Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsruhe; grundsätzliche Bedeutung; Fehlen der Entscheidungsgründe; nachträgliche Divergenz; Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen
Leitsatz (NV)
1. Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache genügt es nicht, eine Fülle von Fragen aufzuwerfen, ohne erkennbar zu machen, welche der aufgeworfenen Fragen für die Streitsache maßgeblich sind; dies festzustellen, ist nicht Aufgabe des BFH.
2. Beantwortet das FG im angefochtenen Urteil die für den Fall maßgebliche Streitfrage der Zwangsruhe differenziert, muss die Beschwerdebegründung der Differenzierung Rechnung tragen und darf sich nicht damit begnügen, davon losgelöst die Fragen aufzuwerfen, die sich allgemein im Zusammenhang mit der maßgeblichen Streitfrage stellen können.
3. Zur schlüssigen Darlegung der Revisionszulassungsgründe ist es erforderlich, die Beschwerdebegründung an ihnen auszurichten.
4. Ein Urteil ist dann mit Gründen versehen, wenn die wesentlichen rechtlichen Erwägungen erkennbar sind, die aus der Sicht des FG für die getroffene Entscheidung maßgebend waren.
5. Ist ein vom FG aufgestellter von einer späteren Gerichtsentscheidung abweichender Rechtssatz für das Urteil nicht tragend, kommt eine nachträgliche Divergenz nicht in Betracht.
6. Die Fragen, ob vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes erbrachte Altersvorsorgeaufwendungen als Werbungskosten abziehbar sind und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem subjektiven Nettoprinzip zukommt, sind nicht mehr klärungsbedürftig.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3; AO § 363 Abs. 2 Sätze 2, 4; EStG §§ 9-10
Verfahrensgang
Nachgehend
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teils unzulässig, teils unbegründet.
1. Den geltend gemachten Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
a) Zur schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Beschwerdeführer eine oder mehrere für die Beurteilung der Streitsache maßgebliche Rechtsfragen herauszustellen und darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den in der Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage/ diesen Fragen vertretenen Auffassungen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32). Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss schließlich den Streitstoff ausgerichtet an den gesetzlichen Zulassungsgründen sichten und rechtlich durchdringen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 26). Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn --in der Art einer Revisionsbegründung-- dem Finanzgericht (FG) entgegengehalten wird, das Urteil unter Verletzung von Bundesrecht getroffen zu haben (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 27).
b) Diesen Maßstäben wird die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht.
Der umfangreiche Schriftsatz der Klägerin wirft zwar zahlreiche Fragen auf, insbesondere
ob ein Anspruch auf das nach § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) eingetretene Ruhen des Einspruchsverfahrens (sog. Zwangsruhe) besteht;
unter welchen Voraussetzungen ein nach dieser Bestimmung ruhendes Einspruchsverfahren weitergeführt werden kann und "wie … das rechtliche Gehör … durch die Beklagte zu beachten" ist;
"ob kommentarlos die Einspruchsentscheidung und damit der grundsätzlich kostenpflichtige Klageweg aufgezwungen werden" darf;
"welche Aktivitäten … der Einspruchsführer nach seinem eingelegten Einspruch vornehmen (muss), wenn das Finanzamt den Einspruch ruhen gelassen hat";
"ob es überhaupt dann noch darauf ankommt, ob die Voraussetzungen zum Ruhen des Verfahrens vorlagen oder nicht, wenn das Verfahren berechtigt oder unberechtigt ruhte" sowie
"unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO zur Anwendung kommen kann".
Die Fülle der Fragen lässt nicht erkennen, welche der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen aus welchem Grund für die Streitsache entscheidungserheblich sind. Dies festzustellen ist nicht Aufgabe des Bundesfinanzhofs (BFH). Die Klägerin hat bei ihren Ausführungen außer Acht gelassen, dass das FG in dem angefochtenen Urteil die sich aus der Anwendung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ergebenden Fragen differenziert beantwortet hat. Für einen Teil der ursprünglichen Streitjahre hat es die begehrte isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung ausgesprochen. Für die noch streitigen Veranlagungszeiträume hat es die Voraussetzungen für das Eintreten bzw. die Fortdauer einer Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO verneint. Für die Streitjahre 1990 bis 1999 hat das FG darauf abgestellt, dass die Klägerin kein anderweitig anhängiges Verfahren benannt hat. Zusätzlich hat es das für die Streitjahre 1998 und 1999 von der Klägerin als Ruhensgrund genannte Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als nicht einschlägig betrachtet. Für das Streitjahr 2000 hat das FG die Zwangsruhe als beendet angesehen, weil das Verfahren, das Grund für das Ruhen des Verfahrens gewesen war, durch Entscheidung abgeschlossen wurde. Um den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gerecht zu werden, hätte die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde der im angefochtenen Urteil vorgenommenen Differenzierung Rechnung tragen müssen und sich nicht damit begnügen dürfen, davon losgelöst die Fragen aufzuwerfen, die sich allgemein im Zusammenhang mit der Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 FGO stellen können. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin nicht dargetan, inwieweit die von ihr aufgeworfenen Fragen für die Entscheidung des Streitfalls rechtserheblich sind. Weiter lässt die Beschwerdebegründung die Auseinandersetzung mit bereits ergangenen finanzgerichtlichen Urteilen und den Äußerungen in der Literatur zum Fragenkomplex der Zwangsruhe und ihrem Schicksal im weiteren Fortgang des Verfahrens vermissen.
c) Eine Ausrichtung der Ausführungen der Klägerin an dem in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO genannten Zulassungsgrund ist somit nicht erkennbar. Vielmehr ist das Vorbringen davon geprägt, dass in der Art einer Revision "ausdrücklich die falsche Rechtsanwendung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO seitens des Finanzgerichts und der Revisionsbeklagten" und eine fehlerhafte Auslegung dieser Vorschrift gerügt werden.
