Leitsatz (amtlich)
Dem Erfordernis der "schriftlich" eingelegten Revision genügt ein mit willkürlichen Linien unterzeichneter Schriftsatz nicht. Der Mangel kann nach Ablauf der Revisionsfrist nicht geheilt werden.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hat gegen das ihr am 15. November 1983 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) durch den von ihr bevollmächtigten Steuerberater ... Revision einlegen lassen. Die Revisionsschrift vom ..., die am folgenden Tag beim FG eingegangen ist, trägt über dem das Schriftstück abschließenden Wort "Steuerberater" ein mit Kugelschreiber ausgeführtes Zeichen:
Es beginnt mit einer etwa 2 cm hohen, nahezu senkrecht verlaufenden und in der Form eines Fragezeichens geschwungenen Linie. In Höhe der unteren Biegung dieser Linie schließt sich mit geringem Abstand eine weitere, nach rechts waagrecht verlaufende, eher s-förmig geschwungene, etwa 3 cm lange Linie an. An der Stelle, an der die beiden Linien den geringsten Abstand haben, ist ein Punkt angedeutet. Die Revisionsbegründungsschrift vom ... trägt ein im wesentlichen gleichförmiges Zeichen.
Auf den Hinweis des Vorsitzenden des Senats vom ..., daß zweifelhaft sein könne, ob Revisions- und Revisionsbegründungsschrift formgerecht unterzeichnet seien, legte die Klägerin mit Schreiben vom ..., das am folgenden Tag beim BFH eingegangen ist, Ausfertigungen dieser Schriftstücke vor, die mit der vorstehenden Beschreibung im wesentlichen übereinstimmende Zeichen tragen. Sie sind von einem Notar als Unterschriften des Prozeßbevollmächtigten beglaubigt.
Die Klägerin ist unter Hinweis auf List (Der Betrieb - DB - 1983, 1672) der Auffassung, daß damit der Beweis für die Echtheit der Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten erbracht sei. Die Unterschrift trage - besonders in ihrem mittleren Teil - charakteristische Merkmale des Namens des Prozeßbevollmächtigten ..., nämlich die Buchstaben "X" und "Y". Im übrigen genüge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ein individuell gestalteter Namensteil; einzelne Buchstaben müßten nicht erkennbar sein.
Ausweislich des Tatbestands des angefochtenen Urteils hat die Klägerin beim FG beantragt, "den Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid 1974 in der Weise abzuändern, daß ... gemindert wird".
Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid 1974 in der Weise zu ändern, daß ... um einen weiteren Betrag von ... gemindert wird.
Die Klägerin bringt vor, sie habe in der mündlichen Verhandlung des FG darauf hingewiesen, daß ihr in der Klagebegründung gestellter Antrag in diesem Sinne zu verstehen sei. Insofern sei sie von der Antragsformulierung im Tatbestand des FG-Urteils überrascht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Es kann offenbleiben, ob in dem Antrag der Klägerin, soweit er sich auf den Betrag von ... DM bezieht, eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageerweiterung zu erblicken ist. Denn die Revision ist bereits aus anderen Gründen unzulässig. Es liegt keine formgerecht eingelegte Revision vor, da die Revisionsschrift (und die Revisionsbegründungsschrift) mangels eines als Unterschrift zu wertenden Schriftzugs nicht die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform erfüllt (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
2. Nach der Rechtsprechung des BFH ist zwar nicht zu verlangen, daß die Unterschrift lesbar ist. Es muß sich aber um einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug handeln, der charakteristische Merkmale aufweist und sich nach dem gesamten Schriftbild als Unterschrift eines Namens darstellt. Dazu gehört, daß mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (BFH-Beschlüsse vom 26. Februar 1975 I B 96/74, BFHE 115, 17, BStBl II 1975, 449; vom 25. März 1983 III R 64/82, BFHE 138, 151, BStBl II 1983, 479; vom 8. März 1984 I R 50/81, BFHE 140, 424, BStBl II 1984, 445; BGH-Urteil vom 11. Februar 1982 III ZR 39/81, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1982, 1467; BGH-Beschluß vom 27. Oktober 1983 VII ZB 9/83, Versicherungsrecht - VersR - 1984, 142).
3. Im vorliegenden Verfahren kommt es nicht darauf an, wie deutlich einzelne Buchstaben einer Unterschrift erkennbar sein müssen (vgl. BGH-Beschlüsse vom 23. Februar 1983 IV a ZB 17/82, VersR 1983, 487; vom 24. Februar 1983 I ZB 8/82, VersR 1983, 555). Die letztgenannte Entscheidung geht davon aus, daß ein Schriftzug aus willkürlichen Linien und Strichen nicht genügt, sondern daß ein Schriftzug erforderlich ist, dessen Entstehung aus einer Schrift in Buchstaben jedenfalls noch wahrzunehmen ist. Hieran fehlt es im Streitfall.
