Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Nichterhebung von Gerichtskosten wegen unrichtiger Sachbehandlung
Leitsatz (NV)
1. Von der Erhebung von Gerichtskosten wegen unrichtiger Sachbehandlung kann nur dann abgesehen werden, wenn die unrichtige Sachbehandlung unmittelbar ursächlich für die Kosten war.
2. Ein gerichtlicher Eingangsstempel ist eine Zeugnisurkunde im Sinne des § 418 der Zivilprozeßordnung, die nur durch den Beweis der Unrichtigkeit (Gegenbeweis) der darin bezeugten Tatsachen entkräftet werden kann.
Normenkette
GKG § 8; ZPO § 418 Abs. 1
Tatbestand
Die Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) erhoben mit Telegramm Klage gegen die ihrem Bevollmächtigten am 12. Mai 1989 zugestellte Einspruchsentscheidung wegen Einkommen- und Umsatzsteuer sowie Gewerbesteuer-Meßbeträge 1985 und 1986. Das Telegramm trägt den Eingangsstempel des Finanzgerichts (FG) vom 13. Juni 1989. Das FG wies die Kostenschuldner mit Schreiben vom 19. Juli 1989 und Telefonat vom 30. August 1989 auf die Versäumung der Klagefrist und die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hin. Auf diese Hinweise reagierten die Kostenschuldner nicht. Zu der mündlichen Verhandlung vom 6. November 1989 über die Klagesache erschien trotz ordnungsgemäßer Ladung für die Kostenschuldner niemand.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, da sie verspätet erhoben worden sei. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht gestellt worden; Wiedereinsetzungsgründe seien auch nicht ersichtlich. Die Revision gegen die Entscheidung ließ das FG nicht zu.Dagegen wendeten sich die Kostenschuldner mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie machten geltend, das Urteil des FG beruhe auf einem Verfahrensfehler, weil die Klage fristgerecht erhoben worden sei. Das Telegramm sei nämlich entgegen den Feststellungen des FG nicht am 13. Juni 1989, sondern bereits am 12. Juni 1989 gegen 18.10 Uhr in den Briefkasten des FG eingeworfen worden. Zum Beweis legten sie ein Schreiben des Fernmeldeamtes X vom 7. Dezember 1989 vor, wonach das Telegramm mit der Klage nach Auskunft der Telegramm- und Eilzustellung des Postamts Y am 12. Juni 1989 zwischen 18.10 Uhr und 18.20 Uhr zugestellt worden sei.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 21. Dezember 1990 ohne Begründung (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -) zurückgewiesen und die Kosten des Verfahrens den Kostenschuldnern auferlegt.
Die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) hat die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren gemäß § 4 i. V. m. § 11 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 486 DM festgesetzt.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Kostenschuldner. Die Kostenschuldner machen geltend, daß von ihnen Kosten für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden dürften, weil diese Kosten bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Die unrichtige Behandlung der Sache bestehe in dem falschen Datum des Eingangsstempels des FG auf dem Klagetelegramm. Bei richtigem Datum hätte der Eingangsstempel den Klageeingang am 12. Juni 1989 ausweisen müssen. Eine Abweisung der Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist hätte dann nicht erfolgen können und demzufolge wäre die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des FG nicht erhoben worden.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG, wonach Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben werden, liegen im Streitfall nicht vor.
1. Dabei kann offenbleiben, ob es eine unrichtige Sachbehandlung i. S. dieser Vorschrift darstellt, wenn ein nach Dienstschluß bei Gericht eingegangener Schriftsatz erst den Eingangsstempel des folgenden Tages erhält. Unerheblich ist es auch, ob die Klage der Kostenschuldner tatsächlich, wie es die schriftliche Auskunft des Fernmeldeamtes X ausweist, bereits am Abend des 12. Juni 1989 oder erst, wie es der Eingangsstempel bezeugt, am 13. Juni 1989 beim FG eingegangen ist.
