Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Überlassung der Akten zur Einsicht in den Büroräumen des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
- Weil die Akteneinsicht in den Räumen des Finanzgerichts die Regel und die nur in begrenzten Sonderfällen angezeigte Überlassung der Akten zur Einsicht in den Räumen des Prozessbevollmächtigten die Ausnahme ist, sind für die zu treffende Ermessensentscheidung nicht in jedem Einzelfall Überlegungen über die Notwendigkeit der ständigen Verfügbarkeit der Akten bei Gericht anzustellen.
- Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die Art und Weise, wie er seine Unterlagen geordnet und aufbewahrt bzw. dies unterlassen hat, begründet keinen Sonderfall.
- Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die Pflicht zur Verschwiegenheit auch seiner Angestellten ist nicht geeignet, das Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil zu verkehren, weil von der Pflicht zur Verschwiegenheit immer auszugehen ist.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. 1. Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) haben beim Finanzgericht (FG) vor Begründung der Klage Akteneinsicht beantragt, und zwar durch Überlassung der Akten zur Einsicht im Büro ihres Prozessbevollmächtigten.
Sie haben ausgeführt, dass es sich um umfangreiches Material an Verwaltungsakten handele, nämlich um 16 Bände Steuerakten mit insgesamt vier Betriebsprüfungsakten. Außerdem würden die begrenzten räumlichen Möglichkeiten beim FG dem Prozessbevollmächtigten kein effizientes Arbeiten ermöglichen. Die Akten würden von einem ―wie alle Mitarbeiter der Kanzlei― zur Verschwiegenheit verpflichteten Büroboten abgeholt und nur vom Prozessbevollmächtigten selbst eingesehen werden. Der beantragten Art und Weise der Akteneinsicht dürften keine dienstlichen Interessen des Gerichts entgegenstehen.
2. Das FG hat den Antrag auf Akteneinsicht in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten abgelehnt.
Zur Begründung hat es sich unter Angabe der jeweiligen Entscheidungen auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bezogen, wonach im Regelfall ―vor allem wegen der Gefahr des Verlustes der Akten und im Interesse ihrer ständigen Verfügbarkeit― die Akteneinsicht in den Räumen des Gerichts zu gewähren sei und nur in Sonderfällen als Ergebnis einer Interessenabwägung eine Überlassung der Akten zur Einsicht in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten in Frage komme. Solche Besonderheiten hat das FG verneint. Die Prozessbevollmächtigten hätten ihre Kanzlei am Ort des FG, dessen Räumlichkeiten für die Akteneinsicht ausreichend seien. Die Akten seien weder außergewöhnlich umfangreich noch unübersichtlich. Die zwar nicht paginierten Verwaltungsakten seien geordnet abgeheftet und bestünden weitgehend aus Unterlagen, die bereits im Besitz der Kläger oder ihrer Bevollmächtigten seien. Einem fachkundigen Bevollmächtigten sei es deshalb ohne weiteres möglich, sich über den Inhalt der Akten zu informieren. Es müsse im Gegenteil berücksichtigt werden, dass wegen der fehlenden Paginierung der Verwaltungsakten die Identität und Vollständigkeit der ausgegebenen Akten mit den zurückgegebenen nicht überprüft werden könne.
3. Mit der dagegen erhobenen Beschwerde rügen die Kläger, dass das FG weder die Notwendigkeit der ständigen Verfügbarkeit begründet noch die Verpflichtung der beteiligten Personen zur Vertraulichkeit berücksichtigt habe. Das FG habe auch verkannt, dass umfangreiche Betriebsprüfungsakten vorgelegt worden seien, die den Klägern nicht bekannt seien. Weiter seien die Kläger nicht verpflichtet, Unterlagen von Steuererklärungen anzufertigen. Die Akteneinsicht solle die Kenntnis der Originalverwaltungsakten ermöglichen, nicht jedoch die der möglicherweise ungeordneten Unterlagen der Steuerpflichtigen selber.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die in § 78 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) enthaltene Regelung beinhaltet ein klares, auch verfassungsrechtlich unbedenkliches Verhältnis von Regel und Ausnahme (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. August 1981 2 BvR 637/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 77). Danach ist die Akteneinsicht in den Räumen des FG die Regel und die nur in begrenzten Sonderfällen angezeigte Überlassung der Akten zur Einsicht die Ausnahme (vgl. Senatsbeschluss vom 22. April 1997 X B 62/97, BFH/NV 1997, 787). Diese Grundentscheidung ist die Leitlinie für die zu treffende Ermessensentscheidung, so dass nicht in jedem Einzelfall Überlegungen über die Notwendigkeit der ständigen Verfügbarkeit der Akten bei Gericht anzustellen sind.
2. Die von den Klägern vorgebrachten Gründe rechtfertigen nicht die Annahme eines Sonderfalles.
Dies gilt in besonderer Weise für den Hinweis der Kläger auf die Art und Weise, wie sie ihre Unterlagen geordnet und aufbewahrt oder dies unterlassen haben.
Weiter reicht für die Aktenüberlassung weder der Umfang der Akten noch die Verpflichtung der von den Klägern bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten betrauten Personen zur Verschwiegenheit aus. Von dieser Pflicht zur Verschwiegenheit ist in allen Fällen auszugehen, in denen ein Rechtsanwalt die Überlassung der Akten an seine Kanzlei begehrt, so dass der Hinweis darauf nicht geeignet ist, das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO in sein Gegenteil zu verkehren (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 16. September 1994 I B 180/93, BFH/NV 1995, 524).
Außerdem sind die Akten des Beklagten, Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) nicht so umfangreich, dass die Einsicht in den Räumen des FG unzumutbar wäre. Allein die Anzahl der vom FA dem Gericht zugesandten Aktenbände sagt über den Aktenumfang wenig aus. So sind zwei der 16 Aktenbände Bilanzakten, die generell wenig mehr als die von den Steuerpflichtigen selbst vorgelegten Bilanzen enthalten und 6 weitere Aktenstücke sind nur wenige Seiten stark.
Zu Recht hat das FG dagegen darauf hingewiesen, dass wegen der unterbliebenen Paginierung der Akten ihr Verbleib bei Gericht besonders angezeigt ist.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 113 Abs. 2 Satz 3 FGO unter Hinweis auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses abgesehen.
Fundstellen