a) Der Auffassung der Klägerin, das streitige Schriftgebilde sei als Unterschrift des aus ... Buchstaben bestehenden Namens ihres Prozeßbevollmächtigten anzusehen, kann nicht gefolgt werden. Das Gebilde läßt auch nicht andeutungsweise einzelne oder eine Folge von Buchstaben erkennen. Aus dem Namen "..." sind entgegen der Auffassung der Klägerin weder die Buchstaben "X" noch "Y" zu erkennen. Der zwischen den beiden gewellten Linien angedeutete Punkt kann nicht einem "X" zugeordnet werden. Aus der waagrecht verlaufenden Linie ist auch kein "Y" herauszulesen. Daß der erste Buchstabe des Namens erkennbar ist (vgl. BGH-Urteil vom 14. Mai 1964 VII R 57/63, VersR 1964, 846; BGH-Beschluß vom 20. September 1974 IV ZB 27/74, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1975, 216), behauptet auch die Klägerin nicht.
b) Dahinstehen kann, ob das Schriftgebilde, das den Anfangsbuchstaben des Namens nicht erkennen läßt, als Abkürzung dieses Namens - sogenannte Paraphe - angesehen werden könnte. Eine Paraphe anstelle der erforderlichen Unterschrift genügt nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Januar 1972 III R 88/70, BFHE 104, 497, BStBl II 1972, 427; BGH-Beschluß vom 13. Juli 1967 I a ZB 1/67, Lindenmaier/Möhring - LM -, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 130 ZPO, Nr. 5; BGH-Urteil in NJW 1982, 1467).
4. Der Mangel der nicht formgerechten Unterschrift kann nach Ablauf der Revisionsfrist und Revisionsbegründungsfrist nicht mit rückwirkender Kraft geheilt werden (vgl. bei Faksimilestempel BFH-Urteil vom 29. August 1969 III R 86/68, BFHE 97, 226, BStBl II 1970, 89; BGH-Beschluß vom 14. Dezember 1954 V ZB 31/54, Zeitschrift für Zivilprozeß - ZZP - 1955, 186, 188; bei fehlender Unterschrift BFH-Beschluß vom 20. Februar 1970 VI R 230/68, BFHE 98, 233, BStBl II 1970, 329; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 14. Februar 1966 IV B 140/65, NJW 1966, 1043; BGH-Beschluß vom 6. Dezember 1979 VII ZB 13/79, VersR 1980, 331). Es kommt daher nicht darauf an, ob die schriftliche Form durch die notarielle Beglaubigung der Schriftgebilde - möglicherweise als notariell beglaubigte Handzeichen gemäß § 126 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - gewahrt wäre und ob § 126 BGB auf Prozeßhandlungen angewendet werden könnte (vgl. BGH-Beschluß in LM § 130 ZPO, Nr. 5, am Ende; Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, NJW 1980, 172, 174).
5. Der Klägerin ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO nicht zu gewähren.
a) Es kann dahinstehen, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gewährt werden kann, wenn eine bestimmte Form nicht eingehalten worden ist (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 16. August 1979 I R 95/76, BFHE 129, 1, BStBl II 1980, 47, m. w. N.), wie dies bei einer nicht formgerechten Unterschrift (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) der Fall ist (vgl. BGH-Beschluß vom 5. Juni 1975 II ZB 1/75, VersR 1975, 927, 928). Auch wenn man von der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeht, wäre sie nicht zu gewähren.
b) Bei Versäumung gesetzlicher Fristen kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist nachgeholt wird (§ 56 Abs. 2 FGO). Es kann offenbleiben, ob die Schriftsätze mit den notariell beglaubigten Schriftgebilden innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist beim BFH eingegangen und ob sie formgerecht unterschrieben sind (vgl. vorstehend zu § 126 BGB).
Unterstellt man diese Voraussetzungen, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gleichwohl nicht in Betracht, weil Gründe, aus denen sich eine unverschuldete Verhinderung (§ 56 Abs. 1 FGO) ergeben könnte, weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden sind. Die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Tatsachen müssen auch bei einer von Amts wegen zu gewährenden Wiedereinsetzung binnen der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO in den Kenntnisbereich des Gerichts gelangen. Die rechtzeitige Nachholung der versäumten Rechtshandlung (§ 56 Abs. 2 Sätze 3 und 4 FGO) läßt die Pflicht, die Hinderungsgründe innerhalb der Zweiwochenfrist vorzutragen, unberührt (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Februar 1983 2 BvR 28/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 349). Die Klägerin hat keine Hinderungsgründe vorgetragen. Soweit ein solches Vorbringen in dem allgemein gehaltenen Vortrag zu sehen sein sollte, der Prozeßbevollmächtigte unterschreibe seit Jahren und ohne Beanstandung Schriftsätze an Finanzgerichte in der vorliegenden Weise (vgl. BGH-Beschluß in VersR 1975, 927, 928), ist dies nicht glaubhaft gemacht worden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Gerichtsbekannte oder offenkundige Hinderungsgründe sind nicht ersichtlich.
Fundstellen
BStBl II 1984, 669 |
BFHE 1985, 223 |