht der Beschwerdeführerin vor und baten um Fristverlängerung bis zum 10. September 1987 für die Klagebegründung. Ihren Fristverlängerungsantrag begründeten sie damit, daß der Unterzeichner des Schriftsatzes, der Steuerberater C, noch in derselben Woche in Urlaub gehe und ihm die vorherige Bearbeitung aus anderweitigen Termingründen nicht möglich sei. Der Berichterstatter setzte daraufhin mit Verfügung vom 21. Juli 1987 gemäß Art. 3 § 3 Nr. 1 bis 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (VGFGEntlG) der Beschwerdeführerin eine Frist bis zum 10. August 1987
,,a. zur vollständigen Angabe der Tatsachen, die ihrer Ansicht nach bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen; b. zur Stellungnahme zu den in der o. a. Verfügung (vom 1. Juli 1987) als aufklärungsbedürftig bezeichneten Punkten; c. zur Vorlage von Urkunden (Verträge, Korrespondenz, Belege, sonstige Schriftstücke) bzw. anderer zur Niederlegung bei Gericht geeigneter Gegenstände und genauen Bezeichnung aller sonstigen für die Entscheidung bedeutsamen Beweismittel (Zeugen mit ladungsfähiger Anschrift)".
Mit Schreiben vom 18. August 1987 hat die Beschwerdeführerin den Berichterstatter wegen Befangenheit abgelehnt. In seiner dienstlichen Äußerung erklärte sich der Berichterstatter nicht für befangen. Das FG wies mit Beschluß vom 19. Oktober 1987 den Befangenheitsantrag als unbegründet zurück. Die Beschwerde hiergegen ist vom erkennenden Senat mit Beschluß vom 12. Juli 1988 (IX B 188/87) als unbegründet zurückgewiesen worden.
Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 1987 hat die Beschwerdeführerin den Senat, der den Befangenheitsantrag gegen den Richter am FG B verworfen hatte, den Vorsitzenden Richter am FG D und die Richter am FG E und F wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die abgelehnten Richter haben sich dienstlich geäußert. Diesen Befangenheitsantrag hat das FG mit Beschluß vom 30. November 1987 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin verweist auf ihren bisherigen Vortrag und rügt ,,die fehlerhafte Besetzung des Senats in Gestalt des Richters am FG B".
Gegen den Beschluß, mit dem die Besorgnis der Befangenheit gegen den Richter am FG B zurückgewiesen worden sei, habe der Bundesfinanzhof (BFH) im Zeitpunkt des Ergehens des Beschlusses noch nicht entschieden gehabt. Der Richter am FG B hätte daher bei der Entscheidung über die Befangenheit der drei vorgenannten Richter nicht mitwirken dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Eine fehlerhafte Besetzung des FG bei dem Beschluß vom 30. November 1987 liegt nicht vor.
Der erkennende Senat läßt es dahinstehen, ob die Ablehnung des ganzen Senats mißbräuchlich und deshalb unzulässig ist. Denn das FG ist von einer unzulässigen Ablehnung ausgegangen. Die Beschwerdeführerin ist nicht dadurch beschwert, daß nicht der Senat in seiner abgelehnten Besetzung entschieden hat.
2. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargetan, daß für die Entscheidung über die Ablehnung der Richter des abgelehnten Senats andere Richter zuständig gewesen wären als die Richter, die den Beschluß über das Ablehnungsgesuch gefällt haben.
a) Ein abgelehnter Richter kann zwar nicht über die Befangenheit eines anderen Richters in derselben Sache entscheiden, wenn dieser andere Richter seinerseits über die Befangenheit des zuerst abgelehnten Richters zu entscheiden hat (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, § 45 Anm. 1 Ab). Ein solcher Sachverhalt liegt indes hier nicht vor. Über das Ablehnungsgesuch des Richters am FG B war durch den Beschluß des FG vom 19. Oktober 1987 entschieden und befunden worden, daß der Richter am FG B nicht befangen war. Das Ablehnungsgesuch wirkt sich nicht bis zur Rechtskraft der Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs aus. Der erfolglos abgelehnte Richter des FG ist vielmehr schon vor Rechtskraft der Entscheidung über die Beschwerde verpflichtet, am weiteren Verfahren mitzuwirken (BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).
Der Richter am FG B ist infolgedessen von der Mitwirkung bei der Beschlußfassung über den Ablehnungsantrag gegen die Richter, Vorsitzender Richter am FG D und die Richter am FG E und F, nicht gehindert gewesen. Er gehörte vielmehr zu den zur Entscheidung berufenen gesetzlichen Richtern, und zwar unabhängig davon, daß die Beschwerdeführerin gegen den Beschluß, durch den der Befangenheitsantrag gegen ihn abgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt hat.
b) Bei der gebotenen objektiven und vernünftigen Betrachtung läßt sich auch aus der Sicht der Betroffenen keine Befangenheit der abgelehnten Richter in Form der Voreingenommenheit bezüglich des Verfahrensausgangs herleiten.
Der Beschluß vom 19. Oktober 1987 enthält bei objektiver Würdigung keine Aussage zum voraussichtlichen Verfahrensausgang der Klage. Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang beanstandeten Formulierungen betreffen allein die Frage, ob den Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zur Bezeichnung des Streitgegenstands der vorliegenden Klage, zur Formulierung eines Klageantrags und zu seiner Begründung ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe. In diesem Zusammenhang kann insbesondere der Hinweis auf die im vorangegangenen Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Senats zu den unveränderten Streitfragen nicht mißverstanden werden. Damit hat nicht die Aussichtslosigkeit der Klage angedeutet, sondern zum Ausdruck gebracht werden sollen, daß die Klagebegründung durch die Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin sich vorwiegend mit den im Beschluß zur Aussetzung der Vollziehung angeführten Ansichten des Gerichts habe auseinandersetzen können. Aus diesem Grunde hätten die Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin sich kurz fassen können.
Die Klagebegründung ist auch nicht daraufhin gewertet worden, ob sie Erfolgsaussichten bietet, sondern ausschließlich darauf, ob die Klage gegenüber dem Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung weitere neue Streitpunkte zum Verfahrensgegenstand gemacht hätte und ob sich deshalb etwa längere Fristen hätten rechtfertigen lassen.
c) Selbst eine rechtsfehlerhafte Entscheidung bezüglich der Besorgnis der Befangenheit des Richters am FG B würde für sich allein genommen nicht dazu führen, daß die drei abgelehnten Richter in der Sache selbst befangen wären.
Durchgreifende Ablehnungsgründe sind von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen.
Fundstellen