2. Die Rüge der Klägerin, das angefochtene Urteil sei nicht mit Gründen versehen, hat keinen Erfolg.
Die nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO vorgeschriebene Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Eine Entscheidung ist in diesem Sinn nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn die Gründe überhaupt fehlen oder aus dem Urteil die wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (§ 96 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO), nicht erkennbar sind, so dass die Beteiligten die Entscheidung nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können (BFH-Beschluss vom 2. Februar 1999 II R 91/97, BFH/NV 1999, 1106) oder wenn das Urteil einen wesentlichen Streitpunkt nicht behandelt (BFH-Beschluss vom 30. September 2003 IV B 23/02, BFH/NV 2004, 457, m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor. Zum einen hat das FG für einen Teil der Streitjahre die begehrte isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung ausgesprochen. Zum anderen hat es die Abweisung der Klage in den übrigen Streitjahren mit dem Fehlen des Eintritts der Zwangsruhe bzw. mit dem Wegfall der Zwangsruhe begründet, ohne dass dafür eine eigene Ermessensentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) erforderlich gewesen wäre. Infolgedessen waren die wesentlichen rechtlichen Erwägungen erkennbar, die aus der Sicht des FG für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (§ 96 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO). Die Klägerin hat somit die Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen können. Dies zeigt auch die umfangreiche Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Das FG hat sich außerdem mit der Frage der Bedeutung des § 363 Abs. 2 Satz 4 AO für den Fall der Zwangsruhe befasst.
3. Die Zulassung der Revision kann auch nicht darauf gestützt werden, dass Ausführungen in dem angefochtenen Urteil in Widerspruch zu der jüngst veröffentlichten Entscheidung des erkennenden Senats vom 26. September 2006 X R 39/05 (www.bundesfinanzhof.de, unter Entscheidungen; BFH/NV 2007, 296) stehen würden. Danach muss die Finanzbehörde nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO eine Ermessensentscheidung treffen und ihre Ermessenserwägungen offenlegen, wenn sie ein kraft Gesetzes nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruhendes Einspruchsverfahren fortsetzen will. Dagegen verneint das FG unter Berufung auf den BFH-Beschluss vom 25. November 2003 II B 68/02 (BFH/NV 2004, 462) die Anwendbarkeit des § 363 Abs. 2 Satz 4 AO auf Fälle der Zwangsruhe. Eine nachträgliche Divergenz ist dennoch zu verneinen. Denn Voraussetzung dafür ist, dass der vom FG aufgestellte, von anderen Gerichtsentscheidungen abweichende Rechtssatz für das Urteil tragend war (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juni 2002 X B 144/01, BFH/NV 2002, 1336; vgl. auch BFH-Beschluss vom 27. Mai 2005 III B 5/05, BFH/NV 2005, 1758). Daran fehlt es jedoch im Streitfall. Soweit das FG die Klage abgewiesen hat, beruht die Entscheidung darauf, dass entweder keine Zwangsruhe eingetreten oder sie zwischenzeitlich entfallen war, infolgedessen kein Raum für eine Ermessensentscheidung des FG gegeben war (wie in dem vom BFH in BFH/NV 2004, 462 entschiedenen Fall; vgl. Senatsurteil vom 26. September 2006 X R 39/05, unter II.3.b).
4. Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision deshalb begehrt, weil die von ihr mit dem Hilfsantrag aufgeworfene Frage der Abzugsfähigkeit von Altersvorsorgeaufwendungen als Werbungskosten von grundsätzlicher Bedeutung sei, ist ihrer Nichtzulassungsbeschwerde der Erfolg ebenfalls versagt.
Mit Urteil vom 8. November 2006 X R 45/02 (www.bundesfinanzhof.de, unter Entscheidungen) hat der angerufene Senat diese Frage einmal mehr verneint (vgl. Senatsurteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513). Damit ist die aufgeworfene Frage in dem für die Beurteilung der Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nicht länger klärungsbedürftig. Dies gilt ebenso im Hinblick auf die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit dem subjektiven Nettoprinzip. Auch dazu hat sich der Senat im Urteil vom 8. November 2006 X R 45/02 umfassend geäußert und die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung abgelehnt. Vor diesem Hintergrund durfte sich das FG im angefochtenen Urteil insoweit auf knapp gehaltene Ausführungen beschränken, ohne dass von einem Fehlen der Entscheidungsgründe die Rede sein kann.
5. Für das von der Klägerin analog § 74 FGO beantragte Ruhen des Verfahrens (Rz 99)sieht der Senat aufgrund der oben (unter 4.) angestellten Überlegungen keinen Anlass.
Fundstellen