2. § 8 GKG fordert für die Nichterhebung der Kosten nämlich nicht nur eine unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht. Die unrichtige Sachbehandlung muß vielmehr für die Kosten ursächlich gewesen sein. Diese Ursächlichkeit ist im Streitfall nicht gegeben.
a) Ursächlich für die Kosten sind i. S. des § 8 GKG nicht alle unrichtigen Sachbehandlungen durch das Gericht, die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß auch die Kosten entfielen. Der Schutzbereich des § 8 GKG umfaßt nur die unmittelbar verursachten Folgekosten (Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Düsseldorf vom 16. August 1984 10 W 181/84, Versicherungsrecht - VersR - 1984, 1154; Hartmann, Kostengesetze, 24. Aufl., § 8 GKG Anm. 2 C; Drischler / Oestreich / Heun / Haupt, Gerichtskostengesetz, 4. Aufl., Stand: Februar 1990, § 8 Rdnr. 20 b).
b) Um solche Kosten handelt es sich im Streitfall nicht. Die von den Kostenschuldnern zu tragenden Kosten des Beschwerdeverfahrens wegen Nichtzulassung der Revision sind nicht eine unmittelbare, sondern allenfalls eine mittelbare Folge des möglicherweise falschen Eingangsstempels auf der von den Kostenschuldnern erhobenen Klage.
c) Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision richtete sich nämlich nicht gegen den Eingangsstempel, sondern dagegen, daß das FG seine Entscheidung auf diesen Eingangsstempel gestützt und daher nach Auffassung der Kostenschuldner zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat. Mit der Auffassung, daß darin ein Verfahrensfehler des FG liege, sind die Kostenschuldner im Beschwerdeverfahren gescheitert, denn der erkennende Senat hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Maßgebend dafür war, daß das FG trotz des möglicherweise falschen Eingangsstempels so entscheiden mußte, wie es entschieden hat.
Ein gerichtlicher Eingangsstempel ist nämlich eine Zeugnisurkunde i. S. des § 418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die nur durch den Beweis der Unrichtigkeit (Gegenbeweis) der darin bezeugten Tatsachen entkräftet werden kann (unveröffentlichter Beschluß des BFH vom 24. Juni 1981 I R 206/79). Einen solchen Gegenbeweis hatten die Kostenschuldner bis zu der Entscheidung des FG nicht geführt. Sie hatten nicht einmal auf die wiederholten Hinweise des FG auf den ausweislich des Eingangsstempels verspäteten Klageeingang reagiert und waren in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten. Sie können sich auch nicht darauf berufen, daß für den Nachweis des rechtzeitigen Klageeingangs beim FG erst umfangreiche Ermittlungen bei der Post erforderlich gewesen seien. Solche Ermittlungen können die Kostenschuldner nicht gehindert haben, den rechtzeitigen Klageeingang gegenüber dem FG wenigstens geltend zu machen und die Beschaffung von Beweisen anzukündigen. Im übrigen ergibt sich aus der von den Kostenschuldnern im Beschwerdeverfahren vorgelegten Auskunft des Fernmeldeamtes X, daß die Anfrage erst am 29. November 1989 an das Fernmeldeamt gerichtet worden ist, also nach Zustellung des FG-Urteils am 20. November 1989.
d) Das mit der Nichtzulassungsbeschwerde der Kostenschuldner verbundene Kostenrisiko, um das es im vorliegenden Erinnerungsverfahren geht, hatte folglich seine entscheidende Ursache nicht in dem möglichwerweise falschen Eingangsstempel des FG auf der Klage. Die Kostenschuldner sind in dem Beschwerdeverfahren vielmehr unterlegen, weil sie das die Klage abweisende Urteil des FG wegen eines Verfahrensfehlers angegriffen haben, obwohl das FG keinen Verfahrensfehler begangen hatte. Diese Entscheidungslage entsprach der allgemeinen Situation, in der sich jeder befindet, der mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos bleibt, weil kein Grund für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegt. Die Frage der richtigen Behandlung der ursprünglichen Klage hinsichtlich des Eingangsdatums war davon losgelöst.
Fundstellen
Haufe-Index 417924 |
BFH/NV 1992, 